Dominik Blum über Demenz und Seelsorge

Gott vergisst nicht

Veröffentlicht am 23.07.2015 um 00:01 Uhr – Von Dominik Blum – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Dominik Blum über Demenz und Seelsorge

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Angenervt steht der junge Kollege vor dem Schrank mit dem Büromaterial: "Mann, ich weiß gar nicht mehr, was ich hier wollte. Ich glaub', ich habe Alzheimer." In Deutschland leiden tatsächlich mehr als 1,5 Millionen Menschen an einer demenziellen Erkrankung. Bis 2050, so schätzen Gesundheitsexperten, wird sich die Zahl demografiebedingt sogar verdoppeln. Denn betroffen sind vor allem Menschen über 70. Das führt zum Notstand in vielen Pflegeeinrichtungen, wo nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung schon 2030 etwa 500.000 Pflegekräfte fehlen werden.

Die Krankheitssymptome sind nicht nur den pflegenden Angehörigen bekannt. Seit Arno Geiger seinen demenzkranken Vater liebevoll und weise als den 'alten König im Exil' beschrieben hat und 'Still Alice' oder 'Honig im Kopf' das Thema Demenz sogar in die Kinos brachten, wissen auch Menschen, die selbst nicht betroffen sind, von Orientierungs- und Sprachstörungen, dem Verlust des Urteilsvermögens und des Gedächtnisses, zuletzt von massiven Persönlichkeitsveränderungen. Demenzkranke vergessen erst Einzelheiten, dann große Zusammenhänge - und schließlich sich selbst. Wirksame Medikamente gibt es noch nicht. Den Alzheimer-Prozess medikamentös wesentlich und sicher zu verlangsamen, so ein Sprecher der Pharmaforschung jüngst in der Süddeutschen Zeitung, wäre so etwas wie "die Mondlandung der Pharmaindustrie".

Ich habe kürzlich mit Fachkräften über Demenz und Seelsorge diskutiert. Dabei ist mir klar geworden, dass wir Christen in unseren Einrichtungen eigentlich 'Demenzexperten' sein müssten. Und das nicht nur, weil die demografische Zukunft der Gesellschaft in der Kirche längst Realität ist. Bei der so wichtigen Biografiearbeit, die den Erkrankten wenigstens phasenweise die Erfahrung von Identität zurückgeben soll, helfen vielen Alten religiöse Lieder und Gebete. Die vertrauten Texte und Melodien sind mehr als eine Gedächtnisstütze. Sie geben ein Stück Geborgenheit und Heimat und Geleit auf der Suche nach dem verlorenen Zuhause. "Außerdem", so sagte mir eine Krankenschwester, "rechne ich fest mit dem Gott, der mich nicht vergisst, selbst wenn ich mich vergesse." Das macht mir Mut.

Der Autor

Dominik Blum leitet das Referat Erwachsenenseelsorge beim Bischöflich Münsterschen Offizialat in Vechta.

Diskutieren Sie mit!

Diskutieren Sie diesen Standpunkt auf unserem Facebook-Auftritt.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Dominik Blum