Ökonom zu Nachhaltigkeit: Kirche darf sich nicht zurücklehnen
In einem Nachhaltigkeitsreport hat der promovierte Theologe und Ökonom Thomas de Nocker gemeinsam mit seinem Kollegen Lukas Landen die Nachhaltigkeitsbemühungen und -entwicklungen der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland untersucht und dokumentiert. Dabei haben die beiden vor allem ein fehlendes strategisches Vorgehen ausgemacht. Im katholisch.de-Interview spricht de Nocker darüber, was er mit dem Report erreichen will, warum die Kirchen sich nicht zurücklehnen können und warum die selbst gesteckten Klimaziele eingehalten werden sollten.
Frage: Herr de Nocker, Sie haben einen "Nachhaltigkeitsreport für die Kirchen in Deutschland 2024" erstellt. Was wollen Sie damit erreichen?
De Nocker: Die Betonung von Nachhaltigkeit ist zentraler Bestandteil von vielen kirchlichen Verlautbarungen und sonstigen Wortmeldungen, nicht erst seit "Laudato si". Uns geht es darum aufzuzeigen, wie viel Kirche im Bereich Nachhaltigkeit aktuell leistet und wie man es schaffen kann, diesem hohen Anspruch an Nachhaltigkeit auch in Zukunft gerecht zu werden.
Frage: Für wen haben Sie diesen Report geschrieben? Für die Kirchenverantwortlichen selbst oder für die Öffentlichkeit?
De Nocker: Grundsätzlich für alle: die Wissenschaft, die Praxis, die interessierte Öffentlichkeit. Wir wissen von Nachhaltigkeitsbeauftragten, die einen solchen gesamtkirchlichen Überblick als sehr hilfreich erachtet haben. Es passiert momentan viel in dem Feld. Zum Beispiel gibt es aktuell rechtliche Veränderungen im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung: Ab dem Jahr 2025 müssen die Jahresabschlüsse von fast allen Wirtschaftsunternehmen verpflichtend einen Nachhaltigkeitsbericht enthalten. Das gilt formal nicht für die Kirchen, weil sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Gleichzeitig haben sich die Bistümer dazu verpflichtet, solch einen Jahresabschluss nach dem Handelsgesetzbuch (HGB) zu erstellen und die evangelischen Landeskirchen orientieren sich auch daran. Die Frage ist nun, wie man mit dieser Vorgabe umgeht, ohne unglaubwürdig zu sein und ohne unnützen bürokratischen Aufwand zu produzieren.
Frage: In Ihrem Bericht argumentieren Sie, dass die Kirchen schon jetzt solche Berichte erstellen sollten, auch wenn sie juristisch nicht dazu verpflichtet sind. Solche Berichte kosten aber jede Menge Zeit und damit auch Geld. Sollte man dieses Geld nicht sinnvoller in andere pastorale oder soziale Aufgaben investieren?
De Nocker: Es ist zwar ein provokanter Vergleich, nach der gleichen Logik könnte man aber auch sagen: Statt Geld für Missbrauchsgutachten auszugeben könnte die Kirche es auch einfach direkt an Missbrauchsbetroffene geben. Grundsätzlich haben Sie völlig recht, dass man die Notwendigkeit von Ausgaben und Aufwand immer hinterfragen sollte. Ich glaube aber, dass es sich lohnt, über das zu berichten, was man macht und Transparenz zu schaffen, wo man mit welchen Vorhaben steht. Die Kirche ist im Bereich Nachhaltigkeit gut aufgestellt und muss ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Nachhaltigkeit betrifft übrigens nicht nur den Umweltschutz, sondern hat auch eine soziale Dimension. Da ist die Kirche stark.
Frage: Inwiefern?
De Nocker: Es geht um die Frage, welche Auswirkungen der eigene Geschäftszweck auf die Menschen hat, sowohl im Unternehmen als auch in der Umgebung. Und da muss man ganz ehrlich sagen: Die Mitarbeitenden in den Kirchen werden fair bezahlt und Kirche leistet insgesamt einen sehr positiven Beitrag für die örtlichen Gemeinschaften und die Gesellschaft insgesamt. Zu den Taten kommen auch Worte: Wenn jeden Sonntag mehr als eine Million Gläubige in die Kirche gehen und die Bedeutung von Schöpfungsverantwortung dort thematisiert wird, dann ist das wichtig – andere Institutionen machen das nicht. Wenn die Kirchen ihre Leistungen in einem umfassenden Nachhaltigkeitsbericht darstellen, der sich auch mit unabhängigen Standards messen lässt, dann stehen sie gut da.
Frage: Sind die Kirchen also Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit?
De Nocker: Ja, bei einem umfassenden Nachhaltigkeitsbegriff muss man sagen, dass die Kirchen weit vorne sind und dieses Thema wirklich ernst nehmen. Das heißt aber nicht, dass alles perfekt läuft – und es gibt Unterschiede zwischen den einzelnen Bistümern und Landeskirchen. Insgesamt müssen die Kirchen sich aber nicht verstecken.
Frage: In Ihrem Report betonen Sie, dass Nachhaltigkeit nicht unbedingt teuer sein müsse und beispielsweise Solaranlagen mitunter sogar wirtschaftlich rentabel seien. Reicht das aus, dass sich ein Bistum Gedanken über Solaranlagen auf Kirchendächern macht und kann sich dann einfach zurücklehnen, weil das mit der Nachhaltigkeit schon läuft?
