Theologe warnt katholische Kirche als Minderheit vor "Weiter so"
Der im niederländischen Tilburg lehrende Theologieprofessor Jan Loffeld hat die katholische Kirche angesichts ihrer wachsenden Minderheitenposition in Westeuropa vor einem "Weiter so" gewarnt. "Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche pastoralen Visionen implizit immer noch davon ausgehen, dass der kirchliche bzw. religiöse Ressourcenspeicher so voll ist, wie etwa in den 1980ern: Breites religiöses Wissen und Praxis, finanzielle Sorglosigkeit, hohes Engagement im Ehren- und Hauptamt", sagte Loffeld am Donnerstag in einem Interview des Bistums Essen. All das habe sich jedoch fundamental gewandelt und werde sich weiter verändern. Eine Kirche in der Minderheit werde gut abwägen müssen, was sie aufgrund welcher theologischen Kriterien wie tue. "Anders ausgedrückt: Sie wird sich fragen müssen, welcher ihr eigentlicher Zweck ('Purpose') ist und wie sie ihn so leben kann, dass andere etwas davon haben bzw. es als persönlich bereichernd empfinden."
Zugleich warnte Loffeld die Kirche vor einer Anbiederung an den Zeitgeist: "In einer Gesellschaft, in der die Frage nach der Authentizität diejenige nach einer allgemeingültigen Wahrheit abgelöst hat, wird jede Anbiederung an einen vermeintlichen Zeitgeist oder an Dinge, die man intuitiv nicht mit dem Auftrag der Kirchen in Verbindung bringt, vermutlich eher Stirnrunzeln hervorrufen." Es herrsche allerdings weiterhin eine hohe soziale Erwartung an die Kirchen, weshalb sie all das tun sollten, worin sie vom Evangelium her ihren Auftrag erkennen würden und die geringer werdenden Ressourcen entsprechend zu verteilen. "Gerade, wenn man sich die derzeitige politische Landschaft anschaut, wird ein eindeutiges Eintreten für christliche Werte absolut dringlich", so Loffeld. Allerdings herrschten intern "heterogene Kirchenbilder", so dass es angesichts der Minderheitensituation notwendig sei, sich neu darüber auszutauschen, was die Kirche sei, solle und könne.
"Warscheinlich trägt jeder Mensch ein 'Gottesgen' in sich"
Mit Blick auf die fortschreitende Säkularisierung westlicher Gesellschaften erklärte der Theologe, dass Menschen heute immer weniger und seltener existentielle Anschlussstellen aktivierten, an die das Evangelium andocken könne. "Wenn wir weiterhin daran festhalten, dass der Mensch gottesfähig ist, also die Möglichkeit in sich trägt, mit Gott in Beziehung zu treten und mit ihm zu leben, so zeigt er sich jedoch in unserer Zeit als immer weniger gottesbedürftig." Gleichzeitig entdeckten einzelne Menschen Gott, die ihn lange nicht gekannt oder gebraucht hätten, auf unvorhergesehene Weise. "Dies zeigt, dass wahrscheinlich jeder Mensch ein 'Gottesgen' in sich trägt, jedoch nicht jede und jeder dieses während des Lebens zwingend aktiviert."
Loffeld äußerte sich am Rande der Veranstaltung "Wenn nichts fehlt, wo Gott fehlt. Wie gestalten wir Kirche, wenn der Glaube verschwindet?" in der Essener Bistumakademie "Die Wolfsburg", bei der es um das Leben als Kirche in der Minderheit ging. (stz)