Zwischen Forschung und Fiktion

Der Rosenkranz: Geschichte und Entwicklung eines Gebets

Veröffentlicht am 03.10.2024 um 12:00 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Eine weitverbreitete Legende besagt, der Gründer des Dominikanerordens, der heilige Dominikus, soll den Rosenkranz von der Muttergottes erhalten haben – als Mittel gegen eine antikirchliche Bewegung. Doch wie ist der Rosenkranz wirklich entstanden? Eine Spurensuche.

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Eine der bekanntesten Gebetsformen der katholischen Kirche ist der Rosenkranz. Er ist ein rituelles Gebet, das mit Hilfe einer Gebetskette aus 59 Perlen gebetet wird. Das heißt, bestimmte Gebete wie das Ave Maria oder das Vaterunser werden mehrfach wiederholt. Doch woher kommt diese Gebetsform und war sie schon immer so wie heute? 

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ins Mittelalter zurückgehen. Nach einer alten Legende soll der Rosenkranz nicht nur eine einfache Frömmigkeitsübung gewesen sein. Laut dieser Erzählung erhielt der heilige Dominikus den Rosenkranz während einer Marienerscheinung im Jahr 1208. Dabei soll ihm die Muttergottes diesen "als Waffe" gegeben haben – für den Kampf gegen die im heutigen Südfrankreich ansässigen Albigenser. Diese waren die bekannteste und wichtigste Untergruppe der Katharer, einer religiös und politisch motivierten Protestbewegung, die vom 11. bis 13. Jahrhundert in vielen Teilen Europas die meisten Anhänger hatte. Es handelte sich um eine antikirchliche Bewegung mit christlichen und gnostischen Elementen, die zunächst von der Kirche ignoriert wurde, ab Ende des 12. Jahrhunderts aber immer stärker unter politischen und kirchlichen Druck geriet. Dieser gipfelte im Albigenserkreuzzug (1209-1229) und der Einrichtung von Inquisitionstribunalen ab 1233. 

Ob Dominikus und sein Orden mit ihrer "geistlichen Waffe" gegen die Albigenser erfolgreich waren, bleibt offen. Schließlich hatte Papst Gregor IX. zu dieser Zeit einen anderen, nicht gerade geistlichen Weg eingeschlagen: Die Dominikaner wurden vom damaligen Kirchenoberhaupt beauftragt, die Katharer aufzuspüren und zu verfolgen. 

Entwicklung frühmittelalterlicher Gebete 

Was wie ein historischer Politthriller klingt, scheint sich ganz anders – zumindest weniger dramatisch – abgespielt zu haben. Jedenfalls geht die Forschung davon aus, dass sich das Rosenkranzgebet allmählich aus frühmittelalterlichen Gebeten entwickelt hat. Frühchristliche Wüstenväter, sogenannte Eremiten, und erste Mönchsgemeinschaften kannten die Art des Wiederholungsgebets bereits im 3. Jahrhundert. Dabei wurden einzelne Worte oder auch Sätze aus der Heiligen Schrift meditativ wiederholt. In den später entstehenden Klöstern entdeckten die Mönche dann die jüdische Tradition des Psalmengebets, bei dem alle 150 Psalmen gebetet wurden, gefolgt von Hymnen und dem Vaterunser. So entstand eine frühe Form des Stundengebets.  

Der heilige Dominikus.
Bild: ©picture-alliance/akg-images/Joseph Martin

Die Legende besagt, der heilige Dominikus habe den Rosenkranz während einer Marienerscheinung im Jahr 1208 erhalten haben.

Im Laufe des 11. Jahrhunderts wurde es schließlich für alle Kleriker zur Pflicht. Die sogenannten Konversen, also Laienmönche, die im Kloster nur für handwerkliche Arbeiten zuständig waren, konnten weder lesen noch schreiben und mussten daher anstelle des Stundengebets Ersatzgebete verrichten. Diese mussten auswendig gelernt werden. Allen voran das Vaterunser, das mit Hilfe einer sogenannten Paternosterschnur bis zu 150-mal gebetet wurde. Schließlich begann im 11. Jahrhundert auch die Blütezeit der Marienverehrung, weshalb das Vaterunser mehr und mehr durch das Ave Maria ersetzt wurde. In Anlehnung an die 150 Psalmen der Bibel entstand daher der Name "Marienpsalter", so Michael Rüdiger über den Rosenkranz im Lexikon für Theologie und Kirche. 

