Nur noch wenige deutsche Diözesen sind auf der Plattform aktiv

Wegen Musk und toxischem Klima: Immer mehr Bistümer verlassen "X"

Veröffentlicht am 02.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin ‐ Als "X" noch Twitter hieß, war das Netzwerk eine Art digitales Lagerfeuer, um das sich Millionen Menschen gerne versammelten. Seit der Übernahme der Plattform durch Elon Musk hat sich das geändert, viele Nutzer haben "X" seither resigniert verlassen. Das gilt auch für immer mehr deutsche Bistümer.

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Wer in diesen Tagen zu "X", dem früheren Twitter, recherchiert, bekommt viel Nostalgie zu hören. Wehmütig erinnern sich Gesprächspartner an die frühen Jahre der Plattform, an anregende Debatten, ebenso hilfreiche wie interessante Informationen und ein positives und von Neugier geprägtes Gesprächsklima. Die Welt als globales Dorf, gemeinschaftlich versammelt um das Lagerfeuer Twitter und stets auf der Suche nach neuen Erkenntnissen und guten digitalen Begegnungen – für Millionen Nutzer auf der ganzen Welt machte dies jahrelang den Reiz des 2006 in den USA gegründeten Netzwerks aus.

Doch diese Zeiten sind vorbei, und die meisten Gesprächspartner können genau sagen, wann sie vorbei waren: am 28. Oktober 2022 – dem Tag, an dem Elon Musk das Netzwerk übernahm. Seither, so beklagen viele, habe sich die von Musk in "X" umbenannte Plattform zu einem geradezu toxischen Ort verwandelt, an dem vor allem rechtsextreme Menschenfeinde und Verschwörungsmystiker den immer raueren Ton vorgäben.

Medienethikerin: Zunahme von Falschinformationen und Hate Speech auf "X"

Diesen Eindruck bestätigt gegenüber katholisch.de die österreichische Theologin und Medienethikerin Claudia Paganini. "Seit der Übernahme durch Elon Musk hat 'X' tiefgreifende Veränderungen erlebt, die vor allem in der schwächeren Inhaltsmoderation spürbar sind", erklärt sie. Da Musk eine radikale Interpretation von "Meinungsfreiheit" verfolge, sei es auf der Plattform zu einer Zunahme von Falschinformationen und Hate Speech gekommen. "Die Grenze zwischen Meinungsfreiheit und der Verbreitung schädlicher Inhalte wird zunehmend verwischt. Dies hat zu einer Entfremdung von Werbepartnern und Nutzern geführt und die Plattform in Teilen weniger attraktiv gemacht", so Paganini, die Medienethik an der Hochschule für Philosophie in München lehrt.

Bild: ©picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Elon Musk, Tesla-Chef, steht auf der Baustelle der Tesla Gigafactory.

Sinnbildlich für die Entwicklung von "X" steht dabei Musks eigener Account auf dem Netzwerk. Regelmäßig schlägt der Milliardär und glühende Donald-Trump-Unterstützer dort mit Troll-artigen und rechtspopulistischen Postings verbal über die Stränge. Erst vor wenigen Tagen sorgte er mit der Frage für Aufsehen, warum niemand versuche, ein Attentat auf US-Präsident Joe Biden und die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamal Harris zu verüben. Auch wenn Musk, der auf dem Netzwerk derzeit knapp 200 Millionen Follower hat, den von vielen Usern kritisierten Post nach ein paar Stunden löschte und später als verunglückten Scherz darstellte – inzwischen ermittelt sogar der Secret Service, ob Musk eine Bedrohung für die beiden Politiker darstellt.

Laut Medienberichten haben seit Musks Übernahme Millionen Nutzer die Plattform verlassen, viele davon ausdrücklich mit Verweis auf das Verhalten des Milliardärs und das dramatisch verschlechterte Debattenklima. Das gilt auch für immer mehr katholische Organisationen – und zeigt sich beispielhaft an den deutschen Bistümern. Während in der Hochphase von Twitter fast alle 27 Diözesen auf dem Netzwerk präsent waren, verfügen inzwischen nur noch 17 über eigene "X"-Accounts. Allerdings: Davon wiederum sind mehrere Accounts bereits seit Monaten oder sogar Jahren inaktiv. Das Bistum Münster etwa setzte zuletzt am 24. April einen Post ab, das Bistum Hildesheim am 16. März 2023 und das Bistum Limburg sogar zuletzt am 7. September 2020.

Bistum Mainz: "X" unter Musk im Widerspruch zu unseren Werten

In den vergangenen Monaten haben gleich mehrere Bistümer ihre Aktivitäten auf "X" bis auf Weiteres oder gar auf Dauer eingestellt – und dabei ebenfalls auf Musk und das auch von ihnen als negativ empfundene Klima auf der Plattform verwiesen. So postete das Bistum Mainz am 6. November 2023: "Liebe Community, wir haben Twitter genutzt, um Menschen zu erreichen und unsere Werte zu vermitteln. Wie sich Twitter, jetzt X, unter Elon Musk entwickelt hat, steht im Widerspruch dazu. Daher werden wir unsere Aktivitäten auf dieser Plattform bis auf Weiteres pausieren."

