Standpunkt

Hengsbach-Studie: Wichtiger Schritt zu heilsamer Entmythologisierung

Veröffentlicht am 22.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Roland Müller – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Missbrauchsstudie zu Kardinal Hengsbach geht einen neuen Weg: Sie blickt nicht nur auf seine Zeit als Ruhrbischof, sondern auf sein ganzes Leben. Roland Müller erkennt daran, dass die Kirche etwas Entscheidendes über Missbrauch gelernt hat.

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Roland Müller, katholisch.de

Er war dreifacher Ehrendoktor, Honorarprofessor und Träger des Bundesverdienstkreuzes – Kardinal Franz Hengsbach wurde zu Lebzeiten mit Ehrungen überhäuft. Im Ruhrgebiet und in seiner Diözese Essen galt der beliebte Kirchenmann als Lichtgestalt. Kein Wunder, dass 2011 (noch) niemand glauben wollte, dass Hengsbach ein Missbrauchstäter gewesen sein soll. Doch inzwischen haben sich die Vorwürfe gegen den 1991 verstorbenen Kardinal erhärtet und eine Missbrauchsstudie wird bis zum Herbst 2027 weitere Klarheit in das Dunkel im Leben des ersten Ruhrbischofs bringen.

Die Untersuchung geht dabei einen neuen Weg: Sie wird das ganze Leben von Hengsbach unter die Lupe nehmen – und damit zu einer heilsamen Entmythologisierung des verklärten Purpurträgers beitragen. Zu diesem Zweck haben sich das Bistum Essen und das Erzbistum Paderborn mit dem Katholischen Militärbischofsamt, dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken und dem Hilfswerk Adveniat zusammengeschlossen. Diese kirchlichen Institutionen prägten den Lebensweg des mutmaßlichen Täters und könnten Orte für Missbrauch gewesen sein. 

Der Blick auf die gesamte Biografie ist ein Novum unter den zahlreichen Studien deutscher Diözesen und anderer kirchlicher Einrichtungen. Denn hier zeigt sich, dass verstanden wurde, wann und wo Missbrauch passieren kann: jederzeit und überall. Die bisherigen Untersuchungen haben bereits belegt, dass Täter ihr Verhalten nach einem Ortswechsel nicht geändert und sich immer wieder neue Opfer gesucht haben. 

Die Studie zu Hengsbach will nach Aussage der beauftragten Wissenschaftler keine „Skandalgeschichte“ zutage fördern, sondern einen unverstellten Blick auf das Leben einer historischen Persönlichkeit liefern. Gerade in der Kirche gibt es eine starke Tendenz, charismatische Gottesmänner und seltener auch -frauen zu heroischen Glaubensvorbildern zu erheben. In nicht wenigen Fällen haben Missbrauchstäter das auch zu nutzen gewusst, um ihre Verbrechen zu vertuschen. Die Hengsbach-Studie kann nun bald einen Beitrag dazu liefern, dass die kirchliche Öffentlichkeit eines nicht vergisst: wie problematisch die Überhöhung von Menschen ist. Damit wird sie hoffentlich zum Vorbild für viele weitere Studien, die noch geschrieben werden müssten.

Von Roland Müller

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.