Takuro Johannes Shimizu arbeitet seit einem Dreivierteljahr als Kaplan

Zwischen dem Können und dem Wollen: Seelsorge auf dem Land

Veröffentlicht am 03.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 8 MINUTEN

Zülpich/Nideggen ‐ Seit einem Dreivierteljahr arbeitet der Jungpriester Takuro Johannes Shimizu nun als Kaplan. In der Zeit hat er schon viel gelernt und angestoßen, gleichzeitig steht er aber auch vor großen Herausforderungen. Die zeigen sich nicht zuletzt im Pfarreialltag.

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"Heute müssen wir weit raus", sagt Kaplan Takuro Johannes Shimizu – und legt gerade noch eine kleine Statue des heiligen Franziskus vom Beifahrersitz. Die stammt aus dem Haushalt eines verstorbenen Gemeindemitglieds. Bevor die Entrümpler kamen, durfte Shimizu noch Einzelstücke retten. "Da habe ich schon jemanden im Blick, der sie bekommt", erzählt er. Dann geht es auch schon los. Raus aufs Land nach Wollersheim. Dass Shimizu als Zülpicher Kaplan dort überhaupt Dienst tut, ist einem historischen Zufall geschuldet.

Wollersheim gehört zur Gemeinde Nideggen im Kreis Düren. Als 1930 das Bistum Aachen wiederbegründet wird, setzt sich der damalige Kölner Generalvikar Joseph Vogt, der aus der Nähe stammt, dafür ein, dass unter anderem Wollersheim bei Köln bleibt und nicht Teil der neuen Diözese wird. Ironie der Geschichte: Vogt wird kurze Zeit später Bischof von Aachen, verliert die Gemeinden also. Das ist eine der zahlreichen Geschichten, die sich Shimizu in den vergangenen Monaten angeeignet hat. Seit vergangenen Sommer ist er Kaplan in Zülpich, seine erste Stelle nach der Priesterweihe. Für vier der 20 Kirchen des Seelsorgebereichs ist er der seelsorgliche Ansprechpartner. Heute steht die Abendmesse in Heilig Kreuz in Wollersheim an. Es ist erst das vierte Mal, dass der 30-Jährige hier Gottesdienst feiert: Durch das Hauptportal geht es in die umfangreich historistisch eingerichtete Kirche aus dem Jahr 1902, einst gestiftet von einem kinderlosen, vermögenden Ehepaar. Ein hoher Schnitzaltar im gotischen Stil und Engelchenfiguren an der Kanzel sind das eine – was sich Shimizu aber immer merkt: "Gibt es in der Kirche eine Toilette? Sonst gehe ich nochmal zu Hause." In Wollersheim gibt es keine.

Es sind diese kleinen Kniffe und Anekdoten, mit denen Shimizu nach einem Dreivierteljahr im Dienst unterstreicht: "Ich bin hier angekommen, ich wohne gern hier." Eine Lieblingsgemeinde habe er zwar nicht, aber eine Lieblingskirche – das ist St. Nikolaus in Füssenich ein paar Kilometer weiter. Er habe schon viele Menschen kennengelernt und sich in die bestehenden Strukturen einarbeiten können, sagt er. Ein paar eigene Akzente hat er auch schon gesetzt. Etwa, dass sich alle Messdienerleiter des Seelsorgebereichs mal wieder treffen. Das habe es schon lange nicht mehr gegeben.

Etwas abseits

Auch da zeigen sich gewachsene Strukturen: Denn etwa Wollersheim liegt etwas abseits von Zülpich, gehört zu einer anderen Kommune und einem anderen Kreis. So gibt es wenig Verbindungen zu den anderen Gemeinden im Seelsorgebereich. Man kennt sich, aber man hat wenig Bezug zu Zülpich. "Das hat sich auch bei diesem Leitertreffen gezeigt. Da musste ich hier durchaus für die Vernetzung werben, man bleibt hier sonst eher unter sich."

Das hat Shimizu nicht davon abgehalten, sich vor allem in der Jugendarbeit zu engagieren. Denn anstatt sich nur an den vier ihm zugewiesenen Kirchorten um die Jugend zu kümmern, hat er gleich die gesamte Jugendarbeit des Seelsorgebereichs in den Blick genommen. Und geht darüber hinaus.

Bild: ©katholisch.de/cph

Vor der Messe wird noch eine kurze Kreuzwegandacht gebetet.

