Mitten in "Gebets-Krise": Pfarrei belebt Rosenkranz-Bruderschaft neu
Es war eine der auffälligsten Grafiken in der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU) vor gut einem Jahr – und eine, die die viel beschworene Glaubenskrise in Deutschland auf besonders eindrückliche Weise verdeutlichte: In Form von zum Gebet geöffneten Händen zeigte die Grafik die Zahl der täglich betenden Katholiken in den Jahren 2002 und 2022. Die große Hand im Hintergrund symbolisierte das Jahr 2002 und gab den Anteil der täglichen Beter mit 28,6 Prozent an, die deutlich kleinere Hand im Vordergrund stand für 2022 und zeigte nur noch einen Wert von 14,8 Prozent. Die Zahl der Katholiken, die mindestens einmal pro Tag beten, ist demnach in nur 20 Jahren um fast die Hälfte zurückgegangen.
Eine weitere Grafik in der KMU zeigte die Entwicklung noch genauer auf. So nahm die Zahl der Katholiken, die "Mehrmals wöchentlich bis täglich" oder "Einmal im Monat bis einmal in der Woche" beten, zwischen 2002 und 2022 insgesamt um 20 Prozent ab, während die Zahl derjenigen, die "seltener" oder sogar "nie" beten jeweils um satte 10 Prozent zunahm. Das Gebet als Ausdruck des gelebten Glaubens, so legen es diese Zahlen nahe, steckt in Deutschland in einer tiefen Krise. Und das, obwohl der Papst und viele Bischöfe die Gläubigen immer wieder animieren, mehr zu beten. Franziskus hatte 2024 sogar zum "Jahr des Gebets" gemacht – was zumindest in Deutschland jedoch ohne erkennbare Auswirkungen blieb.
Kleine Inseln, in denen das Gebet mit neuem Schwung gepflegt wird
Und doch gibt es sie natürlich noch: kleine Inseln, in denen das Gebet floriert oder sogar mit ganz neuem Schwung gepflegt wird. So wie im sächsischen Radibor. Dort hat die Pfarrgemeinde Maria Rosenkranzkönigin jetzt sogar ihre vor 130 Jahren gegründete, mit der Zeit aber eingeschlafene Rosenkranz-Bruderschaft neu belebt.
Maßgeblich initiiert wurde die Wiederbelebung der Bruderschaft vom Radiborer Pfarrer Benno Jakubasch. "Ich hatte mich schon lange mit dem Gedanken getragen, der Gebetsgemeinschaft neues Leben einzuhauchen", erzählt der Geistliche im Gespräch mit katholisch.de. Zum Patronatsfest der Gemeinde Anfang Oktober habe es endlich geklappt. Im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes nahm Jakubasch 14 neue Mitglieder in die Rosenkranz-Bruderschaft auf, darunter auch Gläubige aus benachbarten Pfarreien. Ihnen allen überreichte der Pfarrer dabei einen von der Pfarrei gestalteten Rosenkranz mit Bildern der Mutter Gottes von Neschwitz und des seligen sorbischen Priesters und Märtyrers Alois Andritzki, der aus Radibor stammte und 1943 von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Dachau ermordet wurde.
„Ich hoffe, dass die Mitglieder durch das Gebet des Rosenkranzes die Geheimnisse unseres Glaubens wieder neu betrachten und verinnerlichen.“
Jakubasch erhofft sich von der Wiederbelebung der Bruderschaft vor allem eine Stärkung des Rosenkranzgebets: "Ich hoffe, dass die Mitglieder durch das Gebet des Rosenkranzes die Geheimnisse unseres Glaubens wieder neu betrachten und verinnerlichen – nämlich das Gott Mensch geworden ist, für uns gelitten hat und wir Anteil haben dürfen an seiner Auferstehung." Vielleicht gelinge es den Mitgliedern sogar, den Rosenkranz zu bestimmten Zeiten gemeinsam mit ihren Familien zu beten.
