Schwester Inah Canabarro Lucas ist 116 Jahre alt

Älteste Ordensfrau der Welt: Ich empfange täglich die Kommunion

Veröffentlicht am 16.12.2024 um 00:01 Uhr – Von Roland Müller und Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Porto Alegre ‐ Das Sprechen fällt der 116-jährigen Brasilianerin nicht mehr so leicht. Und doch gibt Schwester Inah Canabarro Lucas katholisch.de ein Interview – mittels eines Videos, das eine Mitschwester von der Teresianerin aufnimmt. Denn sie hat eine Botschaft an junge Menschen.

  • Teilen:

Schwester Inah Canabarro Lucas sitzt zusammengesunken in ihrem Rollstuhl. Die brasilianische Ordensfrau trägt – wie jeden Tag – ihren weißen Habit, der dazugehörige Schleier sitzt perfekt. Schwester Inah ist seit dem Tod der französischen Schwester Lucile Randon 2023 die älteste Ordensfrau der Welt. Weil sich die 116-Jährige momentan nicht mehr so gut ausdrücken kann, ist Schwester Lúcia Ignez Bassotto bei ihr und unterstützt sie. Sie betreut ihre ältere Mitschwester, die in der Pflegeeinrichtung ihres Ordens in der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegre lebt. Die 78-Jährige kennt Schwester Inah schon lange, denn sie war selbst vor vielen Jahrzehnten eine ihrer Schülerinnen. Und Schwester Lúcia beantwortet stellvertretend für ihre Mitschwester die vielen Presseanfragen aus aller Welt. Für katholisch.de hat sie sogar ein Video aufgenommen und stellt Schwester Inah die gewünschten Fragen.

"Ist es ein Geschenk Gottes, 116 Jahre alt zu sein?", fragt Schwester Lúcia gleich zu Beginn der Videoaufnahme ihre Mitschwester. Diese antwortet erst nicht und schaut auf den Boden vor sich. Nach mehrmaligem Nachfragen gibt die betagte Ordensfrau leise eine Antwort: "Ja, es gefällt mir." Ihre Stimme klingt schwach, das ist wohl ihrem hohen Alter geschuldet. Schwester Lúcia lobt ihre gute Antwort und geht gleich zur nächsten Frage über: "Was machst du den Tag über am liebsten?" Schwester Inah scheint sich nun an die Gesprächssituation gewöhnt zu haben, denn sie antwortet schneller und kräftiger als zuvor: "Von allem ein bisschen." Sie lächelt.

Schwester Lúcia führt genauer aus, was das für ihre Mitschwester bedeuten könnte: Vielleicht täglich im Garten mit dem Rollstuhl spazieren gefahren zu werden, sich an den Blumen zu erfreuen und ein Gebet an der kleinen Mariengrotte im Hinterhof des Klosters zu sprechen. Die betagte Ordensfrau nickt zustimmend – auch wenn nicht deutlich wird, ob die Antwort für sie auch zutreffend ist. Vielleicht denkt sie, diese Reaktion werde von ihr erwartet. Nun soll Schwester Inah ein "Ave Maria" beten. Sie spricht das Gebet sogleich laut und kräftig auf Portugiesisch. Sie hat es so verinnerlicht, dass sie es auswendig betet.

Bild: ©Carlos Macedo / Longeviquest

Obwohl ihr als Kind kein langes Leben vorausgesagt wurde: Schwester Inah Canabarro Lucas aus Brasilien ist 116 Jahre alt.

Schwester Inah hat ein langes und bewegtes Leben hinter sich. Sie wurde am 27. Mai 1908 in São Francisco de Assis im Bundesstaat Rio Grande do Sul in Brasilien geboren. Ihre Eltern meldeten sie jedoch erst einige Tage später im zuständigen Rathaus an. Daher findet sich im Internet auch der 8. Juni als ihr Geburtsdatum. Als Kleinkind soll Schwester Inah schwächlich und zart gewesen sein. Ihre Eltern machten sich viele Sorgen um sie, weil ihr Kind nach ärztlicher Prognose das Erwachsenenalter nicht erreichen sollte. Doch es kam anders. Schwester Inah wuchs in einer großen Familie auf einem Bauernhof auf und zog mehrmals in ihrer Kindheit um.

Den ersten Kontakt zu ihrem späteren Orden, der Kongregation der Teresianischen Schwestern, machte Schwester Inah als Internatsschülerin – denn die Schule wurde von der Schwesterngemeinschaft geführt. Ein Schwerpunkt der Arbeit, der im 19. Jahrhundert gegründeten Teresianerinnen ist die Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Im Alter von 19 Jahren trat Schwester Inah dann in den Orden ein und zog 1927 für das Noviziat nach Montevideo, in die Hauptstadt von Uruguay. Anschließend wurde sie Lehrerin und unterrichtete jahrzehntelang an mehreren Schulen in Brasilien vor allem Portugiesisch und Mathematik.

