Das "österreichische Modell": Vorbild für die deutsche Kirchensteuer?
Seit vielen Jahren wird intensiv über die verstärkte Partizipation von Gläubigen bei der Verwendung von Kirchensteuern nachgedacht. Auch in der Diskussion auf dem Synodalen Weg zeigte sich, dass das Haushaltsrecht bei einem synodalen Rat und nicht mehr nur bei den Bischöfen beziehungsweise den Kirchensteuerräten alleine gesehen wird. Jetzt geht die österreichische Bischofskonferenz einen neuen Weg.
Zuerst einen Schritt in die Geschichte: Mit der Einführung der Kirchensteuer verlangte der preußische Staat, dass Kirchenvorstände eingeführt wurden (no taxation without representation). Diese zunächst als Ortskirchensteuer veranlagte Steuer wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur diözesanen Steuer. Im Rahmen dieser Umstrukturierung wurden Diözesankirchensteuerräte etabliert, die mehrheitlich demokratisch gewählt werden, über die Höhe des Hebesatzes und die Aufstellung des Haushaltes entscheiden beziehungsweise den Haushalt dem Bischof zur Genehmigung vorlegen. Diese Beteiligung legitimiert das Kirchensteuersystem. In diesem Modell kann sich der Kirchensteuerzahler, dessen Kirchensteuerzahlung mehr oder minder zwanghaft vom staatlichen Finanzamt eingezogen wird, der Zahlung nur durch Austritt entziehen.
Partizipation ist das Zauberwort
Anlässlich der nachlassenden Mitgliederbindung an die Kirche stellt sich vermehrt die Frage, wie die Bindung zwischen Kirchensteuerzahler und der Kirche gestärkt werden kann. Die Antwort lautet: Partizipation ermöglichen, denn Partizipation stärkt Bindung.
Der Staat, hier vor allem die Kommunen, haben, um dem Bürger mehr Teilhabe zu ermöglichen, mit der Einführung sogenannter "Bürgerhaushalte" reagiert. So soll die direkte Partizipation der Bürger gefördert und die Entscheidungsgewalt von den Parlamenten ein Stück weit auf den Bürger übertragen werden.
Die katholischen Diözesen in unserem Nachbarland Österreich haben ein Kirchenbeitragssystem. Nun wird dort ein neues Modell angeboten: Die Beitragszahler können bis zu 50 Prozent ihres Kirchenbeitrages bis zu zwölf verschiedenen kirchlichen Aufgabenbereichen widmen, zum Beispiel der Caritas oder Projekten in Ökologie und Bildung. Ein wesentlicher Teil des Kirchensteuerbeitrages wird damit zu einer "zweckgebundenen" Spende an eine kirchliche Institution, über die der Erzbischof beziehungsweise die Gremien nicht mehr direkt verfügen können. Der Kirchenbeitragszahler bekommt am Ende des Jahres einen Verwendungs- und Leistungsnachweis.
Die Motivation hinter diesem Vorschlag der stärkeren Beteiligung der Kirchenmitglieder bei der Verteilung der Kirchenbeiträge ist die erhoffte stärkere Bindung der Mitglieder an die Kirche. Dieser Ansatz unterscheidet sich fundamental von der viel diskutierten Kultursteuer in Italien oder Spanien, da das Verfahren in Österreich mitgliederorientiert ist, während die Kultursteuer eine allgemeine staatlichen Steuer für jeden Steuerzahler im Lande ist, ob er/sie Mitglied in einer Kirche ist oder nicht. Auch entscheidet der Kultursteuerzahler nicht über die genauen Aufgabenfelder wie im österreichischen Modell.
Pro und Contra
Kann das "Modell Österreich" ein Vorbild für die katholische Kirche in Deutschland sein? Argumente für die Übernahme dieses Modells bestehen darin, dass es die Zuständigkeit und damit die Macht der Bischöfe, der Generalvikariate, aber auch der Kirchensteuerräte reduziert, da sie über einen wesentlichen Teil der Kirchensteuermittel nicht mehr direkt verfügen können. Gleichzeitig würde die Einführung dieses Modells dazu führen, dass sich die unterschiedlichen kirchlichen Einrichtungen und Initiativen in einen (geschützten) Wettbewerb um die Gelder der Kirchensteuerzahler begeben müssten. So wird deutlich, mit welchen Projekten, Einrichtungen und Themenfeldern sich die Gläubigen mehr oder weniger stark identifizieren. Sicherlich wird es auch die Mitgliederbindung verstärken, da den Gläubigen mehr Einfluss und Teilhabe zugetraut wird.
