Hoff-Krimi "Nebel, am Ende": Neues aus einer Welt, die sich auflöst
Der Nebel ist in diesem November besonders hartnäckig. Es ist knapp ein Jahr her, seit drei Todesfälle das niederrheinische Dornbusch – oder das, was davon noch übrig ist – erschütterten. Der Fall scheint gelöst, eine Verdächtige sitzt in Untersuchungshaft. Ausgerechnet Jacob Beerwein, der als Ruhestandsgeistlicher die Reste des kirchlichen Lebens dort verwaltet, konnte die mutmaßliche Täterin überführen. Dann aber wird eines Morgens ihr Mann, der Bauer Haverkamp, an einer Eiche erhängt aufgefunden. War es Suizid aus Verzweiflung? Nicht nur, dass seine Frau im Gefängnis sitzt: Auch sein Hof muss dem Braunkohle-Tagebau weichen, seine Frist zur Räumung läuft in wenigen Tagen ab.
Die Frage eines Passanten, der die Leiche entdeckte, beschäftigt auch Barth. Er hatte bereits vor einem Jahr in Dornbusch ermittelt. "Wie ist er da bloß hochgekommen?" Der Kommissar kann nicht anders, als dem Ganzen nachzugehen – auch wenn er inzwischen im Ruhestand ist. Allein schon ein Erlebnis aus seiner Vergangenheit treibt ihn dazu an. Doch es geht ihm nicht gut: Er hat Krebs, bei einer Operation wurde ihm ein Lungenflügel entfernt. Weil er seine Wohnung verlor – auch ein Tagebau-Opfer –, nahm ihn Jacob Beerwein, sein alter Freund aus Schulzeiten, im Pfarrhaus auf. Nun passen sie gegenseitig aufeinander auf, denn Jacobs demenzielle Erkrankung schreitet immer weiter voran.
Eine Region, die immer mehr verschwindet
Erste Ermittlungen zu Haverkamps Tod stützen die Verzweiflungsthese – lassen aber den Fall vor einem Jahr in einem anderen Licht erscheinen. Als jedoch ein weiterer Dorfbewohner an derselben Eiche erhängt aufgefunden wird, liegt ein Zusammenhang der beiden Fälle nahe. Und was hat es mit dem griechischen Buchstaben "Psi" auf sich, der beiden auf die Zehen gemalt worden ist? Das ruft Jacob Beerwein auf den Plan: Das ist ihm in seiner theologischen Forschung schon mal begegnet.
Schon im ersten Teil "Welt verloren" beschreibt Gregor Maria Hoff, Fundamentaltheologie-Professor in Salzburg, die Welt seiner niederrheinischen Heimat. Es ist eine Region, die in der Erzählung nach und nach verschwindet, weil der Braunkohle-Abbau mehr Platz bekommt. Nun gibt es den zweiten Teil der von Hoff geplanten Trilogie: "Nebel, am Ende". Er gibt der Geschichte eine weitere Perspektive: Wurde sie im ersten Teil aus dem Blickwinkel des Priesters Jacob erzählt, ist es nun der des pensionierten Kommissars Barth.
Hoff erzählt im zweiten Teil weiter, was es bedeutet, in einer Welt zu leben, in der sich Liebgewonnenes, Gewohntes, jahrhundertelang Bewährtes nach und nach auflöst – darunter auch der Glaube und das kirchliche Milieu. Der von Hoff beschriebene Auflösungsprozess hat sich mittlerweile forciert: Immer mehr Figuren der Geschichte sind ganz konkret davon betroffen und müssen oder mussten bereits ihre angestammte Heimat verlassen. Bei den Protagonisten wird der Auflösungsprozess auch körperlich immer spürbarer: Jacobs Erkrankung, die schon im ersten Teil erkennbar ist, führt inzwischen zu kompletten neurologischen Abstürzen; beim krebskranken Barth klopft der Tod bereits deutlich an.
