Berufungsverantwortlicher: Mache mir wenig Sorgen um die Kirche
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Der Priestermangel ist in der Kirche hierzulande mehr und mehr spürbar: Pfarreien werden zusammengelegt, die sonntäglichen Messen je Kirche seltener. Was bedeutet das für die Zukunft der Kirche? Im Interview erklärt der Direktor des Zentrums für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz, der Jesuitenpater Clemens Blattert, warum sich die Kirche auch für neue Berufungen ändern muss.
Frage: Wenn wir uns über die Zukunft der Kirche unterhalten, reden wir auch über die Menschen in dieser Kirche – Menschen, die eine Berufung spüren und diese Kirche ausmachen. Sie sind Direktor vom Zentrum für Berufungspastoral der Deutschen Bischofskonferenz. Um es mal ganz offen und vielleicht auch lapidar zu sagen: Es läuft nicht so gut, oder? Schließlich geht es ja um den Nachwuchs in der katholischen Kirche. Priester fehlen an allen Ecken und Enden, besonders in der Zukunft, und somit auch Bischöfe …
Blattert: Genau. Wenn Sie jetzt denken, es geht alles so weiter wie bisher, dass einfach Priester nachwachsen und dass in den Frauen- und Männerklöstern der Nachwuchs einfach kommt wie auf einem Förderband, dann sieht es nicht rosig aus. Das ist nicht nur in Deutschland so, das ist nicht nur in Europa so. Ich sprach gerade wieder mit einer Frau aus Kanada, die auch gesagt hat, dass ihre Seminare quasi leer sind. Insofern könnte man sagen, sieht es schlecht aus. Jetzt möchte ich aber die andere Seite gerne betonen: Gerade diese Synode betont die Taufwürde, die die höchste Würde für alle Christinnen und Christen ist. Eine Würde geht auch immer mit Verantwortung einher, sodass die Verantwortung für die Kirche bei allen Getauften liegt. Dieses Bewusstsein soll wieder neu belebt werden. Das war eigentlich auch schon im Zweiten Vatikanischen Konzil der Fall. Insofern gibt es viele tolle Frauen und Männer, die sicherlich die Kirche in die Zukunft führen werden. Aber eben anders, nicht wie wir das bisher gewohnt sind. Hier auf der Synode sprachen wir viel von Basisgemeinden. Kleine Gemeinschaften kümmern sich um den lebendigen Glauben. Ich bin überzeugt, dass es dann trotzdem weiter Priester und Ordensberufungen geben wird, die in einer besonderen Weise das Evangelium zum Inhalt ihres Lebens und ihrer Lebensform machen werden, aber die Kirche wird nicht allein von ihnen gemacht. Ich mache mir also wenig Sorgen um die Zukunft der Kirche, weil ich an einen lebendigen Gott glaube und weil wir glauben, dass Gott selber Verantwortung für seine Kirche hat. Dass es Jesus Christus ist, der Verantwortung für seine Kirche hat. Dass der Heilige Geist in uns lebt, und der wird uns führen und diese Kirche am Leben erhalten.
Frage: Da spricht natürlich auch eine gewisse Hoffnung aus Ihnen. Muss sich aber die Kirche, um Interesse von jungen Menschen an der Kirche und neue Berufungen zu erreichen, dafür auch ändern? Muss sich in Deutschland, aber vielleicht auch weltweit gesehen, was tun?
Blattert: Richtig, auf jeden Fall. Denn die Gesellschaft verändert sich. Der gesamte gesellschaftliche Bereich steckt in einem tiefen Transformationsprozess. Das spüren wir in unserer Gesellschaft. Demokratie ist nicht mehr selbstverständlich. Die Umwelt stellt uns große Fragen. Die Kriege rücken wieder näher zu uns heran. Hinzu kommt die ganze digitale Veränderung. Auch Werte verändern sich sehr stark in unserer Gesellschaft. Natürlich kann da nicht Kirche einfach so bleiben, wie sie ist, weil sie dann nicht mehr in einer Gesellschaft Teil sein kann. In der Bibel steht ja, wir sollen "Sauerteig" sein. Und wenn sie keine Verbindung eingehen können mit dem, was sie umgibt, dann können sie auch nicht durchsäuern oder salzen – im Sinne von Geschmack verleihen. Insofern ist eine Veränderung der Organisationsform notwendig. Es braucht eine neue Kultur des Miteinanders in der katholischen Kirche. Da sind wir auch beim Thema Synode, denn das ist der große Wunsch, das ist die große Anstrengung von Papst Franziskus. Er möchte eine neue Kultur in der katholischen Kirche einführen, damit wir heute eine missionarische Kirche für diese Gesellschaft sein können.
Frage: Sowohl bei der "Zukunftswerkstatt" der Jesuiten als auch beim Cusanuswerk haben Sie sehr viel mit jungen Menschen zu tun, sind geistliche Begleitung für sie. Was bewegt Sie in der Kommunikation mit jungen Menschen im Moment am meisten?
