Himmelklar – Der katholische Podcast

Warum Tobias Haberl Katholik bleibt

Veröffentlicht am 01.01.2025 um 00:30 Uhr – Von Katharina Geiger – Lesedauer: 

Köln  ‐ Rituale und Traditionen sind zu Weihnachten und am Jahreswechsel besonders gefragt. Die christliche Dimension darf für den Journalisten Tobias Haberl dabei nicht fehlen, auch wenn er sich nicht als fromm bezeichnet. Haberl erzählt, weshalb er noch an Gott glaubt und nicht aus der Kirche austritt.

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Tobias Haberl ist Journalist und bekannt durch seine Kolumne im Magazin der "Süddeutschen Zeitung", als Autor vor allem durch sein Buch "Unter Heiden. Warum ich trotzdem Christ bleibe". Im Podcast-Gespräch zu Neujahr spricht er über seinen Glauben, wie er ihn praktiziert und seine Einstellung zur katholischen Kirche. Außerdem geht es um den Unterschied zwischen Optimismus und Hoffnung.

Frage: Lange hatte Sie nichts in die Kirche gezogen, Sie haben Ihren katholischen Glauben nicht praktiziert. Vor ein paar Jahren kam der Glaube mit aller Wucht zurück. Gab es dafür ein Ereignis als Auslöser? Was ist passiert?

Haberl: Es gab kein Schlüsselerlebnis. Das ist ganz interessant. Ich hatte vor knapp 20 Jahren eine Nahtoderfahrung: ein Herzstillstand beim Kardiologen. Das war eine große Zäsur in meinem Leben. Wenn man einmal merkt, dass der Körper nicht mehr das macht, was man will – man ist hilflos ausgeliefert.

Danach bin ich oft gefragt worden, ob das was mit meinem Glauben gemacht hat. "Hast du Gott gesehen? Hast du diesen berühmten Tunnel oder das gleißende Licht gesehen?" Über die Nahtoderfahrung zu sprechen, würde zu weit führen. Meinen Glauben hat das aber überhaupt nicht verändert. Es war ohnehin in einer Zeit, in der er mir nicht so wichtig war. Nur weil ich Gott nicht gesehen habe, würde ich jetzt deswegen nicht an Gottes Existenz zweifeln. Das erschien mir ein bisschen zu einfach und unterkomplex.

Nein, es gab nicht das eine Erlebnis, es waren Begegnungen, Gespräche mit Klerikern, Ordensleuten, aber auch Atheisten, die mir irgendwie Lust gemacht haben, wieder die Messe zu besuchen. Anfangs sporadisch, dann immer regelmäßiger. Und irgendwie hat sich das verstetigt und wurde von einer "Pflicht" zu einer schönen Gewohnheit und zu einer inneren Notwendigkeit. Das ist jetzt kein Gottesbeweis, aber ich fühle mich, seitdem der Glaube wieder eine größere Rolle spielt und seitdem ich auch die Pflichten, die es im Glauben gibt, zumindest versuche zu erfüllen, auf einem Weg, der sich richtig und wahrhaftig anfühlt.

Auch beim Schreiben des Buches habe ich gemerkt, dass ich eigentlich erst ganz am Anfang bin. Ich bin kein Theologe oder Religionslehrer, ich weiß gar nicht so viel über den Glauben. Aber ich will diesen Weg weitergehen, den ich jetzt mit so einem öffentlichen Bekenntnis gestartet habe.

Frage: Wodurch fühlt sich das richtig an: In welchen Momenten oder durch welche Dinge, die zu Ihnen zurückkommen, merken Sie das?

Haberl: Es ist interessant. In meinem Umfeld finden es viele Leute altmodisch oder skurril, sich irgendwelche Regeln vorschreiben zu lassen. "Warum beugst du dich 2.000 Jahre alten Regeln, die noch dazu von alten weißen Männern im Vatikan zurecht gemunkelt werden?" Ich finde, wer so denkt, hat vom Glauben nichts verstanden.