Wenn dieser Auflösungsprozess, gar der Tod, immer näher an alle Beteiligten heranrückt, stellen sich ganz eigene Fragen von Leben und Sinn. Es geht gewissermaßen um letzte Dinge, um Eschatologie. Deshalb kommt man in dem Milieu (noch) nicht an religiöser Motivik vorbei. Wie der erste Teil ist auch "Nebel, am Ende" kein theologischer Roman. Er enthält aber einiges an Theologie – wenn auch an manchen Stellen versteckter als im Vorgängerband. Vordergründig zeigen sie sich besonders in der Figur des Kommissars Barth. Dieser setzt sich manchmal in die Kirche, wenn sein Freund Jacob die Messe feiert. Er hat seinem Glauben eigentlich verloren – doch manchmal blitzt er noch in ihm auf. So heißt es an einer Stelle: "Wer ans Beten nicht glaubt, braucht Tote nicht zu verfluchen. Nützt nichts. Aber weil er sie zur Hölle wünscht, argwöhnt der Kommissar, dass vielleicht doch etwas anämisch in ihm dahinglaubt…" Da dämmert also doch noch etwas, obwohl der Glaube, der in dieser Welt einst sehr stark war, kurz davor ist, komplett zu verschwinden. Die Figur des Pfarrers, um dessen Zustand man sich immer mehr Sorgen machen muss, steht symbolisch genau dafür.
Wer erzählt eigentlich?
"Diese religiösen oder theologischen Motive bleiben eine Partitur, die manchmal nur ansatzweise angespielt werden, aber auf diese Weise eine Rede von Gott ermöglichen", sagt Autor Hoff dazu. "Das lässt den Erzähler nicht los, das ist eine eigene Größe." Die Geschichte wird zwar aus der Sicht des Kommissars erzählt, dennoch stellt sich die Frage, wer da erzählt, so Hoff. Das werde bewusst offengehalten. "Das Perspektivenproblem, als von wo aus man sinnvoll eine Geschichte erzählen kann, hat auch etwas mit Theologie zu tun: Wer beobachtet das ganze?" Der auktoriale Erzähler, der gewissermaßen von einem Gottesstandpunkt erzählt, ist aufgehoben. "Er verliert sich auch in religionskultureller Hinsicht. Von wo aus kann man solche Geschichten eigentlich noch erzählen?" Auch diese Frage will Hoff aufwerfen.
In seiner Forschung beschäftigt sich der Fundamentaltheologe mit den Plausibilitätsbedingungen, unter denen Glaube entsteht. Auch das scheint im Kriminalroman durch, der laut Hoff ohnehin eine theologisch gut abschlussfähige Literaturgattung ist. "Es geht um den Zusammenhang von Leben und Tod, aber auch darum, zu überprüfen, welche Hypothesen, welche Spuren es gibt, um einen Fall zu klären, um Schuld zu bearbeiten." So formuliert Jacob eine wunderbare Theorie, in der er einen Ansatz zur Lösung des Falls sieht. Sie hat mit seiner eigenen theologischen Forschung zu tun. Von dieser Theorie wird er aber in die Irre geführt. "Was kann ich noch glauben? Auf welche Zweifel stoße ich? Das hat eine Funktion in der Kriminalgeschichte, aber natürlich auch eine religiöse Dimension." Dabei werden auch Offenbarungs-Motive eingespielt: Die Protagonisten begreifen etwas, sie beginnen, etwas zu sehen.
Am Ende des Romans kommt es sogar zu einer apokalyptischen Szene: Der Hof des toten Bauers Haverkamp wird in Brand gesteckt. Es deutete sich an, dass es kein Unfall war – und es bleibt offen, wer es war. Der Brand scheint bewusst ein Ende setzen zu wollen. Denn in diesem Kosmos geht ohnehin alles unter. Es ist eine Art letzter Widerstand gegen eine Welt, die weggenommen wird. In den Nachrichten des Tages – es ist offenbar Silvester 2019 – kann man bereits die heraufziehende Corona-Pandemie erahnen. Diese friert die Welt ein, es kommt eine große Leere. Das wird der Rahmen sein, in dem der dritte Teil der Trilogie spielt. So viel kann Hoff schon verraten. Dann wird die Geschichte von einer Welt, die verloren geht, nochmal eine andere Perspektive bekommen.
Buchtipp
Gregor Maria Hoff: Nebel, am Ende, Echter Verlag 2024, 246 Seiten, ISBN: 978-3-429-05953-8, 14,90 Euro.