Himmelklar – Der katholische Podcast

Benediktiner und Influencer: Machen Seelsorge anstatt Zählsorge

Veröffentlicht am 06.11.2024 um 00:30 Uhr – Von Tim Helssen – Lesedauer: 

Köln ‐ Kirche sollte genau da sein, wo die Menschen sind. Das hat sich der Benediktiner Lukas Boving zu Herzen genommen. Im Interview erklärt er, warum Verkündigung in den sozialen Netzwerken wichtig ist – und warum es dabei mehr als nur um Klicks geht.

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Kirche sollte genau da sein, wo die Menschen sind – das hat sich Bruder Lukas Boving aus dem Erzbistum Hamburg zu Herzen genommen und betreibt Verkündigung über Social Media. Nachdem er ursprünglich in der Werbung tätig war und eine immer größer werdende Sehnsucht nach Sinn und Spiritualität verspürte, ging er ins Kloster Nütschau bei Hamburg und fand dort, was er suchte. Warum die Verkündigung des Glaubens über Social Media für ihn und viele andere so wichtig ist, erzählt der Benediktiner im Interview.

Frage: Wie muss ich mir diese Sehnsucht damals vorgestellt haben? Es klingt fast so, als wenn Sie sehr unglücklich gewesen wären.

Boving: Unglücklich war ich nicht, ich hatte meinen Spaß. Werbung ist toll, man kann wunderbar arbeiten, viele Länder bereisen, viele Dinge sehen und das hat Spaß gemacht. Aber ich spürte irgendwann, dass ich eine innere Leere hatte und diese Leere eben nicht füllen konnte mit noch einem tollen Kundenauftrag, noch einem Werbefilmdreh. Diese Leere war schließlich so groß, dass ich mich danach sehnte, diese mit Sinn zu füllen. Und diese Sinnsuche ist dann irgendwann gipfelt in dem Besuch des Kloster Nütschau.

Frage: Was ist denn da passiert? Denn eigentlich kommen Sie aus dem Rheinland und sind auch so eine rheinische Frohnatur.

Boving: Ich bin ne kölsche Jung, in der Nähe von Köln aufgewachsen und bin Rheinländer durch und durch. Da bin ich katholisch aufgewachsen, habe die normale katholische Karriere gemacht: Messdiener, Jugendgruppe, in der Jugendarbeit sehr aktiv gewesen und meine Eltern waren beide Religionslehrer. Wegen der Werbung bin ich dann nach Hamburg gezogen. Um Werbung zu machen, geht man nach Düsseldorf oder nach Hamburg. Düsseldorf ist für einen Kölner natürlich unmöglich, und deswegen ging ich nach Hamburg und hab hier in der Werbung Gas gegeben und Ellbogen ausgefahren, Karriere gemacht.

Irgendwann spürte ich aber, dass es doch noch mehr geben muss. Mehr geben als Geld verdienen und Karriere machen. Daraufhin habe ich mich wieder auf meine Kindheit und Jugend besonnen im Rheinland. Ich hatte mich wieder darauf besonnen, dass es da noch etwas gab. Da gab es doch jemandem, dem ich vertraute, dem ich auch im Gebet begegnen konnte, diesen Christus. Aber ich habe die Christus-Beziehung nicht mehr so hinbekommen als Erwachsener nach fast zehn Jahren Werbung.

Bild: ©picture alliance / empics

"Heute gibt es keine Trennung mehr zwischen virtueller und realer Welt. Für viele Menschen ist die Social Media Blase eine reale Welt", so Bruder Lukas.

Frage: Das ist Ihnen aber im Kloster Nütschau gelungen. Was hat sich da verändert?

Boving: Die Beziehung zu etwas Höherem, etwas Geistigem, zu etwas Spirituellem aufzubauen. Das kann ich nicht in der Werbung, das geht nicht. Die Werbewelt ist so schillernd, so laut, so unruhig und so schnell, da kann ich nicht hören. Und ich kann erst anfangen zu hören, wenn ich wirklich in die Stille gehe. Das ist etwas, das im Kloster viel da ist oder was man sich auch viel nehmen kann. Die Stille, um da weiterhin als Gott-Suchender unterwegs zu sein.

Frage: Ihr Weg ging dann weiter, heute sind Sie Benediktinerpater und vor allen Dingen über die sozialen Netzwerke aktiv. Dort haben Sie Sachen aus dem klösterlichen Alltag gezeigt und quasi online Verkündigung betrieben. Warum spielt denn Verkündigung bei Ihnen überhaupt so eine große Rolle?

Boving: Wir haben die beste Botschaft der Welt. Es gibt keine bessere Botschaft als die christliche Botschaft. Dass mit dem Schmerz, mit dem Leid eben nicht alles vorbei ist. Dass nach jedem Karfreitag ein Ostern kommt. Und diese beste Botschaft, die müssen wir verkündigen. Das drängt mich, dafür brenne ich, das zu verkündigen. Paulus hat die modernsten Kommunikationsformen gewählt, die es damals vor 2000 Jahren gab. Und heute nehmen wir ebenfalls die modernsten Kommunikationsformen, nämlich diese sozialen Netzwerke, um das zu verkündigen, was uns wichtig ist, was uns trägt, das, was uns Christen ausmacht.

Frage: Häufig ist Social Media sehr schnelllebig und manchmal vielleicht auch ein bisschen platt, wenn man sich einige Dinge so ansieht. Warum funktioniert jetzt Ihrer Meinung nach Social Media so gut für Verkündigung?  