"Wir haben als Kirche eine Seelsorge-Lücke: Menschen nach der Schule und vor der eigenen Hochzeit kommen kaum vor. Für diese Gruppe wollte ich etwas auf die Beine stellen", sagt er. Von einem befreundeten Priester hatte er die Idee: Mit Interessierten in der Gruppe in regelmäßigen Abständen eine Folge der US-Jesus-Serie "The Chosen" schauen und das als Gesprächsanlass nutzen. In Zülpich hat er das als Angebot für die Fastenzeit aufgesetzt. "Ich habe gezielt Leute angesprochen, die in die Messe kommen, aber sonst nicht in die Gemeinde eingebunden sind", erzählt er. "Denen habe ich dann einzeln das Konzept vorgestellt und gefragt, ob sie da mitmachen wollten." So habe sich ohne viel Werbung eine fünfköpfige Gruppe von Leuten zwischen 17 und 28 Jahren gefunden. Die Serie mit ihrem sehr amerikanischen Angang an Jesus biete ausreichend Gesprächsstoff. "Wir tauschen uns nicht nur über Szenen aus, die uns angesprochen oder sogar irritiert haben, sondern stellen uns auch immer wieder die Frage: Was daran ist biblisch, was ist Interpretation? Denn das Bibellesen ersetzt das nicht." Es sei aber eine Anregung dazu.

Shimizu hat sich mittlerweile in der kleinen Sakristei das Messgewand übergezogen. In einer Viertelstunde beginnt der Gottesdienst, die Kirchenbänke sind noch leer. Im Verlauf der kleinen Kreuzwegandacht, die vor der Messe gebetet wird, streuen sich noch fünf Gläubige in die Reihe – alle jenseits der 60. Es ist ein Bild, das auch im ehemals volkskirchlich geprägten ländlichen Raum keineswegs mehr die Ausnahme ist. "Hier gibt es Karnevals- und Sportvereine. Die Kirche ist auch hier nur ein Angebot unter vielen."

Türöffner sein

Deshalb das Angebot der Serienabende, um jungen Menschen einen Raum zu bieten, wo sie sich tiefer mit dem Glauben auseinandersetzen können. "Solche Aktionen können ein Türöffner sein für eine Freundschaft mit Christus", formuliert es Shimizu. Ebenso verhalte es sich mit der Romwallfahrt der Messdiener im Herbst, die er vorbereite und begleite. Wenn alles gut läuft, sind zehn Jugendliche aus der Pfarreiengemeinschaft dabei. Auch keine riesige Zahl. Doch Shimizu lässt sich nicht beirren. "Zehn Leute sind zehn Leute, auch so eine Fahrt kann ein Türöffner sein." Vielleicht bekämen die ja dann Lust, sich etwa in der Firmvorbereitung zu engagieren. "Es gibt schon den Hunger nach Gemeinschaft, den Austausch über den Glauben und den Alltag." Da könnten solche Events helfen – um darüber hinauszudenken. Sollte etwa das Serienformat gut funktionieren, könnte er sich auch vorstellen, das nach Ende der Fastenzeit weiterzuführen. Dazu kommen aber dann auch organisatorische Zwänge: "Ich bin hier in drei Jahren weg", sagt er. "Ich darf das nicht zu sehr auf mich zuschneiden, das muss auch ohne mich lebensfähig sein. Die Menschen müssen aktiviert werden."

Um überhaupt das Interesse der Menschen für den Glauben zu wecken, hat er bereits einiges an seiner Verkündigungsarbeit getan. "Ich möchte den Menschen helfen, dass sie eine Freundschaft mit Christus aufbauen. Das ist mein Ziel in der Verkündigung, wo ich versuche die richtigen Worte zu finden, um die Botschaft der Bibel in den Alltag der Menschen zu bringen." Das heiße vor allem: konkret sein. "Das Motto des Heiligen Jahres 'Pilger der Hoffnung' muss ich für die Menschen fassbar machen." Das hat er etwa getan, indem er die Geschichte des Vietnamesen François Xavier Nguyên Van Thuân erzählte. Der Kardinal und Bischof von Saigon wurde nach der Machtübernahme der Kommunisten 13 Jahre in einem Umerziehungslager gefangen gehalten, neun davon in Isolationshaft. "Trotzdem hat er die Hoffnung nie verloren", sagt Shimizu.

Bild: ©katholisch.de/cph

"Natürlich finde ich es besser, wenn viele Leute im Gottesdienst sind", sagt Shimizu. "Aber ich weiß ja im Gegensatz zu älteren Kollegen nicht, wie es früher war. Das macht mich gelassener."

Für seine Predigten nimmt er sich Zeit: Montags liest er die Bibelstellen für den Sonntag das erste Mal und nimmt sie in die Woche mit. Zwischendurch liest er in Kommentaren