Der Unterschied zwischen der damaligen und heutigen Fassung des Rosenkranzes liegt in den sogenannten Clasulae, den Schlusssätzen. Jedem Ave Maria wird nach dem Wort "Jesus" ein Satz, eine Betrachtung, angefügt. Wer diese Schlusssätze zuerst hinzugefügt hat, scheint allerdings unklar zu sein. Bis vor wenigen Jahren ging man davon aus, dass es der Kartäusermönch Dominik von Preußen war, der 1409 die Ereignisse aus dem Leben Jesu in 50 Schlusssätzen zusammengefasst haben soll. Andere Quellen behaupten jedoch, dass bereits 100 Jahre vor Dominik die Zisterzienserinnen des Klosters St. Thomas an der Kryll ein solches Gebet kannten. In 90 Schlusssätzen wurde dort die Heilsgeschichte betrachtet.  

Meditationen um Jesu' Leben zu verstehen 

Was die Zisterzienser schon um 1300 kannten, erreichte um 1409 auch die Kartäuser. Dominikus verfasste eigene Meditationen, um das Leben Jesu besser zu verstehen. Mit dieser Methode hatte er in seinem Orden Erfolg und fand großen Anklang. Sein Prior, Adolf von Essen, beauftragte ihn deshalb, Abschriften seiner Betrachtungen anzufertigen, damit sie verbreitet werden konnten. Bis zu Dominikus' Tod um 1460 sollen mehr als 1.000 Abschriften entstanden sein. Hat Dominikus die Sätze der Zisterzienser gekannt? Die Forschung geht davon aus, dass sie ihm unbekannt waren – trotz der nicht allzu großen Entfernung zwischen den beiden Klöstern. 

Da die vielen Schlusssätze für den einfachen Christen immer noch ein Problem darstellten, musste der Orden sie auf 15 kürzen. So konnten auch einfache, des Lesens unkundige Christen den Rosenkranz beten. Auf diese Weise wurde er zu einem Volksgebet. 1479 schließlich empfahl Papst Sixtus IV. in seiner Bulle "Ea quae" das tägliche Rosenkranzgebet, 1508 wurde dem Ave Maria die Bitte für die Sünder hinzugefügt – "Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder". Papst Pius V., selbst ein Dominikaner, legte schließlich 1569 in seinem Breve "Consueverunt" den Text endgültig fest und regelte damit das Rosenkranzgebet für die ganze Kirche. Erst über 300 Jahre später führte Papst Leo XIII. den Oktober als Rosenkranzmonat ein, Papst Paul VI. widmete mit dem Apostolischen Schreiben "Recurrens mensis october" den Oktober sozusagen offiziell dem Rosenkranzgebet. Noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte Papst Johannes XXIII. 1959 den Rosenkranz im Oktober als Vorbereitung auf die Bischofsversammlung hervorgehoben. 

Johannes XXIII
Bild: ©picture-alliance / akg-images / Erich Lessing | Erich Lessing

Noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil hatte Papst Johannes XXIII. 1959 den Rosenkranz im Oktober als Vorbereitung auf die Bischofsversammlung hervorgehoben.

Aber auch andere Religionen kennen Gebetsketten oder Gebetsschnüre, etwa der Hinduismus, der Buddhismus und der Islam. Sie dienen dazu, kurze, oft zu wiederholende Gebete abzuzählen. Diese werden wiederholt, um die darin ausgedrückten Glaubensinhalte zu meditieren. Im Unterschied zum katholischen Rosenkranz hat beispielsweise die islamische Gebetsschnur dreimal 33 Perlen. Die Anrufung der ersten 33 lautet "subhana Ilah" (Lob sei Gott), die zweite "alhamdu Lillah" (Lob sei Gott) und die dritte "Allahu akbar" (Gott ist groß). Die 99 Perlen sollten zugleich an die 99 schönsten Namen Allahs erinnern.  

Je mehr der Betende durch die Wiederholung meditierend in die Tiefe der Glaubenswahrheiten eindringt, desto mehr macht er sich die darin zum Ausdruck kommende Haltung zu eigen. So wird das Gebetswort zur eigenen inneren Haltung. Der Rosenkranz ist bis heute für viele Christen ein wichtiges Element katholischer Frömmigkeitspraxis geblieben. Vor allem in traditionell katholischen Ländern ist er tief im Alltag verankert – sei es als private Andacht, als gemeinschaftliches Gebetstreffen oder als Vorbereitung auf marianische Hochfeste.

Von Mario Trifunovic