Gibt es Argumente, die gegen dieses System sprechen? In Österreich entscheiden nur die Beitragszahler über die Verwendung. Dabei muss man wissen: in Deutschland (aber auch sicherlich in Österreich) zahlen nur circa 50 Prozent aller Mitglieder Kirchensteuer. Die Anwendung des österreichischen Systems würde dazu führen, dass vor allem die "Reichen" die kirchlichen Aufgabenbereiche wesentlich beeinflussen können und es in Folge zu unerwünschten Nebeneffekten kommen könnte. Man muss wissen, dass circa 15 Prozent aller Kirchensteuerzahler für 80 Prozenz des gesamten Kirchensteueraufkommens aufkommen. Die direkte Partizipation der mehrheitlich wohlhabenden Mitglieder bei der Verwendung der Kirchensteuermittel wirft die grundsätzliche inhaltliche Fragen auf, ob wir ein kapitalorientierten Entscheidungsprozess (wer mehr Kirchensteuer zahlt, bestimmt mehr über den Haushalt eines Bistums) haben möchte oder mehr ein demokratisches, genossenschaftliches Modell, in dem alle Mitglieder, unabhängig von der Höhe ihres Betrages, gleichberechtigt mitentscheiden, bevorzugen.
Zudem stellt sich die Frage: Was passiert zum Beispiel, wenn die etwa die Caritas keine ausreichende finanzielle Unterstützung mehr bekäme? Würden dann karitative Aufgaben aufgegeben und/oder reduziert? Wie wird eine Grundversorgung gesichert? Durch die verbleibenden 50 Prozent Kirchenbeitragsmittel?
Und noch ein "technischer" Hinweis: Während es in Österreich relativ einfach ist, die genaue Höhe des Beitrags jedes einzelnen Zahlers durch die bischöfliche Behörde zu identifizieren und damit dem gewünschten Zweck zuzuordnen, wird die Kirchensteuer in Deutschland anonym eingezogen und pauschal von den Steuerbehörden an die Generalvikariate überwiesen. Die Ausnahme ist die Kircheneinkommenssteuer in Bayern. Dieses Problem müsste organisatorisch mit Hilfe des Finanzamtes gelöst werden, welches meines Erachtens verpflichtet ist, die Namen der Steuerzahler und die Höhe der Steuerzahlung an die Kirchen zu melden.
Den Nachteilen entgegenwirken
Diese Nachteile des österreichischen Modells könnte in Anlehnung an die bestehenden "Bürgerhaushalte", wo alle (!) stimmberechtigten Bürger über einen Teil des Haushaltes entscheiden, entgegengewirkt werden. Es wird bei den Bürgerhaushalten immer nur über eine Teilbetrag des Haushaltes entschieden, da die Kommunen "Pflichtaufgaben" übernehmen und es auch Verpflichtungen gegenüber Mitarbeitenden gibt. Ähnliches gilt für Diözesen. Die Kirchensteuerräte könnten zum Beispiel einen solchen Teilbetrag zur Abstimmung durch die Mitglieder festlegen, ohne dass die wirtschaftliche Stabilität einer Diözese gefährdet würde. In Zeiten von "digitalen" Wahlen dürfte eine Mitgliederbeteiligung kein Problem sein und die damit verbundenen Kosten eine gute Investition in die Partizipation von Gläubigen sein.
Wie würde dies praktisch aussehen? Einmal im Jahr werden alle Katholiken einer Diözese befragt, wofür ihre Kirchensteuer anteilig verwendet werden sollte. Das Ergebnis dieser Befragung für den Teilbetrag (wie wäre es zum Start mit zehn Prozent der Kirchensteuer?) wäre verbindlich für Bischof und Gremien. Dieses Verfahren dürfte deutlich gerechter sein als das Modell Österreich und am Ende zu mehr Akzeptanz bei den Kirchensteuerzahlern führen.
Der Autor
Dirk Wummel ist ehemaliger Finanzdirektor des Erzbistums Paderborn. Seit 1. September ist er im Ruhestand.