De Nocker: Nein, zurücklehnen können sich die Bistümer auf keinen Fall. Wie erwähnt: Kosten, die mit Umweltschutz verbunden sind, sind oftmals nicht bloße Kosten, sondern sinnvolle oder unvermeidbare Investitionen. Energie ist teuer, da kann sich eine Dämmung lohnen und beispielsweise bei alten Ölheizungen ist man rechtlich sogar gezwungen, Investitionen zu tätigen. Da gibt es also wirtschaftlich keine sinnvolle Alternative. Darüber hinaus kann man auch noch viel mehr machen. Wichtig ist, informiert zu sein, welche Maßnahmen dann welche Auswirkungen haben und was dann als lohnenswert eingestuft wird.
Frage: Aber nicht alle Bistümer und Landeskirchen sind in der Lage, viel Geld in die Hand zu nehmen …
De Nocker: Im Bereich Nachhaltigkeit gibt es natürlich Zielkonflikte und einer davon ist das Thema Geld. Wenn also beispielsweise das Erzbistum Freiburg sagt, dass es 120 Millionen Euro in Photovoltaik investiert – auch im Wissen, dass sich das nicht immer rechnen wird –, dann ist man im Erzbistum bereit, zusätzliches Geld zum Wohle des Klimas in die Hand zu nehmen. Das Geld muss man haben, viele andere Bistümer oder Landeskirchen haben das nicht. Das ist eine Dilemma-Frage und auch nicht verwerflich. Ein Beispiel: Wenn Sie im Kirchenvorstand sind und die Frage aufkommt, ob Sie das Kirchenland an einen Biobauern oder einen konventionellen Landwirt verpachten, dann werden Sie sehr genau schauen, was sich mehr rechnet und wer wieviel Pacht bietet, wenn mit den Einnahmen die nächste Jugendfreizeit finanziert werden soll. Fragen der Nachhaltigkeit kann man also nicht absolut sehen. Die Kirche darf sich nicht finanziell überfordern. Das Geld wächst nicht auf den Bäumen, manches Vorhaben wird man sich nicht leisten können, weil die Mittel woanders benötigt werden.
Frage: Muss die Kirche sich auch deswegen besonders Mühe geben, weil sie öffentlich Nachhaltigkeit und Bewahrung der Schöpfung anmahnt?
De Nocker: Ja, die moralische Fallhöhe in diesem Bereich ist ziemlich hoch. Wer sich zum "Mahner, Mittler und Motor" erklärt, der wird auch daran gemessen, was er von anderen verlangt. Das betrifft dann auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Wenn die Kirchen nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts organisiert wären, dann würde sich die Frage nach der Berichterstattung gar nicht stellen. Und kirchliche Einrichtungen wie Kindertagesstätten oder Einrichtungen der Diakonie und Caritas sind als gGmbH ohnehin zu diesen Berichten verpflichtet.
„Deswegen finde ich die Vergleiche, welcher Bischof welchen Dienstwagen fährt, auch populistisch.“
Frage: Ist es denn nicht trotzdem wenig zielführend und nur Symbolpolitik, wenn man einfach ein paar Solaranlagen auf den Dächern kirchlicher Immobilien installiert?
De Nocker: Nachhaltigkeit ist mehr als Symbolpolitik. Es reicht nicht einfach zu sagen: Wir haben fair gehandelten Kaffee im Tagungshaus und das Bischofshaus wird mit Ökostrom versorgt. Leitend ist immer eine "Wesentlichkeitsanalyse": Der größte Nachhaltigkeitshebel bei der verfassten Kirchen ist das Thema Gebäudesanierung und Heizungsenergie – und dann kommt lange nichts. Das sind 95 Prozent der Umweltauswirkungen, dort spielt die Musik. Deswegen finde ich die Vergleiche, welcher Bischof welchen Dienstwagen fährt, auch populistisch. Klar sind Symbole gerade bei Führungskräften wichtig, aber das ändert die Klimabilanz eines Bistums faktisch nicht.
Frage: Stichwort Klimabilanz: Die ersten (Erz-)Bistümer in Deutschland haben angekündigt, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen. Sie haben für Ihren Bericht viele Daten erhoben und Interviews geführt: Halten Sie dieses Ziel für realistisch?
De Nocker: Es gibt Bistümer und Landeskirchen bei denen es zu einhundert Prozent realistisch ist, dass sie diese Ziele erreichen, weil dort einfach viel passiert und das Thema hoch angesetzt wird. Es gibt aber auch Landeskirchen und Bistümer, bei denen dagegen manchmal eher der Wunsch Vater des Gedankens ist.
Frage: Was passiert denn, wenn solche selbst gesetzten Ziele nicht erreicht werden? Rein rechtlich drohen ja keine Konsequenzen.
De Nocker: Das ist dann vor allem peinlich und die Kirche verliert dadurch ihr wertvollstes Gut: Glaubwürdigkeit. Wenn ich etwas verspreche, dann muss ich auch sehen, dass ich es einhalten kann. Ansonsten sollte ich es lassen.
Nachhaltigkeitsreport der Kirchen in Deutschland 2024
Der gesamte Bericht "Nachhaltigkeitsreport der Kirchen in Deutschland 2024" ist auf der Internetseite des Beratungsinstituts "2denare" abrufbar.