Kardinal O'Malley sieht keinen Zusammenhang mit dem Zölibat

Vatikan stellt ersten Missbrauchsbericht vor – Versagen der Kirche

Veröffentlicht am 29.10.2024 um 16:33 Uhr – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Seit Jahren kämpft die Kirche gegen den Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche. Die vom Papst gegründete Kinderschutzkommission legte nun einen Bericht vor. Dabei äußerten sich Betroffene, Geistliche und eine UN-Expertin.

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Die Päpstliche Kinderschutzkommission hat ihren ersten Anti-Missbrauchsbericht vorgelegt. Bei der Präsentation am Dienstag vor Journalisten im Vatikan wandte sich der Kommissionsvorsitzende Kardinal Sean Patrick O'Malley direkt an Betroffene: "Ihr Leid und Ihre Verletzungen haben unsere Augen geöffnet für die Tatsache, dass wir als Kirche versagt haben, uns um die Opfer zu kümmern, und dass wir Sie nicht verteidigt haben und uns geweigert haben, Sie zu verstehen, als Sie uns am meisten gebraucht hätten", so der langjährige Bostoner Erzbischof in emotionalen Worten. "Nichts was wir tun, wird je genug sein, um vollständig zu heilen, was geschehen ist." Er äußerte die Hoffnung, dass der Bericht die Zusage stärke, "dass solche Ereignisse nie mehr wieder in der Kirche geschehen werden".

Weiter sagte O'Malley, er kenne keine seriöse wissenschaftliche Studie, die einen Zusammenhang zwischen der Ehelosigkeit von Priestern und sexualisierter Gewalt an Kindern belege. Auch die langjährige UN-Berichterstatterin zum Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern, Maud de Boer-Buquicchio, stimmte dem zu. Sex mit Kindern sei ein Verbrechen und wer dies tue, habe eine seelische Krankheit, die behandelt werden müsse, führte die niederländische Juristin aus.

O'Malley: Kein Zusammenhang zwischen Zölibat und Missbrauch

O'Malley, der sich auf Nachfrage eines deutschen Journalisten geäußert hatte, erklärte, er habe wahrgenommen, dass eine derartige Debatte in Deutschland hohe Wellen schlage; doch wisse man in anderen Ländern, dass der Zölibat keine Ursache von Pädophilie sei. Das ändere nichts daran, dass der Skandal die Glaubwürdigkeit der Kirche schwer beschädigt habe und sich diese reformieren müsse, um ihren Auftrag weiter erfüllen zu können, so der Kardinal, der das Erzbistum Boston 2003 mitten in der Missbrauchskrise übernahm und teils radikale Maßnahmen zu Prävention, Aufklärung und Entschädigung traf.

Die niederländische Juristin Maud de Boer-Buquicchio betonte, mit dem von Franziskus veränderten Kirchenrecht könne die Kirche besser gegen die "Plage" des sexuellen Missbrauchs vorgehen. Inzwischen gilt sexualisierte Gewalt an Minderjährigen im Kirchenrecht nicht mehr als Verstoß gegen die Sexualmoral sondern als Verletzung der Menschenwürde. Die Kinderschutzkommission, der sie selbst angehört, handle inzwischen in einem begrifflichen Rahmen, der sowohl mit gängigen Menschrechtsideen im internationalen Recht als auch mit der kirchlichen Lehre gut zusammenpasse, so die Menschenrechtsanwältin.

Bild: ©KNA (Symbolbild)

Das von Papst Franziskus veränderte Kirchenrecht führe dazu, dass die Kirche besser gegen die "Plage" des sexuellen Missbrauchs vorgehen könne, sagt die niederländische Juristin Maud de Boer-Buquicchio.

Für die Kirche bedeute dies: Nach einer Epoche, in der es immer wieder Fälle von Missbrauch gab und diese falsch behandelt und vertuscht wurden, sei nun eine neue Phase angebrochen, sagte die langjährige UN-Berichterstatterin zum Thema sexuelle Ausbeutung von Kindern. Jetzt sorgten Schutzmaßnahmen, Berichte über Verstöße, Untersuchungen und das Zugehen auf die Opfer dafür, dass es nur noch sehr wenige Missbrauchsfälle gebe, auf die man dann angemessen reagiere. Dies sei wie ein Übergang von der Finsternis ins Licht.

Dank an den Papst für "Kampf gegen diese Pest"

Der aus Chile stammende Sprecher von Missbrauchsbetroffenen, Juan Carlos Cruz, dankte Papst Franziskus für dessen "Kampf gegen diese Pest". Ohne den wäre er heute nicht in der Lage, sich für andere Überlebende einzusetzen. Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung seien in der Kirche lange tabu gewesen, das habe sich endlich geändert, sagte Cruz, der als Opfer des chilenischen Priesters und Missbrauchstäters Fernando Karadima (1930-2021) bekannt ist. Den Kommissionsbericht würdigte er als wichtige Etappe.

Den 50-seitigen Bericht, der vor allem über kirchliche Schutzvorkehrungen und Verfahren in zahlreichen Ländern informiert, hatte Papst Franziskus 2022 angefordert. Einen umfassenden Überblick zur Zahl von Missbrauchsfällen oder zum Stand kirchenrechtlicher Verfahren weltweit konnte die Kommission nach eigenen Angaben nicht vorlegen. Dazu fehle aus vielen Ländern noch zuverlässiges Datenmaterial. Stattdessen enthält der Bericht Vorschläge für Verbesserungen in den Vatikanbehörden, die mit Missbrauchsfällen befasst sind, sowie in den einzelnen Regionen der weltweiten Kirche.

Die 2014 gegründete Kommission soll dem Papst Maßnahmen zum Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Erwachsenen gegen sexualisierte Gewalt sowie jede weitere Form von Missbrauch vorschlagen. Zugleich soll sie den Verantwortlichen in den Ortskirchen, in den Ordensgemeinschaften und in der Caritas Hinweise für einen besseren Umgang mit Missbrauchsfällen und zur Vorbeugung geben. (KNA)

29.10.24, 19.15 Uhr: Ergänzt um Statement von Maud de Boer-Buquicchio