Passauer Bischof über Glaubensvermittlung und soziale Medien

Oster: Events wie Nightfever können etwas anstoßen

Veröffentlicht am 21.03.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 7 MINUTEN

Kall ‐ Wie kann Glauben in eine säkulare Gesellschaft hineinwirken? Auf jeden Fall ohne nur theologische Allgemeinplätze, sagt der Passauer Bischof Stefan Oster im katholisch.de-Interview. Er setzt auf besondere Erfahrungen – und eine entsprechende Begleitung.

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In den Sozialen Medien spricht der Passauer Bischof Stefan Oster immer wieder über seinen Glauben, aber auch über die Kirche. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland ab. Wie kann da Glaubensvermittlung funktionieren? Im Interview spricht er über neue Aufbrüche und bleibende Fragestellungen.

Frage: Herr Bischof Oster, in den Sozialen Medien sind Sie sehr aktiv und sprechen dort über Ihren Glauben und die Kirche. Dabei leben wir in einer Gesellschaft, die sich mit Sieben-Meilen-Stiefeln säkularisiert. Welche Wege kann die Kirche da gehen, um in diese Welt den Gedanken des Glaubens hineinzutragen?

Oster: Social Media ist da auf jeden Fall eine Möglichkeit. Aber so ein Auftritt muss auch annehmbar sein, dialogisch und vor allem authentisch – die Glaubensvermittlung hängt ja immer auch an Personen. Ich spüre dabei: Wenn man das mit einer gewissen Tiefe macht und nicht nur theologische Allgemeinplätze formuliert, dann kann das klappen. Die Menschen müssen spüren: Das geht mich existenziell und persönlich an. Grundsätzlich halte ich diese Arbeit in Social Media aber eher für einen Anweg zum Glauben. Zwar höre ich auch immer wieder von Bekehrungserlebnissen durch Social Media, aber entscheidend ist am Ende doch die persönliche Begegnung von Mensch zu Mensch.

Frage: Was bedeutet diese Tiefe, von der Sie sprechen?

Oster: Das stellt die Frage nach dem Glauben selbst: Ist Glaube eine Art nette spirituelle Ergänzung oder Vorliebe in meinem Leben, so wie ich auch gerne Sport mache oder gut essen gehe? Oder führt Glauben in das, was die Bibel "neue Geburt" nennt, oder "werden wie ein Kind"? Lerne ich also durch den Glauben die Welt neu sehen, den anderen Menschen, mich selbst und Gott? Wird der Glaube zu einer existenziellen Erfahrung? Im Grunde geht es auch darum, einen Grundimpuls in uns zu überwinden: Wir neigen ja dazu, uns selbst als Mittelpunkt unseres Lebens zu begreifen, tatsächlich aber sagt der Glaube: Gott ist die Mitte und es geht darum, uns nach seiner Wahrheit, seiner Liebe und seiner Herausforderung an uns zu richten. Das bedeutet diese existenzielle Tiefe.

Frage: In einer säkularen Gesellschaft haben viele Menschen zu diesen Gedankengängen keinen Zugang. Mit welchen Mitteln kann man an das Existenzielle des Glaubens heranführen?

Oster: Es gibt Einzelereignisse und Events wie Nightfever, Alpha-Kurse oder Glaubenskonferenzen, die etwas anstoßen können. Danach stellt sich aber oft die Herausforderung, dass Menschen, die bei solchen Gelegenheiten Erfahrungen machen, weitere Begleitung bräuchten, die ihnen dann hilft, mehr zu verstehen und weiterzugehen. Wichtig ist auch zu zeigen, dass Glauben einerseits in eine bestimmte Entschiedenheit führt, die aber zugleich ein Weg in die größere Freiheit ist. Denn der Glaube ist heute oft verdächtig, den Menschen in die Fremdbestimmung zu führen, die von Sätzen geprägt ist, die beginnen mit "Du musst, du sollst, du darfst nicht." Aber wenn ich den liebenden Gott als jemanden erfahre, der wirklich mich meint und ja zu mir sagt, dann lerne ich anders zu leben und zu glauben, in größerer Freude und tieferem Sinn. Oft mache ich die Erfahrung: Da bekommt jemand einen Anstoß durch einen Event, und dann kommt er als nächstes in die katholische Sonntagsmesse. Da sind die Leute dann nicht selten verloren, weil sie nicht einfach verstehen, was da passiert oder wie sie sich verhalten sollen. Da braucht es dann andere, die Ihnen helfen weiterzugehen und mehr zu lernen. Die Jugendsynode 2018 hat da treffend formuliert: Wir evangelisieren durch die Qualität unserer Beziehungen.

