Himmelklar – Der katholische Podcast

Wieso die Kirchenmusik im Regen steht

Veröffentlicht am 15.01.2025 um 00:30 Uhr – Von Verena Tröster – Lesedauer: 

Köln  ‐ Im Gottesdienst dürfen sie singen, beim Pfarrfest nicht. Jedenfalls nicht ohne die anfallenden GEMA-Gebühren selbst zu zahlen. Viele Kirchenchöre und Komponisten sehen sich dadurch in ihrer Arbeit beschnitten, klagt Kantor Wilfried Kaets im Podcast.

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"Ich liebe meine Chöre und die Menschen, die in ihnen singen", sagt Regionalkantor Wilfried Kaets. Seit einigen Monaten allerdings fühlt sich der leidenschaftliche Musiker massiv in seiner Arbeit beschnitten. Im Podcast erzählt er, dass die Nichtverlängerung des GEMA-Pauschalvertrages 2024 dazu führt, dass seine Musik nur noch als Begleitung der Liturgie von den Bistümern abgegolten wird. Sobald seine Chöre ausserhalb der Gottesdienste singen und beispielsweise ein Mitsingkonzert oder ein Pfarrfest musikalisch begleiten, müssen sie die GEMA-Kosten selbst bezahlen. Eine untragbare Situation für den Chorleiter, der das kirchenmusikalische Tun vieler Menschen mit Füssen getreten sieht.

Frage: Herr Kaets, der GEMA-Pauschalvertrag, den die Bistümer eigentlich für ihre Chöre abgeschlossen haben, ist nicht verlängert worden. Das sorgt für sehr viel Frust in der Kirchenmusik. Was sind die Hintergründe?

Kaets: Diesen GEMA-Pauschalvertrag gibt es für die evangelische und die katholische Kirche, und den gibt es auch für jedes Kino und jede Kneipe und jedes Kulturzentrum. Den gibt es seit Jahrzehnten jetzt für den Bereich der Kirchen. Die Werke, die man aufführt und die urheberrechtlich geschützt sind, werden damit über eine Pauschale abgeglichen, welche die deutschen Bistümer, wenn wir mal im Katholischen bleiben, an die GEMA zahlen. Das bedeutet, wenn ich als Kirchenmusiker für einen Chor ein Konzert mache oder die Kita ein Sommerfest macht oder die Pfarrgemeinde ein Pfarrfest als Mitsingkonzert macht, dann melde ich das bei der GEMA an und sage, welches Konzertstück ich da aufführe. Dann wird das über eine Pauschale abgegolten. Und die Urheber bekommen Geld dafür. Das hat über Jahrzehnte ganz gut funktioniert. Jetzt haben im letzten Jahr der Verband der Diözesen (VDD), das ist so eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen Bistümer auf katholischer Seite und auch die Evangelische Kirche beide die Vertragsverlängerungen, die regulär ausliefen und mal wieder erneuert wurden, verhandelt. Und die Evangelische Kirche hat gesagt, das ist ihnen wichtig, dass die Leute weiterhin Musik machen können und dass sie, weil sie sich ja sowieso ehrenamtlich engagieren, auch gefördert und nicht noch zusätzlich belastet werden. Und so haben sie den (Vertrag) einfach weitergeführt – zu den üblichen inflationsbedingten Steigerungen, aber in keiner Relation zu einer Einzelverrechnung. Die Katholiken haben gesagt: Ach, das können wir einsparen, das interessiert uns nicht. Sie haben sich dann aber überlegt, dass es schon wichtig ist, dass die Chöre in der Liturgie Musik machen. Das haben sie verlängert und alles andere aber nicht. Der Clou an der Geschichte war auch noch, dass das für Monate rückwirkend galt. Das heißt, die Chöre haben erst Monate später im Frühjahr erfahren, dass dieser Fall Anfang des letzten Jahres schon eintrat.

Frage: Sie mussten also nachträglich zahlen?