Blattert: Bei den jungen Menschen ist es nicht mehr selbstverständlich, katholisch zu sein oder an einen Gott zu glauben. Das heißt, es geht genau um diese Frage: Wie glaube ich eigentlich an Gott? Wer ist dieser Gott für mich? Es geht aber auch ganz viel um Selbstwert-Fragen, also: Wer bin ich? Bin ich wertvoll? Kann ich mich selber annehmen? Es geht um Beziehungen. Wie kann ich Beziehungen führen? Wie gehe ich mit Schwierigkeiten in Beziehungen um? Was gibt mir Kraft, was gibt mir Hoffnung? Ein ganz großes Thema ist auch die Angst vor der Zukunft. Das ist eigentlich etwas, was mich sehr traurig macht, denn gerade die Jugend ist ja der Inbegriff für Aufbruch in die Zukunft. Riesige, fast nicht mehr lösbare Probleme lasten auf den jungen Menschen: die Infragestellung von Demokratie, die Gefährdung der Umwelt, der Frieden in Europa. All das lastet schwer auf den Seelen von jungen Menschen. Und natürlich die eigene Berufung: Wo soll es hingehen? Wie kann mein Leben gelingen? Was mich in der Begleitung beschäftigt, ist, dass ich mich sehr beschenkt fühle, weil es unglaublich schön ist, Menschen durch ihre schweren Stunden und durch ihre Schwierigkeiten, aber auch durch ihre Suche, durch ihre Wünsche und durch ihre Sehnsüchte begleiten zu dürfen. So empfinde ich das als ein ganz großes Privileg, dieses Vertrauen von jungen Menschen geschenkt zu bekommen. Das Besondere ist auch zu sehen, wie Gott in den Herzen wirkt. Oft denke ich, ich darf Zeuge sein, wie dieser lebendige Gott Herzen von Menschen verwandelt – und verwandelt insofern, dass sie hoffnungsvoller werden, offener werden, menschlicher, wärmer, herzlicher und lebendiger werden. Das empfinde ich an meiner Aufgabe als Seelsorger, als Priester als ein unglaubliches Privileg. Somit fühle ich mich sehr beschenkt in dieser Arbeit.
Frage: Sie sind bei der Weltsynode in Rom. Einen Monat lang wird da jetzt gerade diskutiert, sich beraten, ausgetauscht in Arbeitsgruppen, um im besten Fall zu einem Ergebnis zu kommen. Kommen Sie zu einem Ergebnis?
Blattert: Es ist jetzt schon ein wahnsinniges Ergebnis da, nämlich die Erfahrung dieser Synode oder dieses synodalen Prozesses. Es hat schon etwas verändert in der katholischen Kirche. Das hat schon etwas geöffnet. Das hat auch Bischöfen die Augen geöffnet, was sie alles schon jetzt eigentlich tun können und gar nicht warten müssen auf Kirchenrechtsveränderungen usw. Ich höre jetzt immer und immer wieder, dass diese Erfahrung auch schon Menschen verändert hat. Das wird Auswirkungen auf die verschiedenen Bistümer bis hinein in die Regionen haben. Das ist jetzt schon ein Ergebnis. Und ich glaube, wir dürfen schon auch was erwarten. Zwar nicht bei den großen, berühmten Themen, die in den Medien immer durchkommen, wo ich nicht glaube, dass es Ergebnisse geben wird. Aber was die Beteiligung von getauften Christinnen und Christen oder auch darüber hinaus angeht, was Neues möglich wird für Entscheidungsprozesse, glaube ich wirklich, dass es Ergebnisse gibt – oder konkrete Vorschläge. Ergebnisse gibt es ja insofern nicht, dass es Entscheidungen gibt, sondern es sind alles Vorschläge, die die Synode dem Papst unterbreitet, und er entscheidet dann, was er davon umsetzen möchte.
„Es ist jetzt schon ein wahnsinniges Ergebnis da, nämlich die Erfahrung dieser Synode oder dieses synodalen Prozesses.“
Frage: Ihre Rolle bei der Weltsynode ist "Facilitator", eine Art Moderator. – Sie unterstützen Ihre Arbeitsgruppen methodisch an Ihrem Tisch. Ein Monat ist lang. Durchhaltevermögen ist kognitiv, körperlich und auch inhaltlich gefragt. Wie tragen Sie dazu bei? Was ist Ihre genaue Aufgabe?
