Homosexualität, Umgang mit Armen: Wie legt KI die Bibel aus?

Künstliche Intelligenz ist in aller Munde – sogar der Vatikan hat Richtlinien dazu herausgegeben. Aber was bedeutet der Umgang mit KI ganz praktisch? Juliane Eckstein ist Alttestamentlerin an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Sie hat KI zur Bibel befragt, auch zu umstrittenen Themen wie Homosexualität. Im katholisch.de-Interview verrät sie, ob die Nutzung einer Bibel-KI ratsam ist.
Frage: Frau Eckstein, wie funktioniert das, wenn man eine KI-Anwendung zur Bibel befragt?
Eckstein: Wie alle KI-Programme basieren auch Bibel-Anwendungen auf sogenannten Large Language Models (LLMs). Sie greifen auf große Mengen an Textdokumenten zurück und analysieren sie. Die Programme sind darauf trainiert, auf Basis von Wahrscheinlichkeitsberechnungen neue Aussagen zu treffen. Konkret stellt man eine Frage und bekommt eine Antwort, die sich wie von einem Menschen geschrieben liest. Bibel-KIs, zum Beispiel "ChatGPT – Die Bibel antwortet", bauen in ihre Antworten auch Verweise auf konkrete Bibelverse ein. Sie geben nicht nur den Inhalt der Bibel wieder, sondern legen die Bibel auch aus und ordnen die Aussagen ein. In der Exegese, also in der wissenschaftlichen Bibelauslegung, arbeiten wir schon länger mit spezieller Bibel-Software, zum Beispiel um Bibelverse nach bestimmten Wortkombinationen zu durchsuchen. Diese Programme werden jetzt nach und nach mit KI bestückt, was die Analysen präziser und effizienter macht.
Frage: Da gibt es doch sicher auch Fallstricke: Wenn es zum Beispiel um die Bibelauslegung geht, sind die KI-Anwendungen dann eher liberal oder konservativ unterwegs?
Eckstein: Zumindest kann man aus der Auslegung bestimmter Bibelstellen Rückschlüsse auf die Quellen der KI ziehen. Häufig schimmert da ein evangelikaler Einschlag durch, weil es derzeit eben vor allem diese Quellen sind, die in großer Menge frei verfügbar sind. Zudem verweisen KI-Anwendungen vor allem auf das Neue und nur sehr selten auf das Alte Testament. Das weist auf eine Dominanz christlicher Quellen hin. Eine jüdisch beeinflusste KI beispielsweise würde die Hebräische Bibel heranziehen, also nur die auf Hebräisch und Aramäisch verfassten Teile des Alten Testaments.
Frage: Was würde eine KI-Anwendung zum Beispiel antworten, wenn ich frage: Was sagt die Bibel zum Umgang mit Homosexuellen?
Eckstein: "ChatGPT – Die Bibel antwortet" hat mir auf diese Frage zum Beispiel Levitikus 18,22 als Bibelstelle aufgeführt – "Und bei einem Mann sollst du nicht liegen, wie man bei einer Frau liegt: Ein Gräuel ist es." Auch hier sieht man eine protestantisch-evangelikale Beeinflussung. Zum einen wird statt der Einheitsübersetzung die Elberfelder Bibel zitiert, also eine protestantische Bibelübersetzung. Außerdem ist im Katechismus der katholischen Kirche beim Thema Homosexualität eine ganz andere Bibelstelle aus dem Alten Testament zentral: Das Buch Genesis, Kapitel 19, die Erzählung von Sodom und Gomorra. Diese Perikope aber kam in der KI-Antwort gar nicht vor. Generell sind die Antworten von KI-Anwendungen zu Homosexualität wie zu anderen umstrittenen ethischen Themen aber sehr wertschätzend formuliert und liefern – übrigens ungefragt – eine gesamtbiblische Kontextualisierung der Aussagen gleich mit. Darauf haben die Entwickler offensichtlich sehr geachtet und versucht, Missbrauch vorzubeugen.

