Ein Gastbeitrag vom Kölner Pastoralreferenten Peter Otten

Stempel statt Erinnerung? So eine Kommunionvorbereitung macht traurig

Veröffentlicht am 16.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Peter Otten – Lesedauer: 

Bonn/Köln ‐ Eine Gemeinde irgendwo in Westdeutschland: Eltern sollen ihre Kinder zu Hause auf die Erstkommunion vorbereiten. Die Gottesdienstteilnahme wird per Stempel erfasst. Ein Gastbeitrag von Peter Otten über Beziehungen und eine lähmende Kirchendepression.

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Gestern schickte mir eine bestürzte Mutter den Anmeldezettel zur Erstkommunion ihres Kindes in einer westdeutschen Gemeinde. Am Schluss des Dokuments unterschreibt sie, dass sie über die "verbindlichen Elemente der Erstkommunion informiert worden" sei. Insbesondere auf die Teilnahme an den Messfeiern und Wortgottesdiensten sei hingewiesen worden. "Die Erinnerungen an die Gottesdienste werden in einem Stempelheft der Kinder gesammelt. Darüber hinaus ist uns bewusst, dass nur dann eine ausreichende Vorbereitung auf die Erstkommunion erfolgt ist, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind." Beim Lesen kam mir für einen Moment mit einer Spur Ironie in den Sinn, es könne nur wirklich kein Zufall sein, dass ich gerade vor wenigen Minuten einen Kaufvertrag für einen neuen Geschirrspüler unterschrieben hatte.

Aber mich macht ihre Schilderung in erster Linie traurig. Ich habe auf der Homepage der Gemeinde nachgesehen und vermute, dass die KollegInnen dort krass unterbesetzt sind. Vielleicht ist das ein Grund für dieses Vorgehen. Vielleicht haben sie dort keine andere Idee. Es gebe keine Kindergruppen, so die Mutter, die Eltern bekämen Material ausgehändigt, mit dem sie wöchentlich ihre Kinder zu Hause selbst vorbereiten sollen. Gruppen seien möglich, müssten aber von den Eltern selbst organisiert werden. Empfohlen seien 45 Minuten pro Woche. Gemeinsam erlebten die Kinder lediglich die Gottesdienste.

Hätte Jesus Erinnerungsstempel verteilt?

Die Mutter beschrieb mir ihr Unbehagen. Sie finde, das Konzept und der Umgang mit ihr sei wenig einladend. Sie habe das Gefühl von Geringschätzung, weil die Pfarrei vielleicht denke, sie und andere gingen eh nicht zum Gottesdienst, warum sollten sich die Verantwortlichen Mühe geben. Besonders traurig macht mich der Gedanke, dass Erinnerungen an die Gottesdienste in einem Stempelheft gesammelt werden. Man stelle sich vor, Jesus hätte beim letzten Abendmahl kein Brot gebrochen, sondern Erinnerungsstempel verteilt. "Sooft ihr eure Hefte stempelt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt." Völlig absurd.

Sind Erinnerungen nicht das komplette Gegenteil von Stempel, nämlich lebendige Erzählungen, Geschichten? Erinnerungen sind doch Beziehungsgeschehen, Abenteuer, Expeditionen. Hat es nicht genau deswegen in der analogen Zeit mal Fotoalben gegeben? Und ist die Bibel nicht genau deswegen vor allem ein Erinnerungsbuch? Weil die Menschen gemerkt haben, die Beziehungsgeschichten der Menschen mit Gott sind unter anderem deswegen so wertvoll und aufregend, weil sie im Weitererzählen sogar für die Menschen lebendig und bedeutsam werden, die sie Generationen später vorgelesen und erzählt bekommen? Also in diesem Fall für die kleinen Menschen in der Gemeinde irgendwo in Westdeutschland? Ist das Christentum nicht Beziehungs- und Erzählreligion und liegt darin nicht auch ihr großer Charme?

Bild: ©Sebastian Linnerz

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln und Standpunkt-Autor bei katholisch.de.

Und im Erinnerungsgeschehen der Eucharistie verdichten sich doch alle heilmachenden Beziehungsgeschichten Jesu zu einer handfesten, bleibenden Erinnerung. Diese aufregende Hermeneutik wird doch durch ein Stempelhermeneutik plattgemacht. Wie eine Fliege durch eine Fliegenklatsche.