In der Messe und im Gebet geht es mir darum, mich in der Gegenwart Gottes aufzuhalten. Das hat mit dem Vatikan und mit dem, was irgendein Kardinal sagt, erst einmal gar nicht so viel zu tun. Es ist ein großes Geschenk, das man auch üben muss. Das klappt nicht von vornherein.

Genauso wie man nicht in eine Oper gehen und denken kann, es erschließt sich einem ab sofort. Man braucht Erfahrung, man muss es immer wieder tun. Es braucht auch eine Routine und permanente Wiederholung.

Das Leben sortiert sich, würde ich sagen. Ich bin gar nicht so ein frommer Mensch. Ich habe viel ausprobiert in meinem Leben, bin extrem neugierig auf unterschiedliche Milieus und Zusammenhänge, war manchmal rastlos, reise viel, bin immer auf der Suche nach Impulsen. Das hat zu vielen schönen Dingen geführt. Ich glaube, ich bin ein leidenschaftlicher Mensch. Das kann einen auch immer wieder verunsichern. Seitdem der Glaube eine größere Rolle spielt, sortiert sich mein Leben. Vieles, an dem ich mich früher abgearbeitet habe, interessiert mich nicht mehr so! Wenn Menschen sich über meinen Glauben lustig machen, kränkt es mich nicht mehr. Man hat das Gefühl, die Prioritäten verschieben sich. Das Göttliche bleibt, das Nicht-Göttliche, das Oberflächliche, das von niederen Instinkten Geleitete wird unwichtiger. Irgendwann denkt man gar nicht mehr daran. Das ist ein grandioses Gefühl: Man hat irgendwie was Schöneres gefunden als das, was einen vielleicht vor zehn oder 15 Jahren noch umgetrieben oder belastet hat.

Dazu kommt: Man fühlt sich wahrgenommen und erkannt, und zwar 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche, ohne sich ständig in den Mittelpunkt stellen zu müssen.

Priester steht vor einer Kirche mit drei Gottesdienstbesuchern
Bild: ©canva

Gehört für Journalist Tobias Haberl zum Glaubensleben: der regelmäßige Besuch eines Gottesdienstes.

Frage: Sie sind christlich aufgewachsen, haben Ihren Glauben danach aber jahrelang nicht praktiziert. Jetzt ist die Praxis wieder da.

Haberl: Sie ist wieder da und zwar stärker. Ich merke, vor ein paar Jahren hätte ich noch gesagt: Ja, ich bin katholisch und ich gehe gelegentlich in die Messe. Wenn die Sonne allzu schön scheint, bleibe ich vielleicht auch mal weg. Ich meine, es kann immer noch passieren. Ich weiß, wenn ich das bekenne, dass mir verziehen wird. Inzwischen versuche ich, meine Pflichten als Christ ernst zu nehmen, ohne mich, wenn ich sie doch mal sausen lasse, allzu sehr zu quälen.

Es geht mir nicht darum, sklavisch Normen und Dogmen einzuhalten, aber man sollte es versuchen. Man sollte es nicht auf die leichte Schulter nehmen. Und ich merke: Je ernsthafter ich meinen Glauben betreibe und je mehr ich mich daran halte, diese Rhythmen und die Regelmäßigkeit einzuhalten, desto mehr habe ich davon, desto besser gelingt mir auch mein Leben.

Frage: Weltabgewandtheit ist eine starke Kritik, die der katholischen Kirche gegenüber gebracht und in vielen Punkten vorgeworfen wird, in denen sie teilweise nicht mit der modernen Zeit mitgeht. Sehen Sie das nicht so?

Haberl: Ich sehe es teilweise so und weiß, was diese Kritiker meinen, aber finde, dass sie zu kurz denken. Die Kirche darf sich natürlich nicht absolut entkoppeln von der Welt, in der wir leben und von den Problemen der Menschen und von gesellschaftspolitischen Fragen. Sonst wird sie von den Menschen überhaupt nicht mehr ernst genommen. Dann ist sie einfach total aus der Zeit gefallen, hat keine Relevanz mehr und dringt auch mit ihrer Botschaft nicht mehr durch. Das darf nicht passieren.

