KI-Studie zu Erwartungen an Kirche: Weniger Politik, mehr Liebe
Die katholische Kirche befasst sich nach Ansicht vieler Internet-Nutzer zu sehr mit internen Diskussionen und politischen Debatten – so lautet ein Ergebnis der mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) erstellten Studie "Den Menschen aufs Maul schauen. Wege zu einer nachfrageorientierten Kirche und Theologie" der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT). Die Forscher haben dafür Daten aus über 700.000 Online-Beiträgen zwischen 2006 und 2021 mit insgesamt rund 5,7 Millionen Sätzen analysiert.
Laut Studienleiter Elmar Nass geht es bei dem Projekt um die Grundfrage, was Menschen mit Kirche verbinden und was sie von der Kirche erwarten. "In der Kirche gibt es so viele Bemühungen, notwendige Reformen nach vorn zu bringen, und trotzdem treten jedes Jahr immer noch mehr Leute aus der Kirche aus", so Nass. Er habe den Eindruck, Kirche wirke oft eher als Nachlassverwalter denn als Wegbereiter: "Und deswegen hatten wir das Forschungsinteresse, ob es eine Nachfrage der Menschen gibt nach kirchlichen Themen, die wir aber gar nicht mehr bedienen."
Analyse von "gutefrage.net"
Um herauszufinden, was Menschen sich von der Kirche wünschen, haben die Forscher für die Ende September veröffentlichte Studie Daten der Seite "gutefrage.net" analysiert. Das Forum ist nach eigenen Angaben Deutschlands größte Frage-Antwort-Plattform mit 1,9 Millionen aktiven Nutzern. Mithilfe der KI wurden Beiträge analysiert, die sich mit Schlagworten wie Religion, Kirche, Gott und Glauben befassten.
"Als Ergebnis der Studie kommt heraus, dass sich die Nutzer eine Kultur von Vergebung, Versöhnung und Liebe wünschen", erklärt Nass. Im Erscheinungsbild der Kirche gebe es diesbezüglich Defizite: "Natürlich kommt man da auch auf das Thema Missbrauch als schlimmsten Verstoß gegen die Liebe. Aber auch darauf, dass kirchliche Vertreter etwa in Diskussionen um wichtige Reformprozesse aufeinander einschlagen und nicht das Gemeinsame betonen, sondern politisch argumentieren."
Das widerspreche der Erwartung vieler Nutzer, Christen müssten Tugenden wie Vergebung und Versöhnung vorleben. Eine Kirche, die sich weniger mit Transzendenz und Spiritualität und mehr mit Grundsatzdiskussionen und Politik befasse, werde von vielen als irrelevant wahrgenommen. "Da werden eher Gräben gezogen, so dass man den Eindruck gewinnt, die Kirche ist mehr oder minder wie ein politisches Parlament mit verschiedenen Parteien", sagt der Studienleiter.
Kirchenvertreter und Theologen sollten sich nach Ansicht des Sozialwissenschaftlers bewusst machen, dass auch Menschen verschiedener Positionen im christlichen Glauben quasi familiär vereint sind: "Und auf diesem Fundament kann ich auch gut streiten, auch hart streiten. Dann lasse ich mich als Familie aber auch nicht auseinanderdividieren."
Menschenwürde als wichtiges Thema
Neben dem Wunsch nach einer glaubwürdigen Kultur des Miteinanders und des Dialogs lassen sich weitere Rückschlüsse aus der Studie ziehen: So soll die Kirche nach Ansicht der Nutzer verstärkt Position zu Fragen der Menschenwürde beziehen. "Die Menschenwürde wurde insgesamt stark als Thema benannt. Aber sie wird eher im Rahmen ihrer Verletzungen betrachtet", so Nass. Auch Kirche werde nicht mehr als Streiter für die Menschenwürde wahrgenommen: "Vielleicht müssen wir als Kirche und Theologie die christliche Idee der Würde wieder stärker in den Mittelpunkt der Verkündigung stellen."
Für die Zukunft wollen Nass und beteiligte Forschungspartner aus dem Raum Nürnberg ihre Studie als Diskussionsgrundlage zur Verfügung stellen. Einige Bistümer hätten bereits Interesse an den Ergebnissen bekundet. "Die Frage ist jetzt: Wie kann man diese theoretische Studie herunterbrechen in die Praxis, vielleicht in katechetische Programme, in Fragen der Theologie und der Ausbildung", so Nass.
Außerdem soll das Forschungskonzept etabliert und mögliche Fehler in der Studie bereinigt werden. Dabei schwebt Nass auch ökumenische Expertise vor: "Ich denke da vor allem an die sehr professionellen Studien von evangelischer Seite, vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD in Hannover."