Europas spirituell verarmte Kirche sollte nach Afrika und Asien gucken
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Papst Franziskus hat soeben Indonesien, Papua-Neuguinea, Osttimor und Singapur besucht. Hiesige Kommentatoren haben die Reise des 87-jährigen Pontifex als Gang an die Peripherien, ja als Reise "ans Ende der Welt" gedeutet. In der Tat ist es ein weiter Weg nach Asien und in die Pazifik-Region. Doch das Narrativ vom Gang an die Ränder setzt voraus, dass Europa das Zentrum der Kirche ist und Asien und Afrika die Peripherien. Dieses eurozentrische Narrativ, das in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch richtig gewesen sein mag, ist heute überholt.
Schon demografisch betrachtet ist klar, dass die katholische Kirche mit momentan 1,3 Milliarden Gläubigen in Afrika, Asien und Lateinamerika stärker ist als in den Ländern Westeuropas, wo die Kirche schrumpft. Auch die Vitalität des Glaubens ist im globalen Süden größer. Die Kirchen Westeuropas entfalten kaum noch missionarische Dynamik, sie haben die Jugend und die Familien weithin verloren – eine dramatische Lage. Der Papst aus Buenos Aires, dessen Pontifikat für den "Abschied von Europa" (Christian Stoll) steht, hat diese Verschiebungen längst registriert, die römische Kurie umgebaut und die Politik der Kardinalsernennungen verändert.
Natürlich kann man den Einflussverslust Europas beklagen, wie das jüngst auf der europäischen Versammlung der Delegierten des Synodalen Prozesses in Linz geschehen ist. Europa hat jahrhundertelang wichtige Impulse gesetzt. Man denke nur an den Diskurs über Glauben und Vernunft, die Auseinandersetzung mit der Kritik der Aufklärung und der säkularen Kultur. Statt einen Phantomschmerz zu beschwören und wieder mehr Einfluss Europas in Rom zu fordern, wäre es an der Zeit zu fragen, was die finanziell reiche und organisatorisch gut aufgestellte, aber spirituell verarmte Kirche hierzulande von den blühenden Kirchen in Asien und Afrika lernen kann. Wäre das nicht eine fällige Blickumkehr, die eine Halbierung des Reformdiskurses auf Strukturfragen heilsam aufbrechen könnte? Das Wort vom "Primat der Evangelisierung", das Papst Franziskus der Kirche in Deutschland ans Herz gelegt hat, harrt ja nach wie vor einer kreativen Rezeption.
Der Autor
Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.