Das heißt aber nicht – und das ist der konservative Teil in mir –, dass sie sich diesem Zeitgeist komplett anverwandeln muss und genauso werden soll wie die Welt um sie herum. Ich glaube, das wäre eine große Katastrophe und der Weg in die Harmlosigkeit – dass jeder machen kann, was er will –, weil die Kirche da sein muss für die Menschen und ihre Probleme und die Aufgabe hat, die Menschen zur Umkehr aufzurufen und zu Gott zu führen. Ich glaube, dass die Differenz zwischen der sakramentalen Logik der Kirche und dem liberalen Zeitgeist wichtig und kostbar ist.

Ich bin kein Reaktionär, der ins Mittelalter zurück will, aber ich schätze die Kirche auch für unzeitgemäße Positionen, weil sie eigentlich die letzte Instanz ist, die in gewissen Fragen den Finger hebt und mahnt und fragt: Wohin kommt der Mensch, wohin kommt die Menschheit, wenn wir diesen Weg weitergehen?
Da denke ich an wirklich gespenstische technologische Möglichkeiten. Ich denke an Fragen in der Gentechnik usw. Der Mensch macht immer alles, was möglich ist, aber das ist nicht immer gut für ihn und für seine Zukunft und für seine Seele. Davon bin ich überzeugt. Deswegen braucht es auch die Kirche, die unbequem ist.

Frage: Warum bleiben Sie in der Kirche? Warum sollten auch andere in der Kirche bleiben, was würden Sie sagen?

Haberl: Ich würde nie jemandem vorschreiben, ob er in der Kirche bleiben oder ob er sie verlassen soll. Das kann jeder machen, wie er will, und muss es selbst wissen. Ich kann auch verstehen, wenn Menschen, die negative Erfahrungen gemacht haben, mit der Kirche, mit Vertretern von Kirche oder sogar Missbrauchsopfer oder Angehörige von Missbrauchsopfern, sich von der Kirche abwenden.

Das ist ja selbstverständlich. Die Kirche hat große Fehler gemacht und auch einzelne Kleriker haben große Sünden begangen. Man darf aber nicht vergessen, dass Kleriker, die sich an Kindern vergehen, auch ihre Kirche und ihren Glauben an Jesus Christus verraten. Es sind immer Menschen, die so handeln.

Ich fühle mich nicht als Missionar. Ich bleibe in der Kirche, weil es auch eine andere, eine strahlende Seite gibt, die leider von vielen nicht mehr erkannt oder bewusst ignoriert wird. Und weil es mir wichtiger ist, dem Weg, den Jesus Christus gegangen ist, nachzufolgen, als Verlautbarungen aus dem Vatikan. Die Kirche, der regelmäßige Messbesuch und die Sakramente helfen mir trotzdem dabei, dass mein Glaube nicht erkaltet und mehr ist als ein individuelles, subjektiv zusammengebasteltes Konstrukt, wo ich mir überall ein bisschen was herauspicke. Ich kann nur für mich sprechen. Obwohl ich auch immer wieder mit der Kirche und manchen Entscheidungen hadere, habe ich noch nie überlegt, auszutreten. Aber wenn ich etwas kritisiere, dann lieber von innen heraus und dabei mithelfen, dass es besser wird und nicht einfach davonlaufen.

Die Erfahrung einer heiligen Messe will ich mir nicht nehmen lassen und auch nicht die Eucharistie. Das verstehen viele Menschen gar nicht mehr. Die sagen ja, wenn überhaupt, dann muss die Predigt gut sein. Alles andere wollen sie gar nicht verstehen oder wollen sie gar nicht nachempfinden. Ich mag auch eine gute Predigt, aber das Entscheidende ist für mich in einer Messe die Eucharistie. Und ich will nicht auf sie verzichten.

Bild: ©picture alliance/KEYSTONE/ANTHONY ANEX

Laut einer Statistik glauben zwei Drittel aller Kirchenmitglieder gar nicht mehr daran, dass Gott sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.

