Offene Leitung
Das sind zu viele, fand Ammer. Gemeinsam mit der Pressestelle überlegte er, wie man darauf reagieren könne. "Wir wollen vermeiden, dass die Menschen bei einem Anruf im Bistum nicht gleich den Zuständigen erreichen", erzählt der 48-Jährige. Aus diesem Grund entschied er sich, dem Ganzen ein Gesicht zu geben – seines. Und so steht seit Freitag letzter Woche ein Foto von ihm samt Handynummer auf der Bistumshomepage. Das Leitwort? "Offene Türen – Sprechen Sie uns an."
Offene Türen – oder eben eine offene Leitung. Darum geht es Johann Ammer, der nicht nur Sekretär des Priesterrates in der Diözese Regensburg ist, sondern auch Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Pilsting-Großköllnbach. Das Angebot des Telefondienstes richtet sich an alle, die ausgetreten sind – aber auch an diejenigen, die verärgert oder verzweifelt sind und über einen Austritt nachdenken, sagt Ammer. Bisher haben ein gutes Dutzend Menschen das Angebot in Anspruch genommen.
Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick nicht groß, doch Ammer hat ohnehin nicht damit gerechnet, dass hunderte anrufen, sagt er mit seinem bayerischen Dialekt am Telefon. Für ihn stehen die Inhalte der Gespräche im Vordergrund und nicht ihre Anzahl. Die Gespräche waren "sehr gut", erzählt er. "Das waren echte Glaubensgespräche."
Die Anrufer selbst waren bunt gemischt, Männer und Frauen, Alte und Junge. Die Inhalte waren ebenso unterschiedlich. "Schimpftiraden" habe es aber keine gegeben, betont der Dekan. Auch der Finanzskandal im Bistum Limburg, der im vergangenen Jahr im Rücktritt von Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst gipfelte, sei kein Thema gewesen. "Die Leute wollten wissen, was wir mit der Kirchensteuer machen", sagt Ammer. Manch einer hat sich auch über seinen Kirchensteuerbescheid geärgert.
Dekan Ammer als Brückenbauer
Doch die meisten hätten über ihren Glauben und ihre Beziehung zur Kirche reden wollen. Ich fühle mich in meiner Gemeinde fremd, hieß es da. Oder: Was habe ich davon, bei der Kirche zu bleiben? Ist es nicht besser, wenn ich austrete? "Wir versuchen dann gemeinsam einen Weg zu finden", sagt Ammer. So fragt er nach Erfahrungen und Begegnungen des Anrufers mit Blick auf seine kirchliche Vergangenheit, die ihn geprägt haben. "Viele Gespräche waren herzlich und offen", so der Dekan. Und wer Fragen zur Verwendung der Kirchensteuer hat, bekam ebenfalls Hilfe. In einer Broschüre gibt das Bistum Regensburg einen detaillierten Einblick in seine Finanzen. Die verschickt Ammer dann auf Wunsch auch gerne.
Sich selbst sieht er vor allem als Brückenbauer: "Mein Part ist es weiterzuvermitteln." Viele trauten sich nicht, ihren eigenen Pfarrer anzurufen. Oft kenne man sich und die Scham sei groß, ausgerechnet mit ihm über seine Zweifel und den Gedanken an den Austritt zu reden. Ammer will den Betroffenen diese Angst nehmen: Er hört zu und berät. Und gegebenenfalls leitete er weiter an den jeweiligen Gemeindepfarrer.
„Jeder, der aus der Kirche austritt, ist ein riesiger Verlust.“
Wer bei Ammer am Telefon aber über einen Wiedereintritt nachdenkt, den vermittelt er dann unter anderem an Heidi Braun. Die 42-Jährige arbeitet in der Arbeitsstelle für Gemeindekatechese und kümmert sich dort um Wiedereintritte. Im Jahr 2014 sind deutschlandweit 6.300 Menschen wieder in die katholische Kirche eingetreten, im Bistum Regensburg waren es 235. Das ist ein gutes Gefühl für die Pastoralreferentin: "Ich freue mich über jeden, der hier anruft oder eine Mail schreibt." Viele Interessenten landen auch über die Internetseite "www.katholisch-werden.de" bei ihr. Dort kann man seine Postleizahl eingeben und erfährt so, wo man Hilfe beim Wiedereintritt bekommen kann.
Doch egal, über welchen Weg man mit seinem Gesuch zu Braun kommt – sie hört zu, berät und klärt auf. Genau wie bei Johann Ammer erzählen die Menschen auch ihr von ihren Bedenken, von ihren Sorgen und mitunter von ihrem Ärger über die katholische Kirche. Doch viele sagen ihr auch, dass sie wieder Teil der Gemeinschaft werden wollen. "Manche haben beispielsweise gemerkt, dass ihnen ohne die Kirche etwas fehlt", sagt sie. "Ihnen ist der Glaube wichtig und sie möchten wieder Teil der kirchlichen Gemeinschaften sein." Andere wollen ihr Kind taufen lassen oder Pate werden – und durch eine Rückkehr in die Kirche den Weg des Kindes mitgehen.
Eine wundervolle Botschaft für die Menschen
Wie viele Menschen nach seinen Telefonaten wieder zur Kirche zurückkehren, weiß Ammer nicht. Noch bis Anfang August wird er aber seinen Telefondienst anbieten. "Dieses Angebot ist ein Versuch", erklärt er. Am Ende wolle man das Projekt gemeinsam mit Bischof Vorderholzer auswerten. Ob es eine Fortsetzung geben wird, ist derzeit noch nicht absehbar.
Die kirchlichen Statistikzahlen vom vergangenen Freitag – sie haben Dekan Ammer betroffen gemacht. "Jeder, der aus der Kirche austritt, ist ein riesiger Verlust", sagt er. Die hohen Zahlen zeigten, dass etwas "im Argen liegt" bei der Glaubensvermittlung, wie er sagt. Eine schnelle Lösung, die hohen Austrittszahlen zu stoppen, hat auch Ammer nicht. Doch bei allem, was er tut, will er authentisch sein. Jeder Vertreter der Kirche müsse überzeugend für den Glauben einstehen, ein offenes Ohr haben, dialogbereit sein, sagt er – und die eigene Überzeugung verkünden. "Wir sind nicht einfach nur ein Verein mit einem Motto", so Ammer. "Wir haben mit den Evangelien eine wundervolle Botschaft für das Leben der Menschen."