Standpunkt

Kirchräume müssen mit Gottesinhalt gefüllt werden

Veröffentlicht am 27.08.2024 um 00:01 Uhr – Von Oliver Wintzek – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wer Urlaub macht, besucht nicht selten auch bedeutende und schöne Kirchen. Doch viele Touristen kommen aus kulturellen, nicht aus religiösen Motiven in die Gotteshäuser. Oliver Wintzek warnt deshalb vor einer Musealisierung von Kirchengebäuden.

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Giorgio Vasari (1511–1574) führte bekanntlich die Bezeichnung "gotisch" für den seitdem so benannten Architekturtyp ein. Er meinte dies abwertend, gotische Kirchen galten ihm als Ausdruck des Barbarischen. Diese Beurteilung hat sich nicht gehalten – auch ich glaube gewissermaßen gotisch: Die Ästhetik solcher Kirchbauten inszenieren und eröffnen eine Ahnung der göttlichen Erhabenheit oder wie es unlängst Ottmar Fuchs auf feinschwarz formulierte, sie seien "ein steingewordenes Zeugnis für die Sehnsucht nach einer auch kontrafaktisch möglichen Zuversicht". Gotische Kathedralen werden in Zeiten des (Kultur-)Tourismus durchaus rege besucht und wissen nach wie vor in ihren Bann zu ziehen, doch oft nicht in ihrer originären Absicht. Ein Gottesdienst wird eher selten besucht. Christian Cebulj beobachtete hierzu ebenfalls auf feinschwarz: "Religion und Glaube werden in diesem musealen Setting als Phänomene der Vergangenheit betrachtet."

Eine Musealisierung Gottes als ein vergangenes Kulturphänomen ist natürlich fatal – dabei schreien diese Bauten danach, mit einem ihnen gemäßen Gottesinhalt gefüllt zu werden. Sie mögen sogenannte Andersorte sein, doch will ihre Andersartigkeit für eine andere Gegenwart einstehen. So richtig es ist, dass eine Predigt keine theologische Vorlesung ist, so wenig darf sie doch theologischen Sachverstandes entbehren. Banale Plattitüden und wenig belastbare Behauptungen nach dem Grundsatz, wo die Argumente schwach sind, erhebe die Stimme, strafen die Gottesästhetik Lüge. Mein Plädoyer, mehr "Gott" zu riskieren, meint indes keine Flucht aus der harten Realität, sondern eine Zuflucht angesichts dieser; keine entweltlichende Frömmigkeit, sondern eine gottgemäße Haltung für diese Welt; keine Wegspiritualisierung des oft schmerzlichen Vermissens Gottes, sondern ein Eintreten für seine erhoffte Gegenwart; keine übergriffige Gewissheitsemphase, sondern eine unerschöpfliche Ahnung, der namentlich ein gotischer Kirchenbau Raum gibt. Verleihen wir ihm wieder unsere Stimme!

Von Oliver Wintzek

Der Autor

Oliver Wintzek ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Zugleich ist er als Kooperator an der Jesuitenkirche in Mannheim tätig.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.