Tobias Haberl schreibt in neuem Buch über seinen Glauben

Journalist: Bin politisch liberal, aber liturgisch konservativ

Veröffentlicht am 02.10.2024 um 00:01 Uhr – Von Christoph Renzikowski (KNA) – Lesedauer: 

München ‐ In einem liberalen Umfeld arbeiten und jeden Sonntag in die Kirche gehen – passt das zusammen? Der Münchner Journalist Tobias Haberl meint: ja. Und übt sich im Spagat zwischen Alter Messe und Viecherl-Messe.

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Vor anderthalb Jahren schrieb der Münchner Journalist Tobias Haberl (49) im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" einen Essay mit dem Titel "Unter Heiden". Die Resonanz war so überwältigend, dass er ein Buch daraus gemacht hat. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erzählt der Katholik, was ihn trägt und was seiner Meinung nach Menschen abgeht, die nicht glauben können.

Frage: Herr Haberl, Sie haben sich in einem Magazin, das Sie selbst als linksliberal bezeichnen, als gläubiges Kirchenmitglied geoutet. Sind Sie dort jetzt endgültig ein Freak?

Haberl: Ein bisschen war ich das vorher schon. Weil ich konservativer bin als das Magazin, für das ich schreibe, und in manchen Fragen anders als viele meiner Kollegen denke. Für meinen Glauben werde ich nicht kritisiert, aber ich merke, wie manche mich rührend finden, als hätte ich den Sprung in die Gegenwart verpasst. Auf der anderen Seite haben sich auch Kollegen als gläubig zu erkennen gegeben, von denen ich das nie gedacht hätte.

Frage: Wie verlief Ihr Glaubensweg?

Haberl: Ich komme aus dem Bayerischen Wald. Als Junge hatte ich keine Ahnung von Religion, trotzdem gehörte der Glaube so selbstverständlich zum Leben wie der Schweinebraten zum Sonntag. Anders als heute wurde nicht über die getuschelt, die in der Messe waren, sondern über die, die es wieder mal nicht geschafft hatten. Als ich zum Studieren in die Stadt ging, befreite ich mich nicht nur aus der provinziellen Enge, sondern vergaß vor lauter Freiheit auch Gott. Seit einigen Jahren drängt er mit Wucht zurück in mein Leben.

Frage: Wie macht sich das bemerkbar?

Haberl: Ich bete, gehe regelmäßig in die Messe, habe dieses Buch geschrieben, weil mir aufgefallen ist, dass viele Glaubens- und Kirchenkritiker etwas ablehnen, das sie nie richtig kennengelernt haben.

Journalist Tobias Haberl am 7. September 2024 in München.
Bild: ©KNA/Matthias Ziegler

Der Münchner Journalist Tobias Haberl (49) hat vor anderthalb Jahren im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" einen Essay mit dem Titel "Unter Heiden" veröffentlicht. Die Resonanz war so überwältigend, dass er ein Buch daraus gemacht hat.

Frage: Die Kirchen haben als Institutionen in den Augen vieler Zeitgenossen abgewirtschaftet, Stichwort Missbrauchsskandal.

Haberl: Ja, das ist eine Katastrophe. Viele Kleriker haben nicht nur Kinder verletzt, sondern auch ihren Glauben verraten. Was mich aber auch wundert: Warum sind so wenige neugierig darauf, ob es in der Kirche vielleicht noch etwas anderes geben könnte als Missbrauch und Vertuschung? Zum Beispiel Sinn, Trost, Hoffnung. Tatsächlich ist die Kirche nicht nur eine fehlerhafte Institution, sondern auch eine Gemeinschaft von Menschen, in der Werte vermittelt werden, auf die unsere säkulare Gesellschaft dringend angewiesen ist: Nächstenliebe, Vergebung, Aussöhnung. Ganz ehrlich: Ich möchte nicht in einer Welt leben, die sich Technik-Gurus wie Elon Musk und Jeff Bezos für uns ausgedacht haben.

Frage: Wie stehen Sie zu Reformen in der katholischen Kirche?