Kaets: Ja, da sind natürlich viele kalt überrascht worden, denn wenn man das jetzt anmeldet und dann nachträglich zahlt, muss man den doppelten Satz zahlen. Das ist so eine Art Strafzahlung. Das hat zur Folge, dass die Kirchenchöre, egal ob Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenchöre, und alle gemeindlichen Institutionen jetzt selber alles zahlen müssen. Dafür hatte natürlich vor allem im letzten Jahr, aber ich glaube, auch jetzt ist das nicht besser, keiner irgendwelche Finanzmittel in den Etat eingestellt. Das hatte wiederum zur Folge, dass ich von einer ganzen Reihe Konzerte weiß, die abgesagt wurden, weil plötzlich Zahlungen an die GEMA im Raum standen, die gar nicht etatisiert waren. Die Chöre hatten gar kein Geld dafür. Die machen das ja auch ehrenamtlich und sind froh, wenn sie über eine Kollekte ihr Konzert finanziert kriegen und die drei Geigen oder die Band mitbekommen. Der große Frust ist, dass die Chorsängerinnen in den Gemeinden sich jetzt wirklich im Regen stehen gelassen fühlen. Ich sage es mal ganz brutal: Wir tragen den Priestern musikalisch die Schleppe hinterher im Gottesdienst, aber alles andere interessiert sie nicht. Das hat zu viel Frust geführt. Denn jeder Jugendchor, der jetzt mal ein Pop-Mitsing-Konzert macht oder auch Neue Geistliche Lieder (NGL) oder "Presence Worship" auf dem Parkplatz oder so, soll das selber zahlen. Jede Kita, die ein Sommerfest mit den Eltern macht, muss das selbst zahlen, weil es auch eine öffentliche Veranstaltung ist, selbst wenn nur die Eltern da kommen.

Frage: Ist das kommuniziert worden, hat es Gespräche gegeben?

Kaets: Da sind unter anderem von Verwaltungsleitungen, Rendanten und Chören hunderte von Briefen bundesweit an die Bischöfe gegangen, und die Antwort war: Ja, das ist ein ernstes Problem, Sie sind uns sehr wichtig und wir kümmern uns. Das ist jetzt ein Jahr her und nichts ist passiert. Das hat jetzt gerade bei den noch aktiven Leuten zu solchem Frust geführt. Und das ist das Schlimme, finde ich. Die Leute, die sowieso nichts machen, denen ist das im Grunde egal. Die Ehrenamtler aber, die aus meiner Sicht zu den aktivsten in den Gemeinden gehören, die 40 Proben im Jahr außerhalb der Ferienzeiten machen und 10-15 Auftritte, Chorfahrten, Feiern, Feste mitmachen und beim Pfarrfest mitwirken, fühlen sich jetzt wirklich alleingelassen oder sogar aktiv vors Knie getreten. Das finde ich unsäglich.

Frage: Das heißt im Prinzip, man ist als Chor jetzt dadurch viel mehr an die Kirche und an die Liturgie gebunden?

Kaets: Das kann man so nicht sagen. Man kann aber sagen: Sobald ich irgendwas mache, was nicht in der Liturgie stattfindet, muss ich es auch noch zusätzlich selber zahlen, obwohl ich ohne Geld sogar noch meistens mit einem Chorbeitrag in einem Chor mitsinge. Dann muss ich noch zusätzlich für diesen Service zahlen, den ich für die Gemeinde und in der Gemeinde mache. Ich meine, die Gemeinden sollten daran interessiert sein, dass es Menschen aller Generationen gibt, die sich um dieses soziale Leben kümmern. Und das lässt man die Leute noch einzeln separat bezahlen. Das ist, finde ich, ganz unchristlich. Ich kann das nicht anders sagen.

Frage: Jetzt könnte man ja sagen, dass Kirchenmusik genau dafür da ist, um Gottesdienste zu begleiten ...

Kaets: Ja, können Sie machen. Das ist auch genau die Haltung, die dahinter steht. Dann werden Sie aber übermorgen keine Leute mehr haben, die da singen, weil die nämlich nicht nur Kirchenmusik singen wollen.
Die wollen auch mal ABBA singen und die wollen mal Kölsche Messe machen oder die wollen mal auf dem Pfarrfest draußen singen. Das sollen sie auch. Es kann aber doch nicht angehen, dass ich jetzt im Juni ein Pfarrfest mache, und dann sollen wir irgendwie auf dem Platz nach der Messe fröhliche Lieder mit der Gemeinde singen, und dann soll der Chor das noch einzeln zahlen. Das kann doch nicht stimmen. Ich glaube auch, dass man den Menschen nicht gerecht wird. Wenn das Programm so eng geführt wird, werden die Leute nicht mehr kommen. Und am anderen Ende weiß ich schon von Komponisten, die sagen, dass sie für die Kirche nicht mehr schreiben, denn die Kirche führt sie ja sowieso nicht auf, weil zeitgenössische Musik immer urheberrechtlich geschützt wird. Wenn sie Mozart singen, wenn es nicht aus einer Spezialausgabe ist, dann ist das ja abgedeckt. Der ist lang genug tot. Das betrifft aber alles, was neue Musik ist, das betrifft Musik von Ruhama oder von Martin Lonquich. Menschen aus unserer Generation betrifft das gleichermaßen, die sagen, sie komponieren doch gar nicht mehr für Kirche. Das wird zu einer massiven Verarmung führen. Das finde ich fatal.

