"Also ich bin jetzt bereit für Jesus"

Wie sich eine Frau mit Behinderung ihren Messdiener-Traum erfüllt hat

Veröffentlicht am 26.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Christopher Beschnitt (KNA) – Lesedauer: 

Thannhausen ‐ Angie Korsch hat von Geburt an mehrere Beeinträchtigungen und sitzt im Rollstuhl. Deshalb war ihr Wunsch, Ministrantin zu werden, nicht allzu einfach umzusetzen. Aber sie hat es geschafft – und nun ein neues Ziel vor Augen.

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Dies ist eine schöne Geschichte, und doch kommt sie nicht ohne Tränen aus. Als Angie Korsch sie erzählt, ringt sie plötzlich mit den Worten. "Entschuldigung, manchmal kommt das einfach hoch", schluchzt sie. "Warum können die anderen Leute rennen und ich nicht? Warum kann Jesus mich nicht zum Laufen bringen? Warum ist er nicht da?"

Angie Korsch hat eine leichte geistige und eine schwerere körperliche Behinderung. Die Beeinträchtigungen, mit denen die 30-Jährige geboren wurde, äußern sich vor allem durch Lähmungen ihrer linken Körperseite. Korsch sitzt daher im Rollstuhl. Gerade steht das Elektro-Gefährt in der katholischen Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Thannhausen, einer Kleinstadt in Bayerisch-Schwaben.

Die Kirche und Korsch haben etwas gemein. Beide sind nach der Mutter Jesu benannt. Jeder nennt sie zwar Angie, wie sie sagt, aber eigentlich heißt sie Angela Maria.

Zunehmend in den Glauben hineingewachsen

Jesus, Maria, die Kirche – für Angie Korsch sind das zentrale Lebensinhalte. Sie sei immer stärker in den Glauben hineingewachsen, erzählt sie, als sie sich wieder gefasst hat. "Wenn ich in der Messe von Jesus höre, berührt mich das sehr", berichtet die Christin und legt die Hand aufs Herz. Die rechte; die, die nicht gelähmt ist.

Mit dieser Hand unterstützt Angie Korsch inzwischen regelmäßig den Ablauf des Gottesdienstes. Denn Korsch wirkt in der Stadtpfarrkirche neuerdings als Messdienerin.

Der Wunsch, Ministrantin zu werden, kam bei Angie Korsch "im Anflug zu ihrem 30. Geburtstag" auf, wie Pfarrer Florian Bach erzählt. Der Geistliche, 37 und damit nur wenig älter als Korsch, hockt neben ihr. Beide blicken in den Chorraum, zum Altar, dem zentralen Ort im Gottesdienst. Ebendahin hat es Korsch zuletzt immer stärker gezogen.

Messdienerin Angie Korsch bringt den Wein zum Altar der Mariä-Himmelfahrt-Kirche in Thannhausen.
Bild: ©KNA/Christopher Beschnitt

Sie verstehen sich gut. "Dem Pfarrer kann ich alles erzählen, er ist immer da", sagt Messdienerin Angie Korsch über Pfarrer Florian Bach. Und er meint: "Die Tiefe ihres Glaubens ist ein großes Vorbild für andere, auch für mich."

Sie sei "ganz normal" katholisch aufgewachsen, berichtet Korsch. "Ich wurd getauft, ich wurd gefirmt." Im Alter von neun Jahren sei sie von Klosterlechfeld südlich von Augsburg ins knapp 40 Kilometer entfernte Ursberg gezogen, in eine Einrichtung des Dominikus-Ringeisen-Werks für Menschen mit Behinderung. "Mama und Papa haben nicht mehr die Kraft gehabt, sich ständig um mich zu kümmern."

Das Ringeisen-Werk ist eine katholische Stiftung. Für die Bewohnerinnen und Bewohner gibt es immer wieder Gottesdienste. "Dabei durfte ich schon mal ein bissl läuten", sagt Korsch. "Das hat mich fasziniert." Aber richtige Messdienerin werden? "Hab ich mich erst nicht getraut."

So verstrichen die Jahre, Korsch wurde älter, zog von Ursberg in eine Außenwohngruppe in den Nachbarort Thannhausen. Was immer gleich blieb: ihre Liebe zur Messe, und nicht nur zu der. "Sie ist auch regelmäßig bei der eucharistischen Anbetung und beim Rosenkranzgebet", erwähnt der Pfarrer. Sie sagt dazu: "Das wirkt für mich halt befreiend im Herzen." Dabei sind die Kirchenbesuche für Korsch nicht mal eben so getan: Sie lebt ja in einer Wohngruppe mit festen Abläufen, muss angezogen werden und ist für den Weg auf ihren Rollstuhl angewiesen, und das bei Wind und Wetter. Aber: "Was ich will, das schaff ich auch!"

