Stephan Lipke ist erster Weihbischof in Nowosibirsk

Deutscher Bischof in Russland: Bewusstsein für Laien ist gewachsen

Veröffentlicht am 20.02.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 6 MINUTEN

Nowosibirsk ‐ Viel Fläche, wenig Katholiken – da werden die Laien immer wichtiger, sagt der neue russische Bischof Stephan Lipke im katholisch.de-Interview. Für ihn ist der Weg nach Sibirien aber auch ein Weg nach Hause.

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Die Katholiken in Russland sind nur eine kleine Minderheit, irgendwo im Promillebereich. So gehören zum Gebiet des Bistums der Verklärung in Nowosibirsk in Sibirien knapp 24 Millionen Menschen, davon sind aber nur knapp 400.000 katholisch. Eine Herausforderung. Die zu bewältigen, ist nun auch Aufgabe von Stephan Lipke. Der Essener Jesuit lebt seit 2011 in Russland, zuletzt in Moskau. Nun ist er zum ersten Weihbischof von Nowosibirsk geweiht worden. Im Interview erzählt er über die Kirche im Land und wie sie sich verändert.

Frage: Herr Lipke, Sie sind der erste Weihbischof im Bistum der Verklärung von Nowosibirsk. Was bedeutet das für die Kirche in der Region?

Lipke: Das müssen wir alle gemeinsam jetzt erst einmal herausfinden. Fest steht: Diözesanbischof Joseph Werth ist über 70, nicht mehr der Jüngste und hat ein paar gesundheitliche Herausforderungen. Er kann also nicht mehr so gut reisen – und das ist eine der wichtigsten Aufgaben hier. Wer in unserem Bistum von West nach Ost mit dem Zug fährt, ist 24 Stunden unterwegs. Von Nord nach Süd ist es sogar das doppelte, da kann man nur noch mit dem Flugzeug fliegen. Es geht hier also um große Distanzen. Man kann hier nicht Kirche vom Schreibtisch aus machen, man muss mit den Leuten in Kontakt kommen. Ich habe in den letzten Tagen viel Zeit damit verbracht, Zugtickets zu kaufen und Reisen zu planen. Das ist ein wichtiger Teil unserer Aufgabe hier. Ein paar Leute kenne ich hier auch schon, bis 2017 war ich Pfarrer in Tomsk. Jetzt liegt es an mir, hier für Vernetzung zu sorgen: Welcher Priester ist am richtigen Ort, wer könnte vielleicht woanders noch bessere Dienste leisten? Welche Initiativen können wir noch entwickeln, mit Jugendlichen oder Alten? Da hilft es, dass ich Englisch und Italienisch kann, denn wir haben auch Austauschstudierende aus Afrika und Lateinamerika hier. Die stellen die Hälfte der Katholiken.

Frage: Die vergangenen Jahre haben Sie in Moskau gearbeitet, auch an der Hochschule. Fühlen Sie sich jetzt also ans Ende der Welt versetzt?

Lipke: Es ist genau umgekehrt: Ich habe das Gefühl, nach Hause zu kommen. Es ist heimischer, näher und ruhiger hier. Nicht so hektisch wie in Moskau. Andererseits: In Moskau war ich viel unterwegs, aber hatte auch Zeit für Lehre und Wissenschaft. Ich hoffe, das hier noch fortführen zu können.

Frage: Sibirien ist eine Region der langen Wege – und dann machen katholische Christen nur 1,7 Prozent der Bevölkerung aus. Wie funktioniert da kirchliche Arbeit und Glaubensleben?

Lipke: Der Richtwert ist: Man sollte mindestens ein Mal im Jahr überall dort gewesen sein, wo Priester und Ordensleute leben, das sind etwa 25 Orte. Andernorts wird es dann unregelmäßiger. Aber wenn es irgendwo etwas Besonderes gibt, muss man da häufiger hin. Nur an manchen Tagen, wie beim Patronatsfest zur Verklärung des Herrn, kommen auch mal ein paar mehr Gläubige aus den verschiedenen Regionen hier an der Kathedrale in Nowosibirsk an einem Ort zusammen. Doch das ist selten. Diese Möglichkeit gibt es nur bei Gelegenheiten wie etwa Ferienlagern. In Kombination trifft man die Leute also vielleicht drei Mal im Jahr. Aber das gilt hier für alle: Als Pfarrer in Tomsk war meine Pfarrei flächenmäßig größer als Deutschland, bei 2.000 bis 3.000 Katholiken. Da ist man ständig unterwegs. In manche Orte kommt man auch nur zu bestimmten Jahreszeiten, weil man einen Fluss überqueren muss und das nur per Fähre oder über das Eis geht, im Frühjahr und Herbst konnte man da also nicht hin.

Bild: ©Bistum der Verklärung Nowosibirsk

Stephan Lipke ist neuer Weihbischof in Nowosibirsk.

Frage: Was für Menschen sind das denn, die Katholiken in Russland?