Probe eines Kirchenchores mit Notenblättern und Dirigenten
Bild: ©Hannes Mallaun – stock.adobe.com (Symbolbild)

Probe eines Kirchenchores mit Notenblättern und Dirigenten

„Dass wir jetzt schlechter dastehen als irgendeine Jazz-Kneipe in der Stadt Köln, das kann doch nicht stimmen.“

—  Zitat: Kantor Wilfried Kaets

Frage: Merken Sie schon etwas davon? Wenn Sie sich zum Beispiel Ihren Jugendchor St. Rochus angucken? Im Jahr 1991 haben Sie den gegründet. Er hat 35 Mitglieder und ist ein starker und leistungsfähiger Chor in Köln. Wie geht es dem im Moment?

Kaets: Ja, mit dem habe ich jetzt im letzten Jahr ein großes Musical mit einem Orchester uraufgeführt. Das haben wir alles selber bezahlt. Das war mir wichtig, das zu tun. Ich finde das nicht in Ordnung, aber wir haben es gemacht, weil ich den Jugendlichen neben der Musik, die wir für die Kirche für den liturgischen Vollzug machen, auch was bieten muss, wo ich sie mit der Musik abhole, die sie gerne machen wollen.
Wir haben bei einem Jugendchor-Tag, der von uns vor einigen Jahren in der Musikhochschule organisiert wurde, mal eine Umfrage gemacht. Es gab 770 Rückmeldungen und da wurde gefragt: "Was singt ihr derzeit und was würdet ihr gerne singen?" Und das war eindeutig, dass die Leute viel lieber auch mal gerne ein bisschen mehr Pop, Rock, Filmmusik, Soul und so was singen wollten, anstatt nur NGL oder nur Taizé oder so etwas. Wenn man die Menschen da nicht abholt und ernst nimmt und mitnimmt, weiß ich nicht, wo das hinführen soll. Da kommt ja alles andere noch dazu. Also wir müssen jetzt nicht über Autoritätsverlust und Missbrauchsskandal sprechen – oder das Erscheinungsbild von Kirche und das Kümmern um den Bereich Jugend, das kommt ja noch dazu. Ich finde, das ist ein Signal und das ist so kurz gedacht. Wir können so bundesweit vielleicht 3 Millionen sparen, aber wir haben eine Million wirklich aktive Sängerinnen und Sänger, die sich hintergangen fühlen. Und das, finde ich, ist das schlimme.

Frage: Es ist natürlich auch eine Riesenchance, junge Menschen noch irgendwie an die Kirche zu binden, wenn der Chor auch die Chance auf gemischtes Repertoire bietet und wenn auch mal ein Auftritt in der Philharmonie oder in der Lanxess-Arena (oder in einer größeren Location) dabei rumkommt. Das zieht natürlich.

Kaets: Das zieht natürlich. Und es zieht auch, wenn wir uns auf den Platz stellen bei uns und wie im letzten Jahr mal so ein Mitsing-Konzert machen. Da konnten sich die Leute vorher per Internet-Voting selber ihr Programm wünschen. Da haben wir von "(I Can't Get No) Satisfaction" von den Rolling Stones bis zu "Thank You for the Music" von ABBA, Grease, Dirty Dancing alles gehabt. Das Publikum konnte sich das Programm aussuchen. Es war eine Band von unserer Musikschule dabei, die Dozenten. Es waren 500 Leute auf dem Platz, aber da hat die Kollekte noch nicht mal gereicht, um die GEMA zu zahlen. Das kann doch nicht stimmen.

Frage: Das passiert ja auch genau andersherum. Zum einen zieht so etwas junge Menschen an und bringt sie in die Kirche. Andererseits öffnen Kirchen sich musikalisch auch in verschiedene andere kulturelle Bereiche. Kirchenmusik ist ja auch gesellschaftlich bedeutsam. Auch das wird dadurch dann automatisch zurückfahren. Oder was glauben Sie?

Kaets: Ich glaube, ja.

Frage: Was denken Sie, wie stehen die Bistümer jetzt zu dieser Entscheidung, die da getroffen wurde?

Kaets: Ich glaube, die hatten gar kein Interesse, haben nicht darüber nachgedacht und fühlten sich jetzt ein bisschen peinlich betreten und haben dann gedacht: Na ja, jetzt haben wir 2.000 Briefe bekommen. Den Sturm überstehen wir und eine Woche später spricht da kein Mensch mehr von. Wir haben die 2 Millionen eingespart. Das ist Gleichgültigkeit und Geringschätzung. Wenn ich mir überlege, dass das für die evangelische Kirche überhaupt kein Thema war, dann ist das auch eine Form von Wertschätzung. Dass wir jetzt schlechter dastehen als irgendeine Jazz-Kneipe in der Stadt Köln, das kann doch nicht stimmen. Es ist aber gerade so!

Von Verena Tröster