Theologe: Neue Seminar-Richtlinien revolutionärer als manche wollen
Der Theologe Markus Krienke sieht in den neuen Richtlinien der Italienischen Bischofskonferenz zum Umgang in der Priesterausbildung mit Homosexualität bahnbrechendes Potenzial. Schwule Priesteramtskandidaten könnten nun offen über ihre Sexualität sprechen, sagte der in Lugano lehrende Krienke am Donnerstag dem Portal "domradio.de". "Das ist in der Kirche doch revolutionärer als es die haben wollen, die behaupten, es habe sich eigentlich gar nichts getan."
Die Italienische Bischofskonferenz hatte vor Kurzem aktualisierte Vorgaben für die Priesterausbildung, eine sogenannte "ratio nationalis", veröffentlicht und darin auch den Umgang mit homosexuellen Interessenten am Priesterberuf thematisiert. Wenn es um "homosexuellen Neigungen" gehe, müssten diese "wie bei jedem Kandidaten [...] im Gesamtrahmen der Persönlichkeit des jungen Menschen" erfasst werden, heißt es dort. Beobachter hatten dies als Lockerung der Zugangsregeln für homosexuelle Männer interpretiert. Dies wäre eine Abkehr von den 2016 vom Vatikan erlassenen Richtlinien für die weltweite Kirche, wonach die Zulassung von Personen zum Priesterseminar und zur Weihe, die "Homosexualität praktizieren, tiefsitzende homosexuelle Tendenzen haben oder eine sogenannte 'homosexuelle Kultur' unterstützen", untersagt sei.
Widerspruch von Bischöfen und Theologen
Dieser Lesart widersprachen jedoch die Italienische Bischofskonferenz sowie einige Kirchenrechtler. Der Vorsitzende der Kommission für den Klerus und das geweihte Leben der Bischofskonferenz, Stefano Manetti, erklärte etwa in der katholischen Zeitung "Avvenire", dass der entsprechende Paragraf lediglich die Position des Lehramts bestätige. Die "wirkliche Neuheit" des Dokuments bestünde darin, dass es die Notwendigkeit der "Unterscheidung" betone. Man wolle Personen jenseits üblicher Kategorisierungen bei der "Wahrheitsfindung bezüglich ihrer sexuellen Orientierung" begleiten.
Krienke betonte, dass die Interpretation, wonach schwule Männer nun in italienische Priesterseminare aufgenommen werden könnten, "stark tendenziös", aber möglich sei. "Ich würde sagen, homosexuell veranlagte Menschen können jetzt in italienischen Priesterseminaren offen aufgenommen werden", betonte der Theologe. Die italienische Bischofskonferenz habe einen Weg gefunden, bei diesem Thema offen zu sein, ohne lehramtlichen Aussagen zu widersprechen. "Denn das Verschweigen dieses Themas richtet in der sexuellen Ausrichtung von Priesteramtskandidaten generell großen Schaden an."
Revolutionäres Potenzial hätten die neuen Regelungen auch deshalb, weil man Homosexualität "aus dem Verborgenen in die Offenheit bringen" wolle und so Priesteramtskandidaten nicht mehr erpressbar seien. So nehme man dem Thema Sexualität in der Kirche "die Auswirkungen, die es in der psychologischen oder machtperspektivischen Struktur einnimmt". Und weiter: "In dieser Weise würde wahrscheinlich auch die Kirche als Zufluchtsort unattraktiver für homosexuelle Leute, die sich vor ihrer Homosexualität flüchten, sie nicht darstellen können oder keine Beziehung zur eigenen Homosexualität einnehmen wollen." (KNA)