Standpunkt

Der Präsident und Gott: Theologiepolitische Lektionen aus der US-Wahl

Veröffentlicht am 13.11.2024 um 00:01 Uhr – Von Jan-Heiner Tück – Lesedauer: 

Bonn ‐ Seit der Präsidentschaftswahl in den USA in der vergangenen Woche ist klar, dass Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt. Für Jan-Heiner Tück ergeben sich aus der Berufung Trumps auf den christlichen Glauben einige theologiepolitische Lektionen.

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"Gott hat mein Leben nicht ohne Grund verschont" – äußerte Donald Trump nach der Wahl mit Anspielung auf das gescheiterte Attentat. Die Dankbarkeit, nur knapp der Kugel entronnen zu sein, ist nachvollziehbar. Sie persönlich auf Gott zu beziehen, auch. Die Berufung auf Gott kann politisch allerdings ambivalente Folgen haben. Wird das Sendungsbewusstsein, das in der Parole "Make America great again" mitschwingt, messianisch aufgeladen, droht die Vokabel "Gott" zum Verstärker der eigenen Agenda missbraucht zu werden.

Das aber müsste nicht so sein. Die Berufung auf Gott enthält mindestens vier theologiepolitische Lektionen. Wer sich auf Gott bezieht, trifft (1) eine Unterscheidung: Der Mensch ist nicht Gott – und in dieser Einsicht steckt die Lektion zur Selbstbegrenzung und kritischen Selbstbesinnung.

Mit der Berufung auf Gott, den Schöpfer, ist (2) die Verantwortung für die Schöpfung aufgerufen. Die Sorge um das gemeinsame Haus der Erde, die durch den Klimawandel politisch Vorrang hat, würde durch den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen konterkariert.

Mit Gott ist (3) die Erinnerung an den Dekalog verknüpft. Dieser verbietet es, die Wahrheit zu verbiegen und Lügen einzusetzen, um Affekte zu schüren. Die Hinkehr zum Heiligen bedeutet die Abkehr von Idolen. Wer sich hingegen auf den lebendigen Gott bezieht, weiß, dass er sein Herz nicht an Idole hängen soll. König Salomo, der sich ein "hörendes Herz" wünschte, ist hier ein Vorbild politischer Besonnenheit.

Mit der Berufung auf Gott ist (4) die Einsicht verbunden, dass Gott ein Gott aller Menschen ist. Jeder Mensch ist Gottes Ebenbild. Die globalen Migrationsbewegungen stellen auch die US-Politik vor große Herausforderungen. Die Absicht zur Regulierung der Migration darf aber nicht zu einer Dehumanisierung der Migranten führen. Wer Migranten herabsetzt oder rassistisch diffamiert, behandelt sie nicht als Personen. Er vergisst so, dass alle Menschen Gottes Ebenbilder sind, und versündigt sich gegen Gott.

Donald Trump, der gerade gewählte Präsident der Vereinigten Staaten, hat viele Anhänger auch unter Christen. Es wäre zu wünschen, dass diese ihren Präsidenten an die Lektionen erinnern. So könnte die Berufung auf Gott politische Selbstüberschätzung verhindern, ökologische Verantwortung stützen, kommunikative Besonnenheit fördern und zu einer humanen Migrationspolitik anleiten.

Von Jan-Heiner Tück

Der Autor

Jan-Heiner Tück ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Wien. Außerdem ist er Schriftleiter der Zeitschrift Communio und Initiator der Wiener Poetikdozentur Literatur und Religion.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.