Nicht nur Frage nach Homosexualität: Debatte um Italiens Seminarregeln
Dürfen schwule Männer in Italien offiziell Priester werden oder nicht? Anfang Januar traten in Italien neue Leitlinien für die Ausbildung von Priestern in Kraft, deren 44. Absatz für reichlich Diskussionen sorgte. Dort steht: "Wenn im Ausbildungsprozess von homosexuellen Neigungen die Rede ist, ist es auch angebracht, die Unterscheidung nicht nur auf diesen Aspekt zu reduzieren". Viel mehr gehe es darum zu überprüfen, ob Priesterkandidaten sich ihrer Sexualität bewusst seien und auf ihre Auslebung – ob hetero- oder homosexuell – gemäß der Zölibatsverpflichtung verzichten können.
Seither tobt ein Deutungsstreit um den 44. Abschnitt des Papiers. Während der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller von einer "Entdramatisierung" der Homosexualität in italienischen Priesterseminaren sprach, erklärte der römische Kirchenrechtler Stefan Mückl, er sei erstaunt über die Wahrnehmung, wonach die italienische Bischofskonferenz entschieden habe, Homosexuelle künftig nicht mehr grundsätzlich vom Priesteramt auszuschließen. Flankierend äußerten LGBT-Vertreter und Seelsorger ihren Unmut – das Dokument sei unzureichend. Es bleibe alles beim Alten.
Die "wirkliche Neuheit"?
Wie viel Feuer bei dieser Frage unterm Dach ist, zeigte die Reaktion der italienischen Bischöfe. Sie versuchten schnell Deutungshoheit über ihr veröffentlichtes Dokument zurückzugewinnen: Der Vorsitzende der Kommission für den Klerus und das geweihte Leben der Bischofskonferenz, Stefano Manetti, erklärte in der bischofseigenen Zeitung "Avvenire", dass der umstrittene Paragraf lediglich die Position des Lehramts bestätige. Die "wirkliche Neuheit" des Dokuments bestünde darin, dass es die Notwendigkeit der "Unterscheidung" betone. Man wolle Personen jenseits üblicher Kategorisierungen bei der "Wahrheitsfindung bezüglich ihrer sexuellen Orientierung" begleiten.
Ähnlich äußerte sich der Tübinger Kirchenrechtler Bernhard Anuth auf Nachfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): Auch bisher hätten Kandidaten zur Weihe zugelassen werden können, deren "homosexuelle Tendenzen", "bloß Ausdruck eines vorübergehenden Problems, wie etwa einer noch nicht abgeschlossenen Adoleszenz", und vor der Weihe "eindeutig überwunden" waren. "Die italienischen Bischöfe ordnen diese 'Überwindung' tiefsitzender homosexueller Neigungen nun lediglich sensibler und differenzierter ein", so Anuth. Wer nach dem in der Ratio nationalis beschriebenen Klärungsprozess zur Weihe zugelassen werde, hat demnach keine "tiefsitzenden" und damit aus amtlicher Sicht problematischen homosexuellen Neigungen mehr. Die amtliche Lehre, nach der Homosexualität "objektiv ungeordnet" sei, gelte dabei unverändert fort, so der Kirchenrechtler.
Auffallend ist, dass die italienischen Bischöfe trotz der grundsätzlichen Rezeption humanwissenschaftlicher Expertise weiterhin die lehramtliche Rede von "homosexuellen Tendenzen" beibehalten. Sie impliziert damit – gemeinsam mit dem Gedanken der "Überwindung" –, dass es sich bei der sexuellen Orientierung um eine Tendenz und damit um etwas Wandelbares handelt. Dieses Narrativ wird von betroffenen Seminaristen und Kleriker als belastend empfunden. Es kann Betroffene unter Druck setzen, weiterhin einen Teil ihrer Identität zu verstecken.
Doch die Frage nach Homosexualität und katholischem Klerus ist nicht die einzig kontroverse, die sich in der neuen Ausbildungsordnung findet. Auffallend ist, dass die italienischen Bischöfe an vielen Stellen auf kulturelle und soziale Einflüsse auf zukünftige Kleriker hinweisen. Die Liste ist lang: Social-Media, vielfältige Lebensmodelle und Sinnangebote, heterogene Sozialisierungen von potentiellen Neu-Priestern.
So widmen sich die Leitlinien beispielsweise ausführlich der Frage, in welchem Umfeld der Priesternachwuchs auszubilden ist. Dabei schlagen die italienischen Bischöfe eine verstärkte Einbindung von Frauen und Fachleuten vor. In den mehr als 200 italienischen Bistümern – manche haben weniger als 100.000 Katholiken – gibt es bis jetzt insgesamt rund 120 Priesterseminare. In diesen Häusern leben weniger als 2.000 Seminaristen. Vor 50 Jahren war es noch rund dreimal so viele. Folglich enthält das Papier auch Überlegungen zur Zusammenlegung von Ausbildungsstätten, denn: Für die Entwicklung einer gefestigten Persönlichkeit brauche es eine größere Gruppe, schreiben die Bischöfe.
Experten außerhalb des kirchlichen Kreises
Die Notwendigkeit menschlicher Reife und Entwicklung zieht sich durch das gesamte Papier. Seminaristen sollen zukünftig verstärkt Angebote von therapeutischer Begleitung bekommen – auf eigenen Wunsch oder auf Anraten der Ausbildungsveranwortlichen. Mehrmals betonen die italienischen Bischöfe, dass der psycho-soziale und sexuelle Entwicklungsstand von Kandidaten geklärt und gefestigt sein müsse, bevor sie zu Diakonen und Priestern geweiht werden könnten. Die Vehemenz mit der darauf insistiert wird, zeigt, dass man in Italien ein gewisses Problembewusstsein hat. Eine damit zusammenhängende Empfehlung der Bischöfe ist die verstärkte Zusammenarbeit mit Experten und Fachleuten außerhalb des inneren, kirchlichen Zirkels.
Ausführlich, wenn auch nicht immer explizit, widmet sich das Dokument dem Themenkomplex des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Während Anfang der Woche das Bistum Bozen-Brixen als erstes von über 200 italienischen Diözesen einen Missbrauchsbericht vorgelegt hat, signalisieren die italienischen Bischöfe für ihre Seminarausbildung größere Sensibilität. Die Kultur des Missbrauchs sei "leider lange ignoriert" worden, so die Bischöfe. Daher "kann es für die Ausbilder in den Seminaren nützlich sein", mit Präventionsfachkräften zusammenzuarbeiten. Es brauche stabile Wege der Zusammenarbeit. Nur so fördere man notwendige Reformen, "um eine Kultur der Fürsorge zu entwickeln und die Kultur des Missbrauchs auszurotten".
Diese Herangehensweise lobte der Vorsitzende der Deutschen Regentenkonferenz und Leiter der Fuldaer Priesterausbildung, Dirk Gärtner, Anfang Januar im Gespräch mit der KNA: "Die veröffentlichte Fassung der italienischen Ausbildungsordnung nimmt neue Erkenntnisse der Sozialforschung und der Humanwissenschaften auf." Daran arbeite man zurzeit auch in Deutschland, so Gärtner. Er kündigte eine neue Ausbildungsordnung für Deutschland nach ähnlichen Kriterien an.