Die Rosenkranz-Bruderschaften stammen ursprünglich aus dem 15. Jahrhundert. Die erste von ihnen wurde 1468 vom Dominikanerpater Alanus de Rupe im flandrischen Douai gestiftet, die erste deutsche Gemeinschaft wurde 1475 in Köln gegründet. Zentrales Ziel der Bruderschaften war es, die Frömmigkeit der Bevölkerung durch das Rosenkranzgebet zu vertiefen. Die Kölner Rosenkranz-Bruderschaft gab dazu die Parole aus, möglichst viele "Ave Maria" zu beten – im Idealfall 150 pro Woche. Heute existieren Rosenkranz-Bruderschaften in Deutschland unter anderem noch in Wettenhausen bei Günzburg, an der Marienkapelle in Würzburg und im sächsischen Wittichenau.
"Spätestens in Zeiten der Not greift man auf die alten Mittel zurück"
Letzterer gehört schon seit den 1990er Jahren auch Pfarrer Jakubasch an. Er erzählt, dass ihn letztlich ein dramatisches Ereignis in seiner Pfarrei ermutigt habe, die Rosenkranz-Bruderschaft in Radibor wiederzubeleben: "In unserer Gemeinde waren zwei Jugendliche schwer erkrankt, einer von beiden ist sogar gestorben. Als das passiert ist, haben sich andere Jugendliche spontan zusammengefunden, um gemeinsam den Rosenkranz zu beten." Da sei ihm noch einmal mit voller Wucht bewusst geworden, welche Kraft das gemeinsame Gebet habe. "Spätestens in Zeiten der Not greift man auf die alten Mittel zurück – diese Erkenntnis hat mich beflügelt, die Wiederbelebung der Bruderschaft endlich konkret auf den Weg zu bringen."
Zu den Mitgliedern der neu belebten Gebetsgemeinschaft gehört auch Jadwiga Schwarz, die eigentlich anders heißt, sich mit Blick auf Neutralitätspflichten in ihrem Beruf in diesem Text aber nur unter Pseudonym äußern möchte. Auch sie begründet ihre Entscheidung, sich der Bruderschaft anzuschließen, gegenüber katholisch.de mit einer Notlage: "Ein altes Sprichwort sagt: 'Not lehrt beten'. Wir leiden zwar keinen Hunger mehr, wie zuweilen unsere Vorfahren, das heißt aber nicht, dass wir keine Not leiden." So habe etwa die Corona-Pandemie den Glauben an die Allmacht der Medizin erschüttert. Außerdem ließen die wachsende Isolation und Aggression in der Gesellschaft, der beängstigende Klimawandel und der Krieg in Europa die Zukunft düster erscheinen. "Dem sollte man etwas entgegen setzen. Wir brauchen Gemeinschaften, die Halt geben und menschlich bleiben", ist Schwarz überzeugt.
Schwarz glaubt fest daran, dass das gemeinsame Gebet mit anderen Gläubigen Berge versetzen kann. "Bruderschaften vereinen seit Jahrhunderten Menschen mit gemeinsamen Zielen. Wenn viele Menschen für ein gemeinsames Anliegen beten, kann es vielleicht sogar die Politik zum Positiven verändern", sagt sie. Aber auch im eigenen Lebensalltag könnten Gebete und der Gedanke "Wie Gott mich führt, so will ich gehn" helfen, wenn man große Belastungen zu meistern habe.