Boving: Es funktioniert, weil wir dort sind, wo die Menschen sind. Die Kirchen wurden immer in die Ortsmitte gebaut, dort am Marktplatz, wo die Menschen einkaufen, wo sie Wäsche gewaschen haben, wo sie aktiv waren. Und heute gibt es keine Trennung mehr zwischen virtueller und realer Welt. Für viele Menschen ist die Social Media Blase eine reale Welt. Doch wie sieht das Leben aus? Da müssten wir als Kirche, als Glaubende genau so hineinwirken mit den gleichen Fertigkeiten, wie auch Paulus es gemacht hat. Wir verkündigen die beste Botschaft. Christus, der lebendig unter uns ist, mal witzig, mal albern, unterhaltsam, mal ernst, in einem gewissen Spagat zwischen Unterhaltung und Verkündigung.

„Paulus hat die modernsten Kommunikationsformen gewählt, die es damals vor 2000 Jahren gab. Und heute nehmen wir ebenfalls die modernsten Kommunikationsformen, nämlich diese sozialen Netzwerke...“

—  Zitat: Bruder Lukas

Frage: Wie können Sie sich denn so sicher sein, dass Sie da überhaupt Menschen erreichen und in ihnen etwas auslösen?

Boving: Zuerst gibt es ja die Klickzahlen, die ich ablesen kann bei diversen Plattformen. Das ist aber die Quantität. Dabei dürfen wir nie vergessen, dass wir Seelsorge und keine Zählsorge machen. Wenn wir immer nur zählen und so den Erfolg definieren, ist das zu kurz gesprungen. Das Tolle an Social Media ist ja, dass es keine Einbahnstraße ist. Es ist nicht so wie wir das von der Kanzel gewöhnt sind, der Priester verkündet und alle müssen zuhören. Ich habe hier eine direkte Reaktionsmöglichkeit und die nutzen viele Menschen und schreiben mir direkt Kommentare zu meinen Videos, zu meinen Postings und treten mit mir in Kontakt. Und daraus ergibt sich dann manchmal sogar eine Seelsorge, die sich über Wochen oder Monate erstrecken kann. Teilweise geht diese Seelsorge auch in die reale Welt über, muss aber nicht. Manche sind so weit entfernt, dass es eben weiterhin per Messenger hin und her geht. Und die stellen mir die gleichen Fragen nach Sinn des Lebens, nach den Fragen nach Gott und der Welt, die mir auch Menschen auf der Straße stellen würden.

Frage: Es gibt auch kritische Stimmen, denen Social Media nicht genug und zu albern ist. Sie erwecken den Anschein, dass Kirche und Religion da eigentlich überhaupt nicht hin gehören. Was sagen Sie dazu, haben Kirche und Religion tatsächlich bei Social Media nichts verloren?

Boving: Doch, haben Sie. Das gehört genau dahin. Social Media ist kein Ort für theologische Abhandlungen, da kann ich nicht die Transsubstantiationslehre erklären. Das funktioniert in einem Video von neun oder 16 Sekunden nicht. Hier brauche ich kurze, knackige Botschaften. "Gott liebt dich". Oder "Hey! Katholisch sein ist gar nicht so schlimm". Christsein ist in der heutigen Welt ist gar nicht mehr selbstverständlich.

Für dieses Medium gehen nur kurze Botschaften und auch da ist es ein Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung. Ich mache lustige Reels mit Messdienern, die ich herbeizaubere und wieder verschwinden lasse und auf der anderen Seite den Segen für die Woche, wo ich den Menschen Gottes Segen herabrufe oder einen Impuls gebe zum Tagesevangelium. Es bedingt sich beides gegenseitig. Nicht so viele Menschen würden sich die spirituellen, die tieferen Stories anschauen, wenn sie nicht auch den Unterhaltungswert der Videos schätzen würden.

Frage: Bedeutet das dann auch, dass die frohe Botschaft humorvoll sein kann?

Boving: Natürlich muss sie. Ich glaube, dass das Gott auch Humor hat, sonst hätte er die Menschen nicht so erschaffen, wie sie wirklich sind.

„Social Media ist kein Ort für theologische Abhandlungen, da kann ich nicht die Transsubstantiationslehre erklären. Das funktioniert in einem Video von neun oder 16 Sekunden nicht. Hier brauche ich kurze, knackige Botschaften.“

—  Zitat: Bruder Lukas

Frage: Wenn wir jetzt so an die Kirche, das Gemeindeleben oder das klösterliche Leben denken, dann schwingt immer auch ein bisschen die Frage nach dem Nachwuchs mit. Wie ist es denn in der online Verkündigung? Gibt es da Nachwuchs?

Boving: Nachwuchs von Verkündern oder Nachwuchs von Menschen, die das sich anhören möchten?

Frage: Sowohl als auch. Vor allen Dingen aber von denjenigen, die selber verkündigen über Social Media.

Boving: Es trauen sich immer mehr Ordens-Christen und Menschen, die in der Kirche arbeiten, diese Plattformen zu nutzen. Sie merken, dass es funktioniert, weil sie merken, ich erreiche so die Menschen. Es ist natürlich gefährlich und ein Trugschluss, sich nur an den Klickzahlen messen zu lassen, weil es ja immer noch die Kirchenblase bleibt. Die verlassen wir ja größtenteils nicht. Ich habe jetzt 7000 Abonnenten auf Instagram und davon sind bestimmt 3/4 innerkirchlich. Um wirklich Kirchenferne zu erreichen, da müssten wir dann auch Content machen, wo der Algorithmus ausgespielt wird, bei Menschen, die kirchenfern sind und das ist verdammt schwierig. Das kostet Kraft und Arbeit. Aber die Frage war ja, ob es Nachwuchs gibt oder ob viele Menschen auf Instagram oder TikTok verkündigen. Ich glaube, dass immer mehr Menschen Lust entwickeln, das zu machen.

Von Tim Helssen