"Sie sollen jeden Tag etwas besser werden – und Gott lieben"

Im dem aktuellen Video wirkt die älteste Ordensfrau der Welt etwas müde. Es waren doch einige Fragen ihrer Mitschwester, die sie nun beantwortet hat. Daher dauert es ein wenig, bis sie auf die nächste Frage antwortet. Wofür sie jeden Tag beten würde, möchte Schwester Lúcia wissen. Auch hier antwortet Schwester Inah nur mit einem Satz: "Für alles ein bisschen." Ihre Betreuerin legt ihr daraufhin ein paar Gebetsanliegen in den Mund: Für den Weltfrieden, für die Kinder, für die Jugendlichen.

Schwester Inah nickt, auch wenn sie sich selbst dazu nicht geäußert hat. Vielleicht weil ihr die Kräfte dazu fehlen. Doch an junge Menschen hat sie noch eine deutliche Botschaft: "Sie sollen jeden Tag etwas besser werden – und Gott lieben." Die Jugendlichen liegen der früheren Lehrerin und Pädagogin besonders am Herzen. In ihrer aktiven Zeit als Lehrkraft gründete sie mit ihren Schülerinnen ein kleines Orchester, zur damaligen Zeit etwas Ungewöhnliches. Diese "Band" gab klassische Musik und Folklorestücke zum Besten und ermöglichte zum Beispiel den Mädchen zu reisen und viel von Brasilien zu sehen, denn ihre Aufführungen brachten sie in unterschiedliche Regionen des größten Landes in Südamerika. Die Bandmitglieder traten auch in einigen angrenzenden Staaten wie Uruguay oder Paraguay auf. Zu manchen ihrer ehemaligen Schülerinnen hat Schwester Inah bis heute guten Kontakt. Sie freut sich darüber, wenn sie Besuch von ihnen bekommt. Besonders zu ihren Geburtstagfeiern empfängt die betagte Ordensfrau gerne Gäste im Kloster der Teresianerinnen. Auch ihr Neffe besucht sie regelmäßig. Schließlich ist das hohe Lebensalter von Schwester Inah etwas Besonderes. Ihre Mitschwestern sind offensichtlich stolz auf sie.

Bild: ©Carlos Macedo / Longeviquest

Das tägliche Gebet und der Rosenkranz gehören für die 116-jährige Teresianerin zu ihrem Leben dazu. Sie lacht viel, freut sich an Kleinigkeiten und empfängt jeden Tag die heilige Kommunion.

Im nächsten Jahr wird Schwester Inah 117 Jahre alt. Schwester Lúcia fragt sie zum Schluss der Videoaufnahme, wen sie dann gerne zu ihrer Feier dann einladen möchte. Und Schwester Inah antwortet überzeugt: "Maria, Jesus und Josef."

Der christliche Glaube prägt Schwester Inahs Leben bis heute. Täglich nimmt sie an der Heiligen Messe teil und empfängt die Kommunion. "Ich nehme jeden Tag den Leib Christi zu mir. Das gefällt mir sehr", freut sich die älteste Ordensfrau der Welt. Dreimal die Woche feiert ein Priester mit der kleinen Gemeinschaft im Seniorinnen-Kloster eine Eucharistiefeier. An den anderen Tagen nehmen sie über das Fernsehgerät an einem Gottesdienst teil. Der Kanal heißt "TV Aparecida" und ist nach dem größten Wallfahrtsort Brasiliens benannt. 

Schwester Inah ist Fußball-Fan

Besonders wichtig ist Schwester Inah das tägliche Gebet. Sie hat es einmal als ihr "großes Geheimnis für ein langes Leben" bezeichnet. Besonders das Rosenkranzgebet schätzt die 116-Jährige. Sie spricht das "Ave Maria" jeden Tag. Oft rollt sie dann mit dem Rollator zu der kleinen Lourdes-Grotte im Klostergarten und hält dabei den Rosenkranz in ihren Händen, den ihr Papst Franziskus mit einem Glückwunschschreiben geschickt hat, als sie 110 Jahre alt wurde. Ein gemeinsames Interesse hat sie mit dem Papst übrigens: Er interessiert sich genauso wie die 116-jährige Brasilianerin für Fußball. Schwester Inah drückt dem Sportclub Internacional die Daumen, der wie sie in Porto Alegre angesiedelt ist. 

Erschöpft wie nach einem Fußballspiel, so sieht Schwester Inah jetzt gegen Ende des Videos, das sie gemeinsam mit Schwester Lucia aufgenommen hat, zwar nicht aus, aber eine gewisse Ermüdung ist ihr anzumerken. Schwester Lúcia zeigt ihrer Mitschwester noch eine rot blühende Blume im Garten des Klosters: "Du magst doch so gerne Blumen." Schwester Inah versucht die Blüte zu berühren und greift daneben. Liebevoll hilft ihr Lúcia, die Blume mit den Händen zu finden und mit den Fingern darüber zu streichen. Ein Lächeln ziert das faltige Gesicht von Schwester Inah, der ältesten Ordensfrau der Welt. Ganz so, als wollte sie sagen, dass sie glücklich ist – und sich in ihrem Kloster dem Himmel sehr nahe fühlt.

Von Roland Müller und Madeleine Spendier