Bild: ©KNA/Christopher Beschnitt

"Es gibt Einzelereignisse und Events wie Nightfever, Alpha-Kurse oder Glaubenskonferenzen, die etwas anstoßen können. Danach stellt sich aber oft die Herausforderung, dass Menschen, die bei solchen Gelegenheiten Erfahrungen machen, weitere Begleitung bräuchten, die ihnen dann hilft, mehr zu verstehen und weiterzugehen", sagt Stefan Oster.

Frage: Gibt es da Initiativen und Aufbrüche in Deutschland, die Ihnen Hoffnung geben?

Oster: Ja, hierzulande und weltweit. Bei uns sind sie allerdings zahlenmäßig nicht so groß. In Passau haben wir zum Beispiel eine Jüngerschaftsschule, da passiert etwas. Junge Menschen sagen, dass das ihr Leben verändert hat: Sie lesen die Schrift, beten, teilen den Glauben und gehen zu den Armen. Es ist erstaunlich, wie das neu prägen kann. Mit diesen Erfahrungen ist es in der Pfarrei zu Hause dann aber oft schwierig, weil da nicht immer Verständnis für solche Prägungen da ist. Was auch wichtig ist: Lebensübergänge zu begleiten. Ich habe in den USA gelernt, dass das ein Schwerpunkt ist. Also: wenn junge Menschen zum Beispiel von zu Hause weg ans College gehen oder beruflich in eine andere Stadt ziehen, dann helfen Verantwortliche durch persönliche Kontakte mit, dass sie am neuen Ort auch wieder Beheimatung finden. Das machen wir hierzulande noch kaum, zumindest nicht "systematisch" – das wäre aber eine wichtige Aufgabe.

Frage: Diese Begleitung haben sich ja etwa Neue Geistliche Gemeinschaften auf die Fahne geschrieben. Setzen Sie Ihre Hoffnungen auf diese Gemeinschaften oder auf die klassische Pfarrei?

Oster: Pfarreien wird es vor Ort immer geben – und auch sie haben das Potenzial und zugleich die Herausforderung, sich immer wieder neu zu öffnen für eine neue Zeit. Aber ehrlich gesagt: Es ist zäh. Wenn wir beispielsweise die Ehevorbereitung anschauen. Wir sehen gesellschaftlich massive Veränderungen in den Formen des Zusammenlebens der Menschen. Aber wir bieten in der Regel immer noch das Minimal-Modell der Vorbereitung an, wie seit Jahrzehnten, nämlich meist Kurse, die einen Samstag lang dauern. Und im Grunde weiß jeder: Das genügt eigentlich nicht, um zu verstehen, was ein Sakrament ist oder was sich Eheleute da im Glauben versprechen. Aber wir haben wenig Möglichkeiten, hier auf Pfarreiebene groß was zu verändern, weil uns Personal, aber oft auch die Ausdauer, die Motivation, die geistliche Kraft bei allen Beteiligten fehlt. Da sind dann geistliche Gemeinschaften schon hilfreich, die hier neue Akzente setzen wollen, manche auch bei der Ehevorbereitung. Ich glaube aber, auf Zukunft hin, werden sich dann intensivere Modelle der Sakramentenvorbereitung in einem post-volkskirchlichen Rahmen auch vor Ort durchsetzen. Ich höre zum Beispiel, in den Niederlanden organisieren mancherorts Eltern bereits wieder Sonntagsschulen des Glaubens für ihre Kinder. Bei uns haben wir das seit Jahrzehnten mehr oder weniger an die Schulen und den Religionsunterricht ausgelagert. Das hat lange gut funktioniert – jetzt funktioniert es immer weniger. Und uns fehlt oft noch die Fantasie, wie es denn gehen kann. Wir brauchen neue Ideen, und da kann uns der Blick in neue Initiativen oder auch der Blick in andere Länder wirklich helfen.