Abendgebet kniend vor dem Kreuz an der Wand
Doch es waren nicht nur Belastungen und Notlagen, die Schwarz zur Mitgliedschaft in der Rosenkranz-Bruderschaft ermuntert haben. Sie hatte auch eine familiäre Verbindung in die Bruderschaft, von der sie allerdings lange nichts wusste. Auf einen Hinweis von Pfarrer Jakubasch habe sie sich die Liste der ehemaligen Mitglieder der Bruderschaft angeschaut und dort den Namen ihrer Großmutter und ihres Großonkels entdeckt, erzählt sie. Hinzu kam, dass das Gebet in ihrem Leben immer schon eine wichtige Rolle gespielt habe. "Ich erinnere mich an meine frühe Kindheit und an die Gebete, die ich zugegebenermaßen damals ziemlich langweilig fand. Aber das gemeinsame Abendgebet der Familie, kniend im Wohnzimmer vor dem Kreuz an der Wand, in das wir unseren Dank für das Gelungene und unsere Sorgen und Gedenken an verstorbene Verwandte eingeflochten haben, war ein tägliches Ritual." Außerdem könne sie sich erinnern, dass ihre Eltern regelmäßig Briefe vom Bischof erhalten hätten, in denen dieser um Gebete für Anliegen des Bistums und der Welt gebeten habe.
„Oft habe ich in ausweglosen Situationen mein Schicksal in Gottes Hände gelegt und erfahren, dass sich eben in diesem Moment eine unerwartete Lösung für Probleme ohne mein Zutun offenbarte.“
Das Gottvertrauen ihrer Großmutter, die lange Zeit Kantorin in Radibor gewesen sei, und ihrer Eltern habe auch ihr eigenes Gottvertrauen gestärkt, sagt Schwarz. "Oft habe ich in ausweglosen Situationen mein Schicksal in Gottes Hände gelegt und erfahren, dass sich eben in diesem Moment eine unerwartete Lösung für Probleme ohne mein Zutun offenbarte." Seit Beginn des Krieges in der Ukraine nehme sie zudem öfter am Friedensgebet in ihrer Kirche teil, weil sie an die "Macht der positiven Gedanken" glaube.
Die Mitgliedschaft in der Rosenkranz-Bruderschaft habe ihr Leben deshalb auch nicht groß verändert – höchstens in dem Sinne, dass sie nun noch entspannter und bewusster bete und das Gebet als Meditation genieße, betont die Katholikin. "Ich habe aber auch wirklich sehr viele persönliche Anliegen, die ein Gebet brauchen, abgesehen von der täglichen morgendlichen Bitte um die Segenskraft des Heiligen Geistes, damit ich auf Arbeit keine Fehler mache und meine Gedanken, Worte und Werke im Zaum halte." Neben dem Rosenkranz, den sie zur Aufnahme in die Bruderschaft aus den Händen von Pfarrer Jakubasch erhalten habe, hänge sie auch an einem Rosenkranz aus ihrer Kindheit, der Papst Johannes Paul II. zeige und mit dem sie viele Erinnerungen verbinde. "Ein Wegbegleiter im wahrsten Sinne des Wortes", erzählt Schwarz.
"Ich würde mich überhaupt freuen, wenn die Gläubigen wieder mehr beten würden"
Die wiederbelebte Bruderschaft hat derweil schon erste konkrete Früchte getragen. Seit der Neubelebung sind bereits zwei weitere Mitglieder aufgenommen worden, berichtet Pfarrer Jakubasch. Und er hofft, dass es mit der Zeit noch mehr werden – zumal die "Anforderungen" an die Mitglieder niedrigschwellig ist. Regelmäßige Treffen der Bruderschaft finden nicht statt, stattdessen sind die Mitglieder laut Jakubasch dazu aufgerufen, den Rosenkranz möglichst wöchentlich zu beten. Wer das dennoch gemeinsam mit anderen tun wolle, könne jedoch auch in die Pfarrkirche kommen, dort werde der Rosenkranz dreimal in der Woche vor der Messe gebetet. Für mehr Gebete brauche es allerdings auch nicht zwingend eine Bruderschaft: "Ich würde mich überhaupt freuen, wenn die Gläubigen wieder mehr beten würden. Das würde unserer Kirche guttun", betont der Geistliche.