Unschuldsvermutung und Recht auf Verteidigung wahren

Vatikan gegen Namensnennung bei verstorbenen Missbrauchs-Beschuldigten

Veröffentlicht am 24.02.2025 um 12:12 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

Rom ‐ Missbrauchsbetroffene hoffen auch dann auf Aufarbeitung, wenn mutmaßliche Täter schon tot sind. Doch die erhoffte Transparenz findet im Vatikan keine Fürsprecher: Die für Rechtsberatung zuständige Kurienbehörde schiebt der Namensnennung Riegel vor.

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Bei verstorbenen Missbrauchs- und Vertuschungsbeschuldigten sieht der Vatikan weiterhin keine Rechtfertigung für eine Veröffentlichung von Namen, wenn sie zu Lebzeiten nicht verurteilt wurden. Die Schädigung des guten Rufs von Beschuldigten durch Namensnennung sei nur dann legitimiert, wenn dadurch Gefahren für Menschen oder die Gemeinschaft abgewendet würden. Das sei aber bei Verstorbenen nicht der Fall, heißt es in einem Schreiben des Dikasteriums für die Gesetzestexte, das am Wochenende veröffentlicht wurde. "Es scheint daher nicht zulässig zu sein, die Veröffentlichung solcher Nachrichten aus vermeintlichen Gründen der Transparenz oder Wiedergutmachung zu rechtfertigen", heißt es in dem Schreiben.

Das Dikasterium ist für die Auslegung des kirchlichen Rechts und die Beratung in Rechtsfragen zuständig. Mit dem auf den 5. September 2024 datierten Antwortschreiben bestätigt die Behörde die Rechtsauffassung, die sie bereits 2016 vertreten, aber nicht selbst veröffentlicht hatte. Beim Anti-Missbrauchsgipfel im Vatikan hatte Papst Franziskus 2019 in seiner Ansprache eine Liste von relevanten Punkten benannt, die ebenfalls auf das Recht auf Verteidigung und die Unschuldsvermutung verwiesen. Die Veröffentlichung von Listen von Beschuldigten, auch durch die Diözesen, müsse vor der endgültigen Verurteilung unterlassen werden, heißt es in der Rede, auf die das Dikasterium nun verweist. Auf verstorbene Beschuldigte ging der Papst nicht eigens ein. Auf verstorbene Beschuldigte ging der Papst nicht eigens ein.

Das kirchliche Recht schützt den guten Ruf von Personen, der nicht unrechtmäßig geschädigt werden darf. Als Gründe für die Ablehnung der Namensnennung von Beschuldigten führt das Dikasterium zum einen die Unschuldsvermutung an, die für nicht verurteilte Verstorbene weiter gilt, sowie mit Blick auf Handlungen, die erst später strafbewehrt wurden, auf das Rückwirkungsverbot im Strafrecht. Als Beispiel nennt das Dikasterium Unterlassungen der allgemeinen Aufsichtspflicht.

Recht auf Information schlägt nicht Schutz des guten Rufs

Diese Grundsätze können nach Ansicht der Behörde nicht durch ein allgemeines "Recht auf Information" umgangen werden. Insbesondere genüge es nicht, dass eine Anschuldigung lediglich "begründet" sei. Vor allem die Kirche in den USA hat in den vergangenen Jahren Listen von "glaubwürdig beschuldigten" ("credibly accused") Klerikern veröffentlicht. Derartige Bezeichnungen würden aufgrund sehr niedriger Beweisstandards vergeben, ohne dass das Recht auf Verteidigung gewahrt werde, so die Kurienbehörde.

In Deutschland wird die Frage, wie transparent mit den Namen von nicht verurteilten Beschuldigten umgegangen werden kann und darf, kontrovers diskutiert. In der Regel werden in Missbrauchsgutachten die meisten Namen anonymisiert, lediglich bei Beschuldigten in herausgehobenen Stellungen wie Bischöfen und Generalvikaren werden Namen genannt. Besonders weit ging 2023 das Bistum Aachen mit einer umfassenden Offenlegung von Namen und beruflichen Biographien von 53 verurteilten und mutmaßlichen Missbrauchstätern. Für die Veröffentlichung wurden die Wünsche von Betroffenen und das Aufarbeitungsinteresse angeführt. Rechtlich sicherte sich das Bistum durch ein Vorgehen in Anlehnung an die staatliche Rechtssprechung zum Persönlichkeitsrecht Verstorbener ab. Bislang sind keine kirchlichen und staatlichen Klagen gegen das Aachener Vorgehen bekannt. (fxn)