Frage: Sie haben es gerade gesagt: Zahlreiche gewohnte Strukturen gibt es noch. Geht es uns also noch zu gut?

Oster: Ja, vermutlich. Zumindest scheinen unsere Strukturen und unsere finanzielle Ausstattung immer noch vielfach zu suggerieren, dass wir im Wesentlichen weitermachen können wie bisher.

„Begriffe wie Bekehrung oder geistliches Wachstum, das sind in der Regel keine Kategorien unserer volkskirchlichen Verkündigung. Aber biblisch ist das sehr klar: Wer dem Herrn begegnet, der will sein Leben verändern und ihm nachfolgen.“

—  Zitat: Stefan Oster

Frage: Welche neuen Ideen können denn hilfreich sein?

Oster: Ich glaube, dass Papst Franziskus mit seinem Fokus auf Synodalität eine echte Vision hat. Allerdings: Wenn man das Abschlusspapier der Weltsynode über Synodalität liest, steht da an entscheidenden Stellen mehrmals das Wort "Bekehrung". Bekehrung kann man aber nicht verordnen. Aber wir können einüben, miteinander zu beten, hören zu üben und lernen, im Heiligen Geist miteinander unterwegs zu sein. Damit wir nicht einfach nur eine Agenda abarbeiten. Mir ist auch wichtig, dass wir im Glauben sehen lernen: Es geht wirklich um Christus. Wir haben ja noch viele gute Ehrenamtliche, die sich einsetzen. Und ich erhoffe mir, dass immer mehr von ihnen auch sagen lernen und sich sagen trauen: Ich gehe für Christus.

Frage: Müssen diese Menschen entdecken, dass diese Suche in ihnen ist oder müssen Sie lernen, das zu verbalisieren?

Oster: Beides. Begriffe wie Bekehrung oder geistliches Wachstum, das sind in der Regel keine Kategorien unserer volkskirchlichen Verkündigung. Aber biblisch ist das sehr klar: Wer dem Herrn begegnet, der will sein Leben verändern und ihm nachfolgen. Oder er will ihn weghaben, ihn sich vom Leib halten, im schlimmsten Fall umbringen – weil er ihn nicht annehmen kann. Wie kann man also heute in die Begegnung mit dem Herrn einladen? Wie verstehen helfen, dass Freundschaft mit ihm möglich ist? Und dass man darin wachsen kann? Ich will keine Elitekirche, aber ich glaube, dass es heilige Männer und Frauen braucht, die den Glauben existenziell und so einladend leben, dass sie möglichst viele mitnehmen. Das war in der Geschichte immer so. Wenn solche aus der Tiefe lebenden Persönlichkeiten fehlen, neigen wir zu einer Banalisierung des Glaubens, zu einer Oberflächlichkeit, die den Glauben nur mit Mitmenschlichkeit identifiziert – und das ist zu kurz gegriffen. Wer zum Beispiel nennt Christus heute noch seinen "Retter" und meint es auch so? Die Rettung oder das Heil – das hängt nach biblischer Überlieferung aber von der Qualität der Gottesbeziehung ab. Von der Antwort, die wir als Menschen auf die Liebe Gottes geben. Wir brauchen also Menschen, die bei anderen wie mit einem Schlüssel die Türen zum Glauben im eigenen Leben öffnen können. Und wie helfen wir einander "Schlüsselfiguren" für andere zu werden – ohne bloße "Rattenfänger" zu sein? Da brauchen wir – mit Papst Franziskus gesprochen – die Unterscheidung der Geister. Und auch das ist ein wichtiges Lernfeld für uns alle.

Von Christoph Paul Hartmann