Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentags zur DBK-Erklärung

Ansorge: Theologie kann nicht im Elfenbeinturm betrieben werden

Veröffentlicht am 03.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ Die katholische Theologie steht vor zahlreichen Herausforderungen. Mit einer Erklärung will die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) jetzt ihre Bedeutung hervorheben. Im katholisch.de-Interview ordnet der Vorsitzende des Katholisch-Theologischen Fakultätentags, Dirk Ansorge, das Papier ein.

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Die Zukunft der katholischen Theologie in Deutschland hat die deutschen Bischöfe auch bei ihrer Vollversammlung in Fulda beschäftigt. Dort haben sie die Erklärung "Katholische Theologie als kulturelles Laboratorium" veröffentlicht. Das Dokument wurde von der Wissenschaftskommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag (KThF) vorbereitet und am Dienstag veröffentlicht. Im katholisch.de-Interview spricht der KThF-Vorsitzende Dirk Ansorge über das Papier und die Entwicklung der katholischen Theologie. 

Frage: Professor Ansorge, die deutschen Bischöfe haben am Dienstag ihre Erklärung "Katholische Theologie als kulturelles Laboratorium" veröffentlicht. Was ist mit dieser sehr bildhaften Überschrift gemeint?

Ansorge: Damit wird Papst Franziskus zitiert, der in seiner Apostolischen Konstitution "Veritatis gaudium" (2017) die Position der wissenschaftlichen Theologie im Gesamt der Kirche darstellt. Theologie als kulturelles Laboratorium meint, dass man den christlichen Glauben in die jeweiligen Zeitumstände und Kulturen einfügen und so seine Bedeutung für heute hervorheben soll. Es geht darum, dass der Glaube nicht als etwas in sich geschlossenes Ganzes aufgefasst wird, das keine Beziehung zum Menschen und zu den Kulturen hat, in denen wir leben, sondern dass ein lebendiger Austausch stattfindet.

Frage: Die Bischöfe nennen auch Herausforderungen für die staatlichen und kirchlichen Hochschulen, unter anderem die Krise der katholischen Kirche. Inwiefern wirkt sich diese Krise auf die universitäre Theologie aus?

Ansorge: Als Theologinnen und Theologen beschäftigen wir uns natürlich mit den Herausforderungen, die sich aus dem Missbrauchsskandal ergeben. Das ist besonders in Deutschland ein zentrales Thema. Die Frage des Klerikalismus ist von Papst Franziskus selbst angesprochen worden. Was bedeutet das für die Strukturen der Kirche? Was bedeutet das für die Entscheidungsvorgänge innerhalb kirchlicher Institutionen? Was bedeutet das für das kirchliche Amt? All das sind Fragen, die Papst Franziskus selbst aufgeworfen hat und die wir theologisch beantworten wollen. Zugleich merken wir, dass die Missbrauchskrise in Deutschland zu einem massiven Vertrauensverlust geführt hat. Das wiederum wirkt sich auch auf die Zahl der Studierenden aus, die an unseren Fakultäten und Instituten ein Theologiestudium beginnen.

Dirk Ansorge, Theologe und neuer Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentags (KThF)
Bild: ©KNA/Annika Schmitz

Theologie muss den Austausch mit anderen nicht-theologischen Wissenschaften suchen, sagt Dirk Ansorge. Er ist Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt. Seit Anfang 2023 ist Ansorge Vorsitzender des Katholisch-Theologischen Fakultätentags (KThF). Der KThF ist der Zusammenschluss der theologischen Fakultäten und Fachbereiche an staatlichen und kirchlichen Hochschulen sowie von Instituten für die Ausbildung katholischer Religionslehrkräfte. Er nimmt gemeinsame Interessen der wissenschaftlichen Einrichtungen gegenüber Staat und Kirche wahr.

Frage: Sie sprechen das rückläufige Interesse am Theologiestudium an: Welche Konsequenzen hat das für die akademische Theologie?

Ansorge: Wir können durchaus feststellen, dass die Zahlen der Interessentinnen und Interessenten nicht nur für das Vollstudium, sondern auch für Lehramtsstudiengänge zurückgehen. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, weil es praktische Fragen aufwirft, etwa, wie ein Seminar durchgeführt werden kann, an dem nur noch wenige Studierende teilnehmen: Wie kann man das dann noch pädagogisch und methodisch gestalten? Mittelfristig steht die akademische Theologie auch vor der Herausforderung, ausreichend wissenschaftlichen Nachwuchs bereit zu stellen. 

Frage: Die jetzt veröffentlichte Erklärung ist nicht die erste, die die Bischofskonferenz in letzter Zeit zum Thema Theologie veröffentlicht hat. Im Juni gab es die Stellungnahme "Theologie in der Gesellschaft" von der Glaubenskommission der Bischofskonferenz. Wieso gibt es jetzt zwei Dokumente?

Ansorge: Das Papier aus dem Juni stammt von der Glaubenskommission und ist kein Papier der Bischofskonferenz als Ganzes. Es ist also vorbereitend gedacht worden. Sie können daran sehen, dass die Bischöfe sich sehr intensiv mit der Thematik beschäftigen. Das Entscheidende am jetzt veröffentlichten Papier ist, dass es einstimmig von der gesamten Bischofskonferenz in Fulda als Stellungnahme zur Bedeutung der katholischen Theologie verabschiedet wurde.

