Ein Besuch bei den Franziskanerinnen in Salzkotten bei Paderborn

101-jährige Ordensfrau: Kloster ist kein "Himmel voller Geigen"

Veröffentlicht am 26.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Salzkotten  ‐ Im Oktober wird die frühere Erzieherin und Ordensfrau Schwester Walburga Sauer 102 Jahre alt. Für sie ist es ein Geschenk. Heute wohnt sie mit der jüngsten Mitschwester im Kloster zusammen und macht noch viel Quatsch mit. Doch in ihrem Leben hat sie auch Schweres erlebt.

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"Das ist unsere Jüngste und das unsere Älteste", erklärt Schwester Alexandra Völzke und rückt zwei Stühle zurecht. Ihre beiden Mitschwestern setzen sich. Schwester Lucia Liebenau ist 30 Jahre alt und gehört seit kurzem zu den Franziskanerinnen in Salzkotten. Schwester Walburga Sauer neben ihr wird in diesem Jahr 102 Jahre alt. "Es ist ein Geschenk", meint die betagte Ordensfrau. Manchmal wundere sie sich selbst darüber, dass sie schon so alt ist. Ihr Gesicht strahlt faltenfrei in dem braunen Ordenskleid mit weißem Kragen und schwarzem Schleier. Den Habit trägt sie täglich. "Der gehört zu uns", betont sie. Schwester Lucia neben ihr nickt. Die beiden Ordensfrauen wohnen im Kloster zusammen in einer Wohngemeinschaft, generationsübergreifend. "Viele meiner älteren Mitschwestern wirken gar nicht so alt", meint die 30-Jährige und schubst ihre ältere Mitschwester an: "Gell, Sie machen noch viel Quatsch mit?" 

Schwester Walburga lächelt sanft. Als sie 1957 bei den Franziskanerinnen eingetreten ist, war sie 35 Jahre alt. Gerne wäre sie schon früher ins Kloster gegangen, aber damals nach dem Krieg wurde ihre Hilfe am elterlichen Hof dringend gebraucht. "Es war eine bittere Zeit", blickt die Ordensfrau zurück. Aufgewachsen ist sie mit sieben Geschwistern in der Nähe von Balve im Sauerland. Eine ihrer Schwestern starb mit elf Jahren an den Folgen von Masern. "Darüber waren wir alle sehr traurig", erinnert sich die 101-Jährige. Mit ihren Eltern habe sie viel gebetet. Das habe ihr Trost gegeben. Schon damals sehnte sie sich danach, eines Tages in einem Kloster zu leben. "Zu Hause hätte ich so ein spirituelles Leben nicht führen können", sagt die betagte Ordensfrau. Heiraten hingegen wollte sie nie. Nach ihrem Klostereintritt machte Schwester Walburga eine Ausbildung zur Erzieherin, unterrichtete in der klostereigenen Haushaltsschule, arbeitete später als Pförtnerin und leitete zeitweise sogar ein Internat. Ihren Weg in den Orden hat sie nie bereut, betont die Franziskanerin.

"Die Eucharistie hat mich so fasziniert"

Schwester Lucia hört die ganze Zeit aufmerksam zu. Anders als Schwester Walburga konnte sie sich ihren Ordensnamen beim Eintritt ins Kloster selbst aussuchen. "Früher hieß ich Marie", erzählt sie. Sie ist in Niedersachsen und Berlin aufgewachsen und ist evangelisch getauft. In Hannover studierte sie Geowissenschaften, doch nach einer Romreise kam die 30-Jährige nach langer Zeit wieder mit ihrem Glauben in Berührung. "Damals sagte ich zu Gott: Wir probieren es nochmal. Wenn es dich gibt, dann wirst du mich führen", berichtet Schwester Lucia. Als sie kurze Zeit später einen katholischen Gottesdienst besucht, hat es Klick gemacht. "Die Eucharistie hat mich so fasziniert, dass ich dachte: Das möchte ich bitte gerne öfter." 2019 entschied sie sich nach einem Glaubenskurs bei den Jesuiten in Göttingen zur Konversion, ließ sich firmen und empfing die Erstkommunion. Danach begann sie ein Freiwilliges Ordensjahr bei den Franziskanerinnen in Salzkotten. Von Anfang an spürt die Ordensfrau mit ihnen eine Verbundenheit. "Die Schwestern gingen so liebevoll miteinander um", erzählt sie. Zweifel an der Entscheidung, ihr Leben lang in einem Kloster zu verbringen, hatte sie anfangs schon. Heute ist sich Schwester Lucia sicher: "Mein Platz ist hier bei den Schwestern".

