Andreas Püttmann über die Risiken fragmentierter Öffentlichkeit

Im Zirkel der Selbstbestätigung

Veröffentlicht am 17.07.2015 um 00:01 Uhr – Von Andreas Püttmann – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Andreas Püttmann über die Risiken fragmentierter Öffentlichkeit

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Die Resonanz auf die Enzyklika "Laudato si" hat gezeigt, wie sehr menschliche Wahrnehmung dazu tendiert, kognitive Dissonanzen zu vermeiden oder im Sinne bloßer Selbstbestätigung aufzulösen. Reaktionen aus der säkularen Gesellschaft ignorierten oft die "humanökologischen" Pointen und fokussierten sich auf umweltpolitische Aspekte. So konnte der Eindruck entstehen, hier sei im Wesentlichen von Kohlendioxidemissionen und Fluorchlorkohlenwasserstoffen die Rede.

Dagegen taten manche Konservative so, als sei die Enzyklika ein Manifest gegen Abtreibung und "Genderwahn". Das päpstliche Lehramt wird zur Projektionsfläche eigener Gesinnungsprioritäten degradiert. Man will nicht mehr nachdenken, sondern selektiert, marginalisiert, favorisiert und ignoriert. In der Medienwirkungsforschung führte diese Beobachtung zur "Verstärkerhypothese": Einstellungen würden massenmedial kaum verändert, sondern bekräftigt. Je diversifizierter das Medienangebot, desto leichter kann der Mechanismus greifen.

Dies betrifft auch die Kirche im Internet-Zeitalter. Für jede spirituelle Vorliebe oder kirchenideologische Nische bis hin zum religiösen Spleen findet man online mindestens ein paar Hundert oder gar Tausende Gleichgesinnte. Im täglichen Selbstbestätigungszirkel von Portalgemeinde, "Freunden" und "Followern" kann ein Selbstbewusstsein wachsen, das sich allmählich zur Borniertheit verfestigt. Auf Kritik reagiert man zunehmend beratungsresistent und aggressiv. Einigkeit macht eben stark – hier: "meinungsstark", ein Modewort auch mancher katholischer Publizisten.

Kognitive Dissonanzen fordern den menschlichen Geist eigentlich zur Überprüfung und Verfeinerung seiner Ideen heraus und immunisieren so gegen das Verdummungsrisiko geistiger Selbstgenügsamkeit. Wo Zwischentöne überhört und Kontrapunkte wegzensiert werden und der verbleibende "Lagerstandpunkt" immun gegen Einwände und sogar Widerlegungen ist, droht Realitätsverlust. Ein Fanal hierfür: "Limburg". Selbst als der Untersuchungsbericht die Meinungsblase der Bischofsunschuldsgläubigen platzen ließ, wollten manche ihren Irrtum noch nicht einsehen oder verweigerten schlicht die Kenntnisnahme. Alles nur "Limburger Käse"! Motto: Wenn meine Ideen nicht zur Wirklichkeit passen – Pech für die Wirklichkeit. Das Gegenteil von Journalismus.

In der Bibel heißt es: "Prüfet alles, das Gute behaltet" – nicht: "Prüfet alles, und was euch bestätigt, behaltet". Hierdurch ginge die schöne Tugend der Demut verloren. Sie ist auch intellektuell ein dem Christen gemäßer Habitus: Der erbsündige, unvollkommene Mensch ist nicht nur moralisch, sondern auch in seiner Erkenntnisfähigkeit getrübt. Wo geifernde Gesinnungsmilitanz sich eingenistet hat, sollte man Heiligen Geist nicht vermuten, sondern widersprechen – und das Weite suchen.

Der Autor

Andreas Püttmann lebt als Journalist und Publizist in Bonn.

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Von Andreas Püttmann