Dr. Juliane Eckstein ist Theologin und Alttestamentlerin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Frage: Können Sie noch ein anderes Beispiel nennen?
Eckstein: Ich habe die KI gefragt: "Soll man Bettlern Geld geben?". Da verweist sie auf Matthäus 5,42: "Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas von dir borgen will“ oder auf Sprüche 19,17: "Wer sich des Armen erbarmt, der leiht dem Herrn" – diesmal übrigens in der Fassung der Lutherbibel. Beim Zitieren dieser Bibelstellen bleibt es aber nicht, sondern die KI liefert auch "praktische Überlegungen" mit. Sollte man Geld geben oder lieber Essen und Kleidung oder eine Hilfsorganisation unterstützen? Mir werden also nicht nur die Bibelstellen genannt, sondern auch gleich, was ich damit heute anfangen soll und unter welchen Umständen ich die biblischen Aussagen umgehen kann. Unklar bleibt dabei aber, was die Quellen sind, woher die KI dieses Wissen bezieht.
Frage: Das klingt ja eigentlich ganz praktisch. Was sind Gefahren einer Bibel-KI?
Eckstein: Nutzer müssen kritisch hinterfragen, auf welche Quellen sich die KI bezieht. Und natürlich gibt es die Gefahr einer Instrumentalisierung für bestimmte ideologische Agenden. Wenn ich die KI mit Hass und Hetze gegen Homosexuelle und entsprechenden Bibelzitaten füttere, dann produziert sie neuen Hass und neue Hetze. Ein Beispiel aus den bereits etablierten Social-Media: Im US-Wahlkampf haben Großspender evangelikale und auch rechtskatholische Medien und soziale Medien finanziell unterstützt, die stark auf sexualmoralische Fragen und Geschlechterthemen abheben. Die Kanäle haben so große Aufmerksamkeit bekommen und gleichzeitig Aufmerksamkeit von anderen wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Problemen abgezogen. Entsprechend könnte auch versucht werden, eine Bibel-KI zu beeinflussen – obwohl zum Beispiel die Wirtschaftsethik in der Bibel eine sehr viel größere Rolle spielt als die Sexualmoral.
Frage: Was würden Sie mit Ihrem Hintergrundwissen durchschnittlichen Nutzern unter dem Strich raten: Ist eine Bibel-KI zu empfehlen oder eher nicht?
Eckstein: Ich würde nach dem aktuellen Stand nicht generell von Bibel-KIs abraten. Man sollte aber immer im Hinterkopf haben, wer beispielsweise die KI trainiert hat und was die Quellen sind. Eine KI-basierte Antwort kann ein guter Ausgangspunkt sein, um die Bibel selbst mal wieder in die Hand zu nehmen und weiterzulesen. Sie erstellt zum Beispiel auch Bibellesepläne – nur schneller und individueller zugeschnitten als zum Beispiel die App "Die-Bibel.de" oder der liturgische Bibelleseplan des Katholischen Bibelwerks.

Dient der Künstlichen Intelligenz als Quelle: Die Luther-Bibel.
Frage: Könnten die Anwendungen auch Theologen oder Pfarrern bei ihrer Arbeit behilflich sein – zum Beispiel beim Schreiben von Predigten?
Eckstein: Eine ganze Predigt würde ich der KI nicht überlassen. Eine gute Predigt ist ja maßgeschneidert auf eine bestimmte Gemeinde und das kann die KI (noch) nicht bieten. Aber man kann durchaus die Bibelstelle des Tages eingeben und schauen, ob die Antwort inspiriert und neue Ideen liefert. Nützlich ist die KI auch dabei, eigene Gedanken, die schon in Stichworten vorliegen, sprachlich in eine gute Form zu bringen. Oder man nutzt sie als kritisches Gegenüber: Ist meine eigene Auslegung vom biblischen Kontext gedeckt? Die Bibel-KI ist ein nützliches Werkzeug, aber kein Ersatz für eine fundierte theologische Auseinandersetzung.
Frage: Was ist die Zukunft von Bibel-KI?
Eckstein: Aus meiner Sicht als Bibelwissenschaftlerin wäre es ein großes Ziel, der KI auch die exegetische Sekundärliteratur zugänglich zu machen, die es ja in Fülle gibt. Aus katholischer Sicht sind Bibel und Tradition die beiden Hauptoffenbarungsquellen und es wäre toll, wenn KI beides verknüpfen kann. Es gibt ganze Predigtreihen, die derzeit in irgendwelchen Büchern verstauben, unzählige Bibelkommentare und wissenschaftliche Artikel. Das sehe ich als große Zukunftsvision von Bibel-KI, das alles zu verknüpfen und sich blitzschnell durch einen ganzen Wust an Daten zu arbeiten. Dann könnte man mit Hilfe der KI auch historische Texte auswerten, die vorher gar nicht zugänglich waren, zum Beispiel weil sie auf Griechisch oder Latein verfasst sind. Ein Ort dafür könnte der Index Theologicus sein. Bei diesem Online-Projekt wird jetzt schon damit begonnen, wissenschaftliche Literatur zu digitalisieren. Wenn man der KI künftig beispielsweise sagen könnte, ich möchte eine Predigt erstellen und die Auslegung in Schwaben im 19. Jahrhundert berücksichtigen, wäre das super. Dann könnten sehr viel lebendigere, spezifischere Predigten und Auslegungen entstehen. Oder man könnte Filter setzen, die es erlauben, nur auf bestimmte Quellen zurückzugreifen – etwa bestimmte einschlägige Bibelkommentare oder Quellen nur aus der protestantischen oder orthodoxen oder freikirchlichen Tradition.
Frage: Was könnte die Antwort der Kirche auf die Gefahr eines Missbrauchs von Bibel-KI sein?
Eckstein: Wenn man sich die Vergangenheit des Internets und der Digitalisierung anschaut, ist klar, dass es solche Versuche geben wird. Deswegen sollte die Kirche eine eigene Bibel-KI-Anwendung entwickeln, die sie selbst trainiert und deren Quellen sie selbst festgelegt. Das sollte sie keinesfalls nur anderen überlassen.