Haberl: Die Kirche sollte auf eine zeitgemäße Art unzeitgemäß sein. Ihre Aufgabe ist es nicht, so zu sein, wie die Menschen sie haben wollen, sondern diese Menschen vor ihren eigenen zweifelhaften Antrieben zu schützen und zu Gott zu führen. Natürlich darf sie sich verändern, aber nicht zu schnell und nicht zu radikal, weil nicht auf einmal richtig sein kann, was zuvor 2.000 Jahre lang falsch war. Auf keinen Fall darf sie nur noch unanstößige Dinge von sich geben, der Weg in die Harmlosigkeit wäre fatal.

Frage: Können Sie konkreter werden?

Haberl: Ich bin für die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und kann mir einen freiwilligen Zölibat vorstellen. Hin- und hergerissen bin ich bei der Frage, ob Frauen auch Weiheämter bekommen sollen. Als Mensch erkenne ich die Diskriminierung. Als Katholik denke ich: Warum muss eigentlich immer alles möglich sein? Vielleicht wäre schon viel gewonnen, wenn die Kirche insgesamt weniger patriarchal auftreten würde.

„Ich möchte nicht in einer Welt leben, die sich Technik-Gurus wie Elon Musk und Jeff Bezos für uns ausgedacht haben.“

—  Zitat: Journalist Haberl

Frage: Welche Erfahrung mit Kirche ist Ihnen die kostbarste?

Haberl: Ich lebe meinen Glauben sehr intim, bin nicht in einer Gemeinde aktiv, verteile keinen Kuchen am Seniorennachmittag. Manchmal habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen. Dann tröste ich mich damit, dass es so viele Wege zu Gott gibt, wie es Menschen gibt. Ich bin dankbar dafür, dass ich nie schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht habe. Auch Gott habe ich nie als strafend, sondern immer als gütig wahrgenommen.

Frage: Ihr stärkstes Argument für ein Leben mit Gott?

Haberl: Dass da jemand ist, von dem ich mich bedingungslos erkannt und geliebt fühle, ohne dass ich auf mich aufmerksam machen muss. Glaube ist das Gegenteil von Angst: der Angst nicht zu genügen, der Angst nicht wahrgenommen zu werden, der Angst vor dem Sterben.

Frage: Gelingt das immer?

Haberl: Natürlich nicht. Gott ist kein Zauberer, aber wenn ich den Alltag unterbreche, wenn Stille einkehrt, spüre ich etwas Warmes und Sanftes, auf das ich mich verlassen kann, ein Licht, das irgendwo brennt, in mir oder ganz woanders, manchmal nur schwach und kaum spürbar, aber es geht nicht aus.

Bild: ©KNA (Symbolbild)

Haberl sagt, er sei politisch liberal, aber liturgisch konservativ. "Im alten Ritus fühle ich mich Gott so nah wie nirgends sonst. Ich empfinde eine Ehrfurcht, die mich freiwillig auf die Knie sinken lässt – eine grandiose Erfahrung. Trotzdem würde ich nie behaupten, dass diese Form die allein gültige sei", so der Journalist.

Frage: Sie schwärmen für die Alte Messe, also eine sehr konservative Form des Gottesdienstes, können aber auch dem modern daherkommenden Münchner Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler viel abgewinnen. Das ist schon ein spezieller Spagat.

Haberl: Ich habe lang überlegt, ob ich meine Faszination für die Alte Messe ins Buch packen soll. Man gilt schnell als elitär und Rechtsausleger. Tatsächlich bin ich politisch liberal, aber liturgisch konservativ. Im alten Ritus fühle ich mich Gott so nah wie nirgends sonst. Ich empfinde eine Ehrfurcht, die mich freiwillig auf die Knie sinken lässt – eine grandiose Erfahrung. Trotzdem würde ich nie behaupten, dass diese Form die allein gültige sei. Ich bin für religiöse Vielfalt. Unter dem Dach des Glaubens ist vieles möglich, auch Skurriles und Widersprüchliches.

Frage: Wie eine Viecherlmesse bei Pfarrer Schießler?

Haberl: Ach, Pfarrer Schießler zelebriert schon sehr salopp, aber ich erkenne an, dass er es schafft, Menschen aus dem eher kirchenkritischen urbanen, linksgrünen Milieu für den Glauben zu begeistern. Ich brauche keine Witze in der Messe, aber von einer Sache bin ich überzeugt: Gott ist überall mit dabei, in einer Schießler-Messe, im Gregorianischen Choral und beim Seniorennachmittag in der Gemeinde.

Von Christoph Renzikowski (KNA)