"Sie sind ja mehr hier in der Kirche wie ich, Sie kennen doch jeden!"

Dann läuft jemand durch den Chorraum. "Ach, das ist der Kaplan, den kenn ich", ruft Angie Korsch. "Ja, freilich", entgegnet der Pfarrer. "Sie sind ja mehr hier in der Kirche wie ich, Sie kennen doch jeden!" Beide schmunzeln.

Sie verstehen sich gut, das merkt man rasch. "Dem Pfarrer kann ich alles erzählen, er ist immer da", sagt Angie Korsch über Florian Bach. Und er meint: "Die Tiefe ihres Glaubens ist ein großes Vorbild für andere, auch für mich."

So kam es, dass der Geistliche sich ein besonderes Geschenk überlegte, als im Frühjahr Korschs runder Geburtstag anstand: ein eigenes Messdienergewand, von einer Handarbeitslehrerin so umgeschneidert, dass man es einfach umlegen und im Nacken mit Druckknöpfen verschließen kann. "Das hat mich im Herzen erfüllt", sagt Korsch. Dem Strahlen in ihrem Gesicht nach zu urteilen tut es das bis heute.

Angie Korsch fährt mit ihrem Rollstuhl auf einer Rampe im Chorraum der Mariä-Himmelfahrt-Kirche in Thannhausen
Bild: ©KNA/Christopher Beschnitt

Damit Angie Korsch den Höhenunterschied zwischen Kirchraum und Chorraum überwinden konnte, brauchte es eine stabile Rampe – für mehrere Tausend Euro.

Doch ein passendes Gewand zu bekommen, war noch das leichteste Problem. "Raten Sie mal, was der wiegt", sagt Pfarrer Bach und nickt Richtung Rollstuhl. Tja, schwer schaut er schon aus – vielleicht so 80 Kilo? Der Pfarrer grinst. "Weit mehr wie 300!"

Er sei da anfangs etwas naiv gewesen, ergänzt der Priester. "Ich dachte, ein Brett genügt, dann kommt sie schon 'nauf." Bach deutet auf die zwei kleinen Stufen zwischen Kirchenschiff und Chorraum. Nötig gewesen sei aber eine stabile Rampe – für mehrere Tausend Euro. Nachdem die angekommen war und Korsch sie testen konnte, schrieb sie dem Pfarrer einen Brief: "Also ich bin jetzt bereit für Jesus."

Rund vier Monate nach dem Gewandgeschenk war es dann so weit: Am 16. Juli fuhr Angie Korsch die Rampe erstmals hoch, um im Chorraum als Messdienerin zu wirken. Am 16. Juli, ihrem Tauftag. "Sie war so viel früher da, man hat so sehr ihre Vorfreude gemerkt", erinnert sich der Pfarrer. "Ich war erst etwas aufgeregt, aber dann ganz ruhig", ergänzt die Neu-Ministrantin. Als sie dann fürs Foto vorführt, wie sie Brot und Wein zum Altar bringt, lässt sich das gut erahnen: Gerade noch sprudelten die Geschichten nur so aus ihr heraus, immer wieder unterstrichen von ausladenden Gesten mit dem Arm – nun wirkt sie andächtig, still und feierlich.

"Die Leute hatten Pipi in den Augen!"

Und dann ist sie wieder ausgelassen und fröhlich, als sie von den Reaktionen auf ihre Premiere berichtet: "Ich hab mich so gefreut, dass sich die ganze Kirche mit mir gefreut hat. Die Leute hatten Pipi in den Augen!"

Vor Rührung, nicht vor Kummer, so wie Angie Korsch am Anfang dieser Geschichte. Ja, sagt Korsch, manchmal hadere sie bei aller Liebe auch mit Jesus. Daher noch mal zurück zu ihrer Frage nach dem Warum: Was sagt man als Pfarrer dazu? "Diese Frage kann nicht aufgelöst werden. Wir haben als Christen aber die Hoffnung, dass Jesus sehr wohl da ist, dass er mit uns geht."

Dann sollte Jesus sich mal reisefertig machen. Denn Angie Korsch hat nun ein neues Ziel: "Ich möchte einmal Papst Franziskus in Rom sehen." Und wie war das noch? "Was ich will, das schaff ich auch!"

Von Christopher Beschnitt (KNA)