Lipke: Die traditionell größte Gruppe sind Nachkommen von Polen, Deutschen, Ukrainern, Belarussen und Litauern, die sich hier im Laufe der Geschichte entweder freiwillig angesiedelt haben oder hierher verbannt wurden. Deren Umgangssprache ist heute russisch, oft nur noch durchsetzt durch ein paar polnische oder deutsche Formeln, etwa bei der Beichte. Darunter sind Katholiken des byzantinischen oder armenischen Ritus. Weiterhin sind das in den Universitätsstädten junge Studierende aus Afrika oder Lateinamerika. Es gibt dann ebenfalls noch eine Gruppe ethnischer Russen, die bewusst zur katholischen Kirche übergetreten sind. In den 1990ern und 2000er Jahren ist das häufiger vorgekommen: Die Leute waren nach dem Ende der Sowjetunion auf der Suche nach Spiritualität, die orthodoxe Kirche hat ihnen aber nichts gesagt, deswegen sind sie zu den Katholiken gekommen. Auch Zeichen wie der Friedensgruß in der Liturgie haben da so manchen wiederkommen lassen.

Frage: In Sibirien gibt es große Unterschiede: Städte wie Nowosibirsk sind Wirtschaftszentren, manche Dörfer dagegen sehr abgelegen. Welche Folgen hat das?

Lipke: In den Dörfern sind es manchmal nur noch zwei oder drei Senioren, die noch übriggeblieben sind. Die dürfen wir natürlich nicht im Stich lassen. Wir müssen also die Laien stärken, sich zu engagieren und nach den Leuten zu sehen, Verantwortung zu übernehmen, als Katecheten oder Diakone. Das wird im Norden von Alaska und Kanada schon seit langem und erfolgreich praktiziert, das ist auch ein erfolgversprechender Weg für uns. Es liegt aber auch an uns als Priester und Bischöfe, an solche Orte zu fahren. Ich bin gespannt, wie es in diesen Dörfern aussieht. Die vergangenen Jahre war ich vor allem in Städten unterwegs und habe die Veränderungen in der Kirche dort verfolgt.

Frage: Wie hat sich der Katholizismus verändert?

Lipke: Das Bewusstsein für die Mitverantwortung von Laien ist gewachsen – denn es gibt immer wieder Gemeinden ohne Priester, etwa weil sie ausgewiesen wurden. Dann brauchen wir die Laien, die Verantwortung übernehmen. Ebenso ist es normaler geworden, dass Katholiken in Russland verschiedene Hautfarben, Muttersprachen und Herkunftsländer haben und gemeinsam in die Messe gehen. Das sah vor einigen Jahren noch anders aus. Auch das Bewusstsein für den Schutz vor sexueller Gewalt ist gewachsen, dass Priester bestimmte Regeln einhalten und Vorwürfe nicht abtun, sondern prüfen. Da hat sich viel zum Positiven entwickelt.

„In den Dörfern sind es manchmal nur noch zwei oder drei Senioren, die noch übriggeblieben sind. Die dürfen wir natürlich nicht im Stich lassen.“

—  Zitat: Stephan Lipke

Frage: Welchen Einfluss hat der Krieg in der Ukraine?

Lipke: Das kommt drauf an: Manche unterstützen glühend, was vor sich geht, andere gar nicht, wieder andere verstehen die Zusammenhänge nicht. Je kleiner die Stadt, je weniger Internet es gibt und je älter die Menschen, umso mehr herrscht die Meinung vor, dass ein Krieg wie eine Naturkatastrophe schicksalhaft über einen kommt und man da sowieso nichts machen könne, sondern dass die Leute in den Hauptstädten das entscheiden. Über Schuld und Unschuld nachzudenken hat in diesem Gedankengebäude keinen Sinn. Denn man könne ja auch nichts tun.

Frage: Sie sind Deutscher, der Diözesanbischof Joseph Werth ist ein Russlanddeutscher. Wird Ihnen da Skepsis entgegengebracht?

Lipke: Von den Behörden schon – weniger ihm oder mir gegenüber persönlich, aber das Gefühl ist verbreitet: Katholizismus ist irgendwie "ausländisch". Und das, obwohl wir seit 1000 Jahren im Land sind. Auf der anderen Seite betont Putin die Multiethnizität des Landes. Da gibt es also keine klare Linie. Aber die Leute schauen uns schon auf die Finger.

Frage: Ist da Platz für ökumenische Verbindungen?

Lipke: Unbedingt, mit protestantischen Gemeinden etwa. Da gibt es immer wieder gemeinsame Gebete. Bei den Orthodoxen kommt es auf den Bischof an: Manche sind aufgeschlossen, andere sind antikatholisch, wieder andere sind eher neutral. Doch es gibt viele Kontakte. Ich veranstalte seit vielen Jahren mit einem Aktionskreis Ferienlager für Menschen mit und ohne Behinderungen, da sind dann Leute aus ganz verschiedenen Konfessionen dabei. Wir sprechen erstmal mit allen und halten Kontakt. Ich bin kein Politiker, sondern Seelsorger, deshalb rede ich erstmal mit allen.

Von Christoph Paul Hartmann