Frage: Wenn man beide Dokumente miteinander vergleicht, fällt auf, dass sich das Dokument der Glaubenskommission aus dem Juni explizit für Theologie an staatlichen Universitäten ausspricht. Die neue Erklärung hebt eindeutig auch auf Hochschulen in kirchlicher Trägerschaft ab. Wie passt das zusammen?

Ansorge: Dass dieses Papier, das jetzt von der gesamten Bischofskonferenz veröffentlicht wurde, sämtliche Hochschulen und Institute umfasst, ist naheliegend. Katholische Fakultäten gibt es ja nicht nur an staatlichen Universitäten, sondern auch an kirchlichen Hochschulen. Der interdisziplinäre und transdisziplinäre Anspruch der Theologie, der mit dem Stichwort "kulturelles Laboratorium" angedeutet ist, wird in beiden Dokumenten klargemacht. Auch im neuen Dokument wird der Anspruch deutlich, dass Theologie nicht nur im Elfenbeinturm betrieben wird, sondern gerade den Austausch mit den nicht-theologischen Wissenschaften sucht.

Frage: Wie funktioniert das denn an kirchlichen Hochschulen, so die Theologie ja nicht unbedingt in einen so großen wissenschaftlichen Fächerkanon eingebunden ist, wie an staatlichen Universitäten?

Ansorge: Ich arbeite selbst an einer kirchlichen Hochschule und es ist keinesfalls so, dass wir nicht in verschiedene Wissenschaftsverbünde eingebunden wären. Für die Hochschule Sankt Georgen gesprochen betrifft das etwa ein Graduiertenkolleg, in dem wir mit der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz und der Goethe-Universität in Frankfurt zusammenarbeiten. Wir haben einen Lehrstuhl, der am Oswald von Nell-Breuning-Institut in Frankfurt angesiedelt ist und wo es einen intensiven Dialog mit Wirtschaftswissenschaften an den Hochschulen um uns herum gibt. Auch kirchliche Hochschulen arbeiten also intensiv transdisziplinaritär.

Frage: Die Bischöfe betonen in ihrer Erklärung, sich für "kürzere und transparentere Verfahren" zum "nihil obstat" einzusetzen. Im Januar hat eine Studie dargelegt, dass das Verfahren gerade beim wissenschaftlichen Nachwuchs für Angst und Druck sorgt und sogar dazu führt, dass bestimmte Themen nicht bearbeitet werden. Denken Sie, dass hier zeitnahe Änderungen geben wird?

Ansorge: Die Studie hat ja auch ergeben, dass die Verfahrensdauer in den letzten Jahren durchaus kürzer geworden ist. Das hängt aus meiner Sicht mit einer veränderten Einstellung der römischen Behörden gegenüber der Theologie insgesamt und gegenüber der Theologie in Deutschland im Speziellen zusammen. Auf diesem Weg können wir sicher noch weiter vorangehen, um Befürchtungen bei Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern – die zweifellos gegeben sind – weiter auszuräumen. In Gesprächen, die ich mit Vertretern der Bildungskongregation in Rom geführt habe, ist vollkommen klar, dass es dort nicht um ein Wiederaufleben alter inquisitorischer Verfahren geht, sondern dass man wirklich konstruktiv mit Blick auf die Weltkirche eine Verantwortung für die Theologie im Ganzen wahrnehmen will. Inwiefern man diese Prüfung nach Deutschland verlegen kann oder ob sie weiter von Rom aus zentral organisiert werden muss, ist offen und strittig. Dazu finden aber Gespräche statt und ich bin ganz zuversichtlich, dass wir da auf einem guten Weg sind.

Frage: Am Schluss der Erklärung heißt es, katholisch-theologische Fakultäten und Institute sowie die einzelnen Disziplinen der Theologie mögen sich "inhaltlich und strukturell fortentwickeln". Wie kann denn so eine Fortentwicklung aus Ihrer Sicht heute aussehen?

Ansorge: Auch hier geht es wieder um die Stichworte Transdisziplinarität und Interdisziplinarität. Die Bischöfe sind wirklich daran interessiert, dass der Dialog mit den nicht-theologischen Wissenschaften auch auf akademischem Niveau intensiviert wird, um die Gesprächsfähigkeit auf den drei Feldern, die in der Erklärung angesprochen werden – Universität, Gesellschaft und Kirche – zu vertiefen.

Frage: Laut der Pressemitteilung der Bischofskonferenz gibt es bereits einen Konsultationsprozess zwischen Bischöfen und dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag. Wie ist denn da der Stand? Geht es dabei auch um diese Trans- und Interdisziplinarität?

Ansorge: Das gehört sicher dazu. Dabei geht es aber auch um rechtliche Rahmenbedingungen. Die Fakultäten und Institute sind ja zunächst einmal in den Hochschulen strukturell eingebunden. Zugleich sind die Gesprächspartner die Bistümer, bei hochschulpolitischen Fragen auch die Landesregierungen und dann eben der erwähnte Heilige Stuhl in Rom. Diese Zusammenhänge sind in den Bundesländern unterschiedlich geregelt. Konsultationsprozess heißt, dass wir uns diese verschiedenen Parameter, die für die Fortentwicklung der Theologie wichtig sind, gemeinsam anschauen. Da gibt es dann auch Gutachten über die jeweilige konkordatäre Verankerung der Einrichtungen der Fakultäten in den Ländern.

Von Christoph Brüwer