Bild: ©katholisch.de/ msp

Die 30-jährige Franziskanerin Lucia Liebenau schubst ihre 101-jährige Mitschwester und sagt: "Gell, Sie machen noch viel Quatsch mit?" Die beiden wohnen zusammen in einer WG im Kloster in Salzkotten.

Zur Gemeinschaft der Franziskanerinnen Salzkotten gehören 52 deutsche Schwestern. Die meisten davon leben im Mutterhaus und sind über 70 Jahre alt. Die Gemeinschaft wird kleiner, das Klostergebäude in Salzkotten ist riesig und sanierungsbedürftig. "Das muss dringend finanziert werden", erklärt Schwester Alexandra Völzke und führt durch das Haus. Vor einigen Jahren hatte die Schwesterngemeinschaft beschlossen, den Gebäudekomplex zu öffnen, um so mit anderen Menschen Kirche neu zu gestalten und für den Glauben lebendig werden zu lassen. "Das Kloster liegt zentral in der Stadt und soll ein pastoraler Ort für viele werden", meint die Ordensfrau, die das dortige "Geistliche Zentrum Franziskus" gemeinsam mit ihrer Mitschwester, Schwester Alexa Furmaniak, leitet. Früher arbeitete Schwester Alexandra als Fachärztin für Allgemeinmedizin in einer Hausarztpraxis in Salzkotten. Vor wenigen Jahren hat sie die neue Leitungsaufgabe im Kloster übernommen und ist über das Erzbistum Paderborn angestellt. "Wir erleben viele Menschen, die nach Orientierung und Sinn suchen und hier im Miteinander gestärkt werden", erläutert die 47-jährige Ordensfrau. Sie zeigt die verschiedenen Räume im Klostergebäude, die für Bildungsangebote, Seminare und Glaubenskurse genutzt sowie an verschiedene Einrichtungen und Unternehmen vermietet werden. Die franziskanischen Themen Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung würden auch heute noch viele Menschen inspirieren, meint die Ordensfrau aus Salzkotten. Sie freut sich darüber, dass viele Menschen das Kloster finanziell oder ehrenamtlich unterstützen.

In einem Gang des Gebäudes hängen viele Tafeln mit Namen von verstorbenen Schwestern. Es sind Hunderte. "Heute sind unsere Schwestern stärker in Indonesien, in Rumänien, Brasilien, Osttimor und in Malawi in Südostafrika vertreten", räumt Schwester Alexandra ein. Insgesamt 520 Schwestern gehören zur internationalen Kongregation der Franziskanerinnen von Salzkotten, die vor allem Kindergärten, Schulen, Krankenstationen und Kliniken betreiben. Hier in Salzkotten gibt es ein Altenheim, das zum Kloster gehört. Daneben wurde erst vor kurzem ein Kindergarten mit intergenerativem Konzept eröffnet. "So können sich Alt und Jung noch mehr begegnen und voneinander lernen", betont Schwester Alexandra. In Zukunft sollen auf dem Gelände noch barrierefreie Wohnungen sowie ein Klostercafé mit Klosterladen entstehen. "Wir möchten das Kloster als Begegnungsraum für möglichst viele Menschen attraktiv machen", sagt die Franziskanerin. Und das Kloster soll Heimat für die vielen älteren Schwestern bleiben.