Blattert: Die ganze Methode läuft ja vor allem in der "Konversation des Heiligen Geistes". Das ist eine Methode, die im Laufe dieses synodalen Prozesses entwickelt wurde, der seit 2021 läuft, damit man eben nicht in eine Diskussion verfällt, wo es zum Streit kommt und der Stärkere oder die Mehrheit sich durchsetzt. Jede und jeder soll gleichberechtigt den Platz und das Wort bekommen. Das geht zum Beispiel nach Runden – jeder hat drei Minuten zum Sprechen. Ich achte darauf, dass das auch eingehalten wird. Egal ob jemand sehr eloquent ist oder ob er Kardinal ist oder was weiß ich. Jede und jeder hat drei Minuten. Das ist zum Beispiel eine Aufgabe von mir. In dieser "Konversation des Heiligen Geistes" haben wir auch immer wieder eine Generaldebatte. Man soll zuhören und das in den eigenen Prozess integrieren, der am einzelnen runden Tisch vor sich geht. Daran muss man immer wieder erinnern und immer wieder Perspektiven eröffnen, damit man nicht einfach so wegknickt. Das ist auch eine Aufgabe von uns. Am Schluss ist die letzte Phase dieser "Konversation im Heiligen Geist" der sogenannte Dialog – das Zusammenbauen, das Zusammentragen. Dort kann es immer wieder mal zu Spannungen kommen. Oder es ist zu freundlich, also dass Konflikte nicht hochkommen. Da ist es meine Aufgabe, den Dialog so zu leiten, dass alles zusammenkommt. Wir sind dafür verantwortlich, den Raum zu eröffnen und offenzuhalten.
Das habe ich zum Beispiel auch heute wieder gemacht: Ich habe gesagt, auch wenn ihr "gut" denkt, sprecht das bitte aus, damit wir hören, es ist nicht nur die eine gute Meinung von einem. Dann hört man, dass das vier, fünf andere sind. Das bekommt dadurch ein anderes Gewicht. Da hat man plötzlich gemerkt, wie es aus den Leuten heraussprudelt. Oder was ich anmerke, ist, dass bitte auch das, was unangenehm ist und was Bauchschmerzen bereitet, von den Leuten ausgesprochen wird, denn das ist wichtig. Diese Ermutigung braucht es immer wieder. Je länger es dauert, desto mehr braucht es diese Aufgabe. Viele sagen auch, sie sind unglaublich dankbar für diese Aufgabe des "Facilitators", weil er einfach hilft und jeder Person Raum gibt. Tatsächlich stimmt es, dass ich schauen muss, dass auch ich die Kondition behalte. Mir hilft da das persönliche Gebet. Ich lebe selber hier in einer Jesuiten-Kommunität. Das ist einfach wunderschön. Wir haben immer morgens um 7 Uhr Messe, dann kann ich eine halbe Stunde stille Zeit machen und dann frühstücke ich mit meinen Mitbrüdern. Hier ist auch ein Altersheim mit dabei, und das ist einfach ein sehr schöner Start in den Tag. Diese Regelmäßigkeit hilft mir, die Kondition aufrecht zu erhalten. Ich mache auch Mittagspause. Am Sonntag habe ich zum Beispiel darauf geachtet, viel an die frische Luft zu gehen, weil sonst die Kondition nicht bis zum Schluss hält.
Frage: Was ist Ihr Geheimtipp dazu in Italien?
Blattert: Natürlich gibt's das Eis, da gibt es die Pizza auf der Straße und vor allem natürlich Spaziergänge zu sehr schönen Kirchen und Orten und Aussichtspunkten in Rom. Hier findet man ja gar kein Ende.
Frage: Sie haben Vorerfahrung aus dem Jahr 2018, als Sie Berater der sogenannten Jugendsynode waren, also der letzten Weltbischofssynode. Das war die 15. zum Thema "Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung". Können Sie also Erfahrung mitbringen, was das Synodenleben angeht?
Blattert: Ja, ich kann zum Beispiel vor allem sagen, was sich alles schon verändert hat. Man sagt sowohl in der Aula als auch im Umfeld und genauso in Deutschland, da bewege sich zu wenig und es sei alles zu langsam. Wenn ich jetzt aber 2018 mit der Synode heute vergleiche, wie sich eine 2000 Jahre alte Institution jetzt schon verändert hat – zum Beispiel waren in der Jugendsynode nur Bischöfe stimmberechtigt. Die Neuerung war damals, dass 50 junge Menschen – Frauen und Männer – mitdiskutieren durften, also auch das Rederecht hatten. Jetzt ist es so, dass 100 Frauen und Männer, die keine Bischöfe sind, vollwertige Mitglieder dieser Bischofssynode sind. Das ist schon mal eine große Veränderung. Bei der Jugendsynode saßen wir alle in der Synodenaula. Es war alles wie in einem Kinosaal auf eine Leinwand hin ausgerichtet. Aber es führte im Grunde alles auf den Sitz des Papstes zu. Jetzt sitzen wir an runden Tischen. Früher war es so, dass man in Sprachzirkeln eingeteilt war und man doch nur mit den Regional-Bischöfen zusammengesetzt wurde, also zum Beispiel den deutschsprachigen. Und damit blieb man ein Stück weit in der eigenen Suppe sitzen. Und jetzt? Ich habe an beiden Tischen, die ich moderieren darf, fünf Kontinente bei nur zehn oder zwölf Leuten am Tisch sitzen. Das gibt natürlich eine ganz andere Perspektive, und das verändert einen selber. Ich würde also behaupten, es ist schon eine ungeheure Entwicklung passiert seit der Jugendsynode – und für mich ist es natürlich auch toll, diesen Vergleich zu haben, von der Jugendsynode bis jetzt zu dieser Synode.