Kaminsims statt Sarg: Wie die Kirche mit Bestattungstrends fremdelt
Den verstorbenen Angehörigen als Diamant an einer Kette um den Hals tragen oder als Urne auf den Kaminsims stellen; den eigenen Körper nach dem Tod kompostieren oder das Haustier mit ins Grab nehmen – solche Wünsche haben immer mehr Menschen. Die Bestattungskultur befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Mit Konsequenzen auch für die evangelische und die katholische Kirche: Denn ihr Einfluss auf dem Friedhof geht zurück.
2022 nur noch 47 Prozent kirchliche Beerdigungen
Nach Angaben von "Aeternitas", einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur mit Sitz im nordrhein-westfälischen Königswinter wünscht sich inzwischen weniger als die Hälfte der Menschen überhaupt noch einen Pfarrer oder eine Seelsorgerin auf der eigenen Beerdigung. Der Anteil kirchlicher Bestattungen ist 2022 auf knapp 47 Prozent gesunken – von einem Wert von gut 70 Prozent vor 20 Jahren.
Die Gründe sind vielfältig. Da ist einmal die Geografie: In ländlichen Gebieten ist aus Sicht der Kirchen die Welt zwar noch einigermaßen in Ordnung. Je größer die Städte, desto geringer aber das Bedürfnis nach einer kirchlichen Begleitung auf dem letzten Weg. Hinzu kommen demografische Faktoren, weiß Rupert Scheule, Professor für Moraltheologie an der Universität Regensburg: "Die Babyboomer kommen langsam ins Sterbealter. Diese Generation der 1950er und 1960er ist die erste mit vermehrten Kirchenaustritten und verzeichnet damit auch weniger kirchliche Beerdigungen", erklärt er. Und auch die Konkurrenz schläft nicht: "Die Kirchen müssen zur Kenntnis nehmen, dass freie Trauerrednerinnen und -redner in den letzten Jahren besser wurden", so Scheule.
Dass sich das Gesicht der Friedhöfe verändert, zeigt sich schon bei einem Spaziergang. Viele Grabfelder sind leer, weil Urnen den Sarg größtenteils abgelöst haben: Sie machen rund 80 Prozent der Bestattungen aus. In einem klassischen Sarggrab wollen laut einer Umfrage von "Aeternitas" nur noch 12 Prozent der Befragten beigesetzt werden. Und mehr als die Hälfte der Menschen wünscht sich sogar eine Beerdigung außerhalb des Friedhofs, etwa in einem Bestattungswald oder der freien Natur.
Wie nun reagieren auf diese Entwicklung? Gerade die katholische Kirche tut sich mit Neuerungen der Bestattungs- und Trauerkultur schwer. Zwar hat die Glaubenskongregation schon vor 60 Jahren die Feuerbestattung als Möglichkeit zugelassen, empfohlen ist aber weiterhin eine Erdbestattung im Sarg. Dafür gibt es gute Argumente: "Wir Christen haben die Hoffnung, wie Jesus von den Toten aufzuerstehen. Und dafür steht eben symbolisch die Beisetzung des ganzen Körpers; so wie bei Jesus", sagt Scheule.
Traditionell gehört die Kirche auch zu den Befürwortern des sogenannten Friedhofs- und Bestattungszwangs, der in Deutschland noch fast überall gilt. Außerhalb des Friedhofs sind Beerdigungen nur in Ausnahmen möglich. Klassisches Argument dafür ist das der "Öffentlichkeit": zum einen wird durch Friedhöfe Trauer für alle wahrnehmbar. Sie wird, wie Scheule sagt, "nicht ins Private weggebucht". Zum andern ist die freie Zugänglichkeit zum Grab wichtig. Bei einer privaten Ruhestätte etwa zu Hause hätten Freunde oder Familienangehörige, mit denen es vielleicht mal einen Krach gab, oder auch frühere Partner keinen Ort zum Trauern, kritisiert der Theologe. Auch ein würdevoller Umgang mit den sterblichen Überresten ist zentral – und aus Sicht der katholischen Kirche auf einem öffentlich und professionell verwalteten Friedhof eher gegeben als bei einer Urne zu Hause auf dem Kaminsims.
