Für ein "Sakristeichristentum" ist jetzt nicht die Zeit
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Nicht nur die internationale Politik mit der schwindenden Anzahl Demokratien und dem Aufwuchs autoritär regierter Staaten kann derzeit das Gruseln lehren. Die neue Leipziger Autoritarismus-Studie lässt erahnen, wie dünn auch bei uns die Decke demokratischer Zivilisation ist. Die Aussage: "Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert" lehnen nur 54 Prozent der Bevölkerung "völlig ab"; jeder Vierte kann sich nicht mal zu "überwiegender" Ablehnung durchringen. Dass Deutschland "eine einzige starke Partei braucht, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert", lehnen nur 40 Prozent völlig ab, 21 Prozent überwiegend; der Rest votiert manifest oder latent ("teils teils") für ein Einparteiensystem (18% bzw. 21%). Dass "die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen" seien, weisen nur 55 Prozent klar zurück, dass es "wertvolles und unwertes Leben" gebe, 66 Prozent. Mich beruhigen solche Mehrheiten im Land zweier totalitärer Diktaturen, der Shoa und der NS-"Euthanasie" mitnichten. Mit dem rechtsextremen "Narrensaum" leben wir schon länger, aber "unsichere Kantonisten" gibt es erschreckend viele.
Zudem findet jeder Sechste "gut, dass es Leute gibt, die mal ihre Fäuste sprechen lassen, wenn’s anders nicht mehr geht" oder ist selbst "in bestimmten Situationen durchaus bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um meine Interessen durchzusetzen". Da ahnt man, dass die Geschichte von Kain und Abel auch nach 75 Jahren Grundgesetz als anthropologische Konstante hinter unserer eingeübten Zivilität lauert. Politische Bildung, historische Aufklärung und moralische Erziehung bleiben Sisyphusarbeit.
Wenn christliche Humanitätsressourcen dann noch weiter versiegen, wirtschaftlich magere Jahre kommen und Putins monströses Regime mittels Desinformation, deutschen Einflussagenten und nützlichen Idioten weiter hetzt, kann unser stabil geglaubter demokratischer Rechtsstaat durchaus kippen. Unpolitische Kirchen, die manche unter Berufung auf’s "geistliche Proprium" fordern, wären in dieser Lage verantwortungslos, "schales Salz"! Der Schutz der Menschenwürde löst den Bekenntnisfall aus, auch im Einsatz für entsprechende Institutionen. Für ein "Sakristeichristentum" ist jetzt nicht die Zeit.
Der Autor
Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.