Bild: ©katholisch.de/ msp

Schwester Alexandra Völzke und Schwester Alexa Furmaniak vor dem Kindergarten im Kloster der Franziskanerinnen von Salzkotten. Gemeinsam leiten sie das Geistliche Zentrum dort.

In Salzkotten wohnen neben den Franziskanerinnen noch fünf Klarissen. Gemeinsam mit Franziskanern aus Paderborn feiern sie täglich in Hausgemeinschaft einen Gottesdienst in der Klosterkirche. Unten im ersten Stock des Klosters probt gerade eine Gruppe von Kindern mit ihren Betreuern für ein Musical. Zwei Mädchen in bunten Leggings turnen im Gang herum. Vor dem Speisesaal der Schwestern stehen einige Rollatoren in einer Reihe. Schwester Alexandra geht zum "Offenen Mittagstisch" gleich daneben. Dort kann jeder zu Mittag essen, der möchte, erklärt die Ordensfrau. Heute gibt es Reibekuchen mit Apfelmus. Ein Polizist kommt herein und setzt sich. "Jetzt kann uns nichts mehr passieren", flüstert ein älteres Ehepaar.

"Es zog mich zu Gott hin"

Eine Glocke erklingt. Im zweiten Stock des Klosters begegnen wir Schwester Hiltraud Fieseler. Sie möchte mit ihrem Rollator in die Kirche, um ihre Gebetszeit der Ewigen Anbetung zu halten, ein Charisma der Schwestern von Salzkotten. Seit 66 Jahren gehöre sie schon zu dem "Verein hier", sagt sie. Die frühere Erzieherin lebt seit einigen Jahren wieder im Mutterhaus in Salzkotten. Früher war Schwester Hiltraud in verschiedenen Einrichtungen des Ordens tätig. Als Mädchen träumte sie davon, später einmal zu heiraten und sechs Kinder zu haben, erzählt die betagte Franziskanerin. Doch bei einem Theaterspiel in der Klosterschule schlüpfte sie in die Rolle der Eva aus dem Paradies, die verzweifelt nach Gott suchte. "Weil der Adam irgendwie nicht mehr da war", erinnert sie sich kichernd. Damals spürte sie deutlich ihre Berufung zu einem geistlichen Leben. "Es zog mich zu Gott hin", sagt die Ordensfrau und hat dabei Tränen in den Augen. Heute ist Schwester Hiltraud froh, wieder im Kloster bei den Mitschwestern sein zu können. Auch wenn es für die 89-Jährige nicht immer einfach ist, aufgrund ihrer körperlichen Einschränkungen, auf andere angewiesen zu sein. Eine junge Mitschwester aus Indonesien begleitet sie zum Aufzug.

Oben im zweiten Stock läuft das Programm für die älteren Mitschwestern wieder an. "Ferien ohne Koffer", heißt es. Schwester Walburga wartet geduldig. Sie habe sich das Kloster nie "als einen Himmel voller Geigen" vorgestellt, sagt sie nachdenklich. Doch das Leben und Altwerden in einer Gemeinschaft genieße sie sehr. "Nicht wahr, das ist doch schön hier?" Sie schaut ihre Mitschwestern an. Wie sie sich den Himmel nach dem Tod vorstellt, kann die betagte Ordensfrau nicht genau sagen. Dazu müsste sie erst einmal oben angekommen sein, antwortet sie. "Aber dort bei Gott muss es sicher schön sein", schließt sie. "Jetzt bleibst du aber noch ein bisschen da", sagt Schwester Lucia und umarmt die 101-Jährige. Sie bückt sich ein wenig, damit die beiden auf Augenhöhe sind. Die Ordensfrauen lachen sich an. Ein schönes Bild.

Von Madeleine Spendier