Da bestatten, wo Menschen gelebt und gefeiert haben
Stephan Alof kennt alle diese Argumente – überzeugend findet er sie nicht. Er arbeitet als ehrenamtlicher Kirchenpfleger in München und ist hauptberuflich Bestatter. "Die Kirchen und auch der Staat in Deutschland werden von den neuen Bedürfnissen in der Sterbekultur geradezu überrollt", findet er. "Sie sollten für alle Möglichkeiten offen sein, statt Angst zu haben vor neuen Ideen." Tatsächlich ist in anderen europäischen Ländern schon viel mehr möglich in Sachen individueller Beerdigung. Die Asche in der freien Natur zu verstreuen, ist vielerorts kein Problem. In den Niederlanden oder der Schweiz zum Beispiel gibt es gar keinen Friedhofszwang. Alof findet das sympathisch. "Da wo die Menschen gelebt, geliebt, gefeiert haben, da wollen sie auch bestattet sein – diesen Gedanken kann ich durchaus nachvollziehen", sagt er. Er kann sich zum Beispiel gut vorstellen, mitten in einem belebten Stadtviertel einen Platz für eine Kolumbarienwand zu schaffen.
Vielleicht lassen sich Wünsche nach individuellen, neuen Beerdigungsformen und berechtigte Anfragen nach Öffentlichkeit und Würde einer Grabstätte aber auch miteinander verbinden. Warum nicht einen kleineren Teil der Asche des Angehörigen als Schmuckstück um den Hals tragen – und den größeren Teil auf einem Friedhof beisetzen? Für den evangelischen Theologen Manuel Stetter von der Universität Rostock ist das kein Widerspruch. "Neben den immobilen und öffentlichen Trauerort Friedhof könnten mobile, private Trauerorte treten", erklärt er. Generell findet er es wichtig, unterschiedliche Trauerbedürfnisse und Bestattungsmöglichkeiten nicht gegeneinander auszuspielen. Stetter empfiehlt gerade den Kirchen, bescheiden und konstruktiv an die Sache heranzugehen. "Wir müssen weg von einem ‚Erlaubnisdiskurs‘, was auf dem Friedhof zugelassen ist und was nicht. Das wollen sich die meisten Menschen ohnehin nicht mehr vorschreiben lassen."
„Die Kirchen und auch der Staat in Deutschland werden von den neuen Bedürfnissen in der Sterbekultur geradezu überrollt.“
Die Kirche könnte die neuen Trends auf dem Friedhof also auch als Chance begreifen. Denn, da sind sich Stetter und Scheule einig: Mit guten Angeboten in der Trauer- und Bestattungskultur kann sie durchaus aufwarten – sie muss nur wieder stärker darauf aufmerksam machen. "Wir können heute gar nicht mehr unbedingt voraussetzen, dass Menschen wissen, dass sie sich an ihre örtliche Gemeinde wenden müssen, wenn sie eine kirchliche Beerdigung wollen", sagt Stetter. Für die Kirchen wäre es also eine Möglichkeit, mit Bestattern oder auch Hospizen zusammenzuarbeiten, um weiter im Gespräch zu bleiben. Seelsorger und Seelsorgerinnen könnten auf Friedhöfen präsent sein oder in den Trauercafés, die es auf immer mehr großen Friedhöfen gibt.
Besondere "Trost- und Ritenkompetenz"
Schließlich haben Seelsorgerinnen und Pfarrerinnen und Pfarrer schon aufgrund ihrer breiten spirituellen Ausbildung eine besondere Kompetenz in Sachen Trauer und Beerdigung. So können sie aus einem breiten Repertoire an spirituellen Gesten und Ritualen schöpfen. "Trost- und Ritenkompetenz" nennt Scheule das. Das beginnt bei so etwas Einfachem wie einem Psalm, Gesang, Gebet – oder einem Moment der Stille. Auch, was starke Symbole wie das Herablassen des Sargs in das Grab oder das Bestreuen mit Erde angeht, können Seelsorger Angehörige beraten. Und falls Interesse besteht, kann es natürlich auch um das ganz große Thema gehen: die Hoffnung der Christen auf Erlösung und Auferstehung, auf ein Leben über den Tod hinaus.