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Ähnlich äußerte sich Ende Juli das Bistum Trier. Die Diözese, die lange Zeit zur Spitzengruppe unter den deutschen Bistümern bei Twitter gehörte, löschte ihre "X"-Accounts zum 1. August und begründete dies damit, "dass in den letzten Jahren hasserfüllte, diskriminierende und desinformierende Inhalte auf X Überhand genommen haben". Man sei der Meinung, dass Meinungsfreiheit keine Ausrede sein dürfe, solche Inhalte ungefiltert zu verbreiten. "In den letzten Monaten haben wir uns daher schon weitgehend von X zurückgezogen. Nun ziehen wir den endgültigen Schlussstrich." Diesen zog erst vor wenigen Tagen auch das Bistum Speyer. Die Diözese löschte ihren "X"-Account und begründete dies auf Nachfrage von katholisch.de ebenfalls mit der negativen Entwicklung der Plattform.

Noch mit eigenen Accounts auf "X" vertreten sind aktuell die (Erz)Bistümer Bamberg, Berlin, Dresden-Meißen, Eichstätt, Hamburg, Köln, Magdeburg, München und Freising, Regensburg und Würzburg. Doch auch hier zeichnen sich bereits weitere Abgänge ab. So kündigte das Erzbistum Hamburg jetzt gegenüber katholisch.de an, seine Nutzung von "X" einstellen zu wollen. Die Plattform habe sich nie als essenzieller Kommunikationskanal für das Erzbistum durchgesetzt und es habe kaum sinnvolle Interaktionen gegeben. Außerdem sei die Zunahme von Verschwörungserzählungen, Falschinformationen oder Hass in den Diskussionen auffällig.

Bistum Würzburg will eigene "X"-Profile ebenfalls abschalten

Gleiches ist aus dem Bistum Würzburg zu hören. Man habe die eigenen Aktivitäten auf "X" bereits im August eingestellt und werde die vorhandenen Profile abschalten, sagt Online-Leiter Johannes Schenkel. Das Bistum beobachte seit Monaten sehr genau die Veränderung der Tonalität, aber auch der Algorithmen auf der Plattform. "Mittlerweile sehen wir deutlich, dass sich der ausgespielte Inhalt auf den uns zugänglichen Profilen gezielt geändert hat, um Stimmung im Sinne Elon Musks zu erzeugen." Auf "X" selbst hat sich die Diözese vor ein paar Tagen zum wohl letzten Mal zu Wort gemeldet: "Viele Jahre lang war Twitter für uns ein guter Ort für aktuelle Informationen aus dem Bistum. X unter Elon Musk bietet uns keine stimmige Heimat mehr", heißt es dort.

Bild: ©Kathpress / Stefan Schönlaub

Noch ist der Account von Wiens Kardinal Christoph Schönborn der größte eines deutschsprachigen Bischofs bei "X". Doch bleibt der bald 80-Jährige auf der Plattform?

Claudia Paganini kann die Bedenken der Bistümer gegenüber "X" nachvollziehen, die weitere Nutzung der Plattform sei für kirchliche Einrichtungen eine "Gratwanderung". Die Frage, ob man durch eine eigene Präsenz auf dem Netzwerk Musk und seine Ideologie unterstützen wolle, bleibe prekär – "gerade für Kirchenvertreter, von denen zu Recht hohe moralische Standards erwartet werden". Gleichwohl sieht die Medienethikerin in "X" auch für die Kirche und ihre Einrichtungen weiterhin ein relevantes Medium, um direkt mit einer breiten und vielfältigen Öffentlichkeit zu kommunizieren. "Es bietet eine Plattform für schnelle Reaktionen auf gesellschaftliche Debatten und ermöglicht es, spirituelle und soziale Botschaften weit zu streuen", so Paganini.

Kirchenvertretern und kirchlichen Institutionen, die auf "X" bleiben, empfiehlt sie, dort eine klare und positive Kommunikation zu pflegen und sich auf die Förderung konstruktiver Dialoge zu konzentrieren. "Außerdem sollten sie Trollen und provokanten Inhalten so begegnen, dass sie sich einmal deutlich distanzieren, sie aber ansonsten weitgehend ignorieren und sich keinesfalls auf ausufernde Debatten einlassen, die zu keinem Ergebnis führen werden." Stattdessen, so Paganini, könnten Kirchenvertreter die eigenen Kernbotschaften konsequent und authentisch vertreten. Zudem lasse sich selbstverständlich auch im Netz und konkret auf "X" eine Option für die Armen ergreifen, indem man sich beispielsweise mit digitaler Zivilcourage einbringe, wenn Menschen Opfer von Hate Speech würden.

Was wird aus dem größten deutschsprachigen Bischofs-Account auf "X"?

Gleichwohl denke auch sie selbst immer wieder darüber nach, ihren eigenen Account auf "X" zu löschen, bekennt Paganini. "Letztlich überwiegt bei mir aber die Überzeugung, dass Orte wie 'X' nur noch kälter und aggressiver werden, wenn Menschen, denen Empathie und konstruktiver Dialog wichtig sind, sich zurückziehen." Sie sei aber nicht überzeugt, "dass meine Entscheidung die Richtige ist".

Klar dürfte allerdings sein: Solange "X" in den Händen von Elon Musk bleibt und sich die Entwicklung der vergangenen zwei Jahre fortsetzt, dürfte auch der Exodus katholischer Accounts weitergehen. Und der könnte bald auch den mit rund 21.000 Followern bislang reichweitenstärksten Account eines deutschsprachigen Bischofs auf "X" betreffen – in diesem Fall allerdings aus anderen Gründen. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn wird im Januar 80 Jahre alt und dürfte deshalb von seiner baldigen Emeritierung ausgehen. Ob der Kardinal danach weiter bei "X" aktiv bleibt, ist nach Angaben seines Erzbistums "derzeit noch offen".

Von Steffen Zimmermann