Bedrückend und traurig ist auch ein weiterer Gedanke. Während die Familien mit dem Material und den anempfohlenen 45 Minuten wöchentlicher Vorbereitungszeit weitgehend sich selbst überlassen bleiben, scheint ein gefülltes Stempelheft eine zwingende Bedingung für eine ausreichende Vorbereitung auf die Erstkommunion zu sein. Das Beziehungsgeschehen in den Familien? Um es mit dem Wendler zu sagen: "Egal." Die Erzähl- und Beziehungswelt der Menschen spielt in der Katechese offenbar keine Rolle. Die Kirche erscheint im Gewand eines Einwohnermeldeamtes: ein strenges Gegenüber, sachlich, wenig empathisch und noch dazu gestresst und unterbesetzt. Und vor allem machtbewusst im Gewand von amtlicher Beurkundung. Wie und vor allem: Warum um Himmels Willen sollten Menschen diese Erfahrungen als bleibend bedeutsam und gar heilsam für ihr Leben und das ihrer Kinder erleben? Früher gab es vielleicht noch das Autoritätsargument. Aber das war auch früher schon Quatsch. Weil Autorität aus reinem Machtbewusstsein und handfeste Zuwendung Gottes einander immer schon ausgeschlossen haben. Autorität hat man nicht. Sie wird vom Gegenüber verliehen. Der Stempel ist kein Ausdruck von Autorität. Er ist bestenfalls so etwas wie die letzte Patrone.

Hat nicht beides miteinander zu tun? Geschieht Kommunion nicht vor allem draußen in der Welt, wo Menschen in den alltäglichen Herausforderungen miteinander das von Gott teilen, was sie als heilsam erfahren? Muss nicht gerade die Verbindung gelingen: Gemeinschaft mit Gott und untereinander in der Eucharistie einerseits, die sich andererseits in den alltäglichen Herausforderungen der Menschen spiegelt, heilsam lebendig wird? Und umgekehrt: Erfahrungen von heilsamen Kommunionserfahrungen in der Welt, die in der Eucharistie erinnert, bedacht, gefeiert werden? Ist nicht genau das Vergegenwärtigung Jesu?

Wir beurkunden amtlich, worauf wir selbst nicht mehr vertrauen

Vielleicht ist die Anmutung der geschilderten Erstkommunionkatechese ein Ausdruck dessen, was Paul Zulehner jetzt eine "kräfteraubende, ja geradezu lähmende Kirchendepression" genannt hat. Jammern über die eigene Bedeutungslosigkeit, wobei ich manchmal den Verdacht habe, wir spüren sie selbst nicht mehr. Nur noch ein Stempel gibt vermeintliche gefährliche Gewissheit. Kirche im Modus des Stempelns. Die eigentlichen Nihilisten sind wohl oftmals wir selbst. Weil wir nur noch amtlich beurkunden, worauf wir selbst nicht mehr vertrauen. Eine Kirche, die davon überzeugt ist, dass Gott in sich Beziehung ist, sollte Menschen doch nicht mit Stempelheften und kopierten Blättern allein lassen.

Sakramentenkatechese kann doch nur gelingen, wenn sie Beziehungsgeschehen ist. Wenn die Kirche gastfreundlich ist und neugierig auf Menschen. Die Kirche muss Menschen mögen, wenn sie davon überzeugt ist, dass Gott die Menschen mag. Sie muss neugierig auf ihre Geschichten bleiben, in denen Menschen ihr Brot teilen, wenn sie davon überzeugt ist, dass der Satz "Gott ist ein Freund des Lebens" keine zu Tode zitierte Sprechblase ist. Eine Kirche, die die überschäumende Zuwendung Gottes in der Welt nicht mehr darstellen kann oder will - mit anderen Worten: nicht sakramental greifbar macht - ist vor allem eins: unglaubwürdig. Und unnötig. Keine Frage: es braucht neue kreative Wege und Ideen angesichts schwindender Ressourcen. Die gibt es ja auch, Gott sei Dank. Die Sakramentalität jedoch einfach gedankenlos, deprimiert, ermüdet oder sogar mutwillig fahren zu lassen ist doch keine Option. Die Unterschrift unter den Kirchenaustritt ist doch sonst der nächste folgerichtige Schritt.

Von Peter Otten