Frage: Was ist Ihre größte Kritik oder wo würden Sie sich wünschen, dass die Kirche doch mal nach vorne geht?

Haberl: Im Moment empfinde ich die Kirche als extrem verunsichert, als würde sie sich für sich selbst schämen. Als wüsste sie selbst nicht so genau, wer sie eigentlich sein will. Es wird viel darüber diskutiert, wie die Kirche sein soll und welche Reformen wann stattzufinden haben. Ich finde das gut und richtig. Man soll über all diese Dinge sprechen – kirchenpolitische Fragen wie Frauenordination oder Pflichtzölibat.

Aber man darf das Eigentliche, den Wesenskern, den Markenkern des christlichen Glaubens nicht vergessen. Und ich habe manchmal wirklich den Eindruck, als würden selbst Pfarrer und Bischöfe vor lauter gesellschaftspolitischen Fragen vergessen, worum es eigentlich geht. Ja, die Kirche darf ein Klimapapier nach dem anderen veröffentlichen und soll sich für die Demokratie starkmachen.

Das Eigentliche ist für mich aber: Ich bin eher Mystiker als Dogmatiker – mir geht es darum, Gottes Wirken in allen Dingen zu erkennen und zu preisen. Mir geht es um Spiritualität, Seelsorge, Stille, mir geht es um Demut und Ehrfurcht. Mir geht es um das Fragen nach eigener Schuld. Und mir geht es immer wieder darum zu betonen, dass wir Hoffnung auf das ewige Leben haben dürfen.

Es gibt eine fast erschreckende Statistik, dass nämlich zwei Drittel aller Kirchenmitglieder gar nicht mehr daran glauben, dass Gott sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat – für ein christliches Leben eine zentrale Aussage. Das darf, finde ich, nicht verloren gehen. Also mir wird die Kirche gerade ein bisschen zu politisch und sie vergisst ihre eigentliche Aufgabe, nämlich den Menschen in dieser krisenhaften Zeit und in einer sehr ängstlichen und sehr verunsicherten Gesellschaft Hoffnung zu geben – und zwar, indem sie ihnen immer wieder von Jesus Christus erzählt. Das ist mein Kritikpunkt.

Frage: Was gibt Ihnen denn persönlich Hoffnung – in der Situation, in der die Kirche steckt, aber auch in der Gesellschaft und für Sie persönlich?

Haberl: Was das gesamtpolitische Bild betrifft, muss ich sagen, sehe ich im Moment wenig Hoffnung und bin eher pessimistisch. Sowohl was Deutschland und Europa betrifft, als auch die Krisen und Kriege der Welt. Wir leben in einer sehr schwierigen, komplizierten Zeit des Umbruchs mit unsicherem Ausgang. Es könnte wirklich sein, dass diese große historische Epoche der letzten 70, 80 Jahre von Frieden und Wohlstand erst mal der Vergangenheit angehört.

Was mir Hoffnung macht, sind immer wieder einzelne Menschen und Begegnungen. Ich bin jetzt mit dem Buch viel unterwegs, habe viele Lesungen und Diskussionsrunden. Und ich merke, wie sich die Leute, weil da einer steht und von seinem Glauben erzählt, in Ihrem Glauben gestärkt fühlen. Wie sie auch wieder Lust haben, darüber zu sprechen und teils persönliche, ja intime Bekenntnisse ablegen. Als würde an so einem Abend irgendetwas entstehen, was vielleicht in einer normalen Messe oder einem Gottesdienst nicht entstehen würde. Das macht mir Hoffnung, weil wenn wir von "der Kirche" sprechen, darf man nicht vergessen, dass die Kirche nicht der Vatikan oder der Papst oder die Kardinäle sind. Die sind auch Kirche, aber die Kirche sind alle Getauften.

Wenn in Deutschland immer noch knapp 40 Millionen Christen ihren Glauben ernst nehmen und wenn sie ihn freudvoller leben und davon erzählen, dann ist die Welt schon ein kleines Stückchen besser.

Von Katharina Geiger