Mit 19 Jahren die Königin im Griff: Jan Liebermanns Liebe zur Orgel
Die Stufen einer engen Wendeltreppe winden sich im alten Gemäuer hinauf. Oben auf der Empore sitzt Jan Liebermann vor 80 Knöpfen und drei Manual-Reihen, der musikalischen Schaltzentrale der gotischen Katharinenkirche im rheinhessischen Oppenheim. "Für mich ist die Orgel wie ein ganz großer Farbkasten, mit vielen verschiedenen Farben, die man mischen kann", sagt Liebermann. Die Farben sind Klänge und die beherrscht der 19-Jährige aus Kelkheim im Taunus so gut, dass er zu den Erfolgreichsten seiner Altersklasse zählt.
Liebermann spielt seit rund sechs Jahren Orgel. Seinen Erfolg zeigen zahlreiche renommierte Auszeichnungen, etwa der erste Platz beim Wettbewerb "Jugend musiziert" oder beim Internationalen Jugend-Klavierwettbewerb zum Thema Bach. Für den 19-Jährigen ist die Orgel weit mehr als nur ein altes Instrument in einer Kirche. Er möchte vermitteln, dass junge Menschen und alte Instrumente einander nicht ausschließen. "Ich bin doch das beste Beispiel dafür, dass das zusammenpasst", sagt er. Weil die Orgel, obwohl gerne als "Königin der Instrumente" tituliert, in der Öffentlichkeit unterrepräsentiert sei, möchte er sie sichtbarer machen.
Im Alter von sieben Jahren mit dem Klavierspiel begonnen
Zumindest in den Sozialen Medien scheint das zu klappen: Liebermanns Auftritt auf der Plattform Instagram folgen mehr als 34.000 Menschen, auf Facebook sind es rund 20.000 und auf YouTube mehr als 7.000 Menschen. Bei seinen im Internet aus verschiedenen Kirchen Europas hochgeladenen Videos solle die Kunst im Fokus stehen. "Natürlich geht es dabei auch um mich, weil ich ja der Künstler bin. Aber ich möchte nicht mich selbst, sondern die Kunst an sich präsentieren", erklärt der junge Organist.
Im Alter von sieben Jahren begann er mit dem Klavierspiel. An sein erstes Mal an der Orgel mit zwölf Jahren erinnert sich Liebermann gut: "Ich weiß noch, ich habe direkt mit der Beethoven-Sonate Pathétique begonnen und habe die linke Hand in den Füßen gedoppelt. Das hat Spaß gemacht", erzählt er. Bei seinen Anfängen hat ihn Dekanatskantor Bernhard Zosel in Kronberg unterstützt. Schon ein Jahr später wurde er als Jungstudent Teil der "Young Academy" der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main.
Bei seinen Konzerten und Aufführungen bleibt Liebermann bei der Standardliteratur. Johann Sebastian Bach ist für ihn "so das Größte in der Orgelwelt", erklärt er. Nichts reiche an ihn heran: "Ich vergleiche Bach immer mit einer Person, die direkten Kontakt zu Gott hatte. Gottes Gedanken sind irgendwie in die Musik von Bach mit eingeflossen." Egal, welchen barocken Künstler er höre, er merke direkt, was von Bach stamme und was nicht.
Im Frühjahr dieses Jahres führte Liebermann in Konzerten alle sechs Triosonaten Bachs auswendig auf. Er sei "viel konzentrierter, wenn ich ohne Noten spiele". Als einen "Orgel-Nerd" sieht sich Liebermann allerdings nicht. "Jeder kann für alles Mögliche eine Passion haben und eben nicht ein Nerd sein", sagt er. Ihm sei es wichtig, auch abseits der Orgel ein ganz normaler junger Mann zu sein und Spaß zu haben. "Ich bin voll dabei, mit Freunden schön essen zu gehen oder im Café zu sitzen." Den klassischen Sonntagsgottesdienst begleitet Liebermann übrigens selten musikalisch. "Ich glaube, auch mit mir an der Orgel wird die Kirche am Sonntag nicht voll", sagt der im bayerischen Kronach geborene Organist.
Reisen sind sein Wunsch für seine weitere Karriere. "Ich möchte überall auf der Welt Leuten zeigen, wie die Musik ist, die für Orgel geschrieben wurde." Noch bis zum nächsten Sommer geht Jan Liebermann zur Schule. Parallel studiert er schon seit zwei Jahren Orgelliteraturspiel in der Vorklasse der Hochschule für Musik in Mainz. Er werde häufig gefragt, wie er das unter einen Hut bekomme. "Ich glaube, wenn man organisiert ist und wenn man eine Sache wirklich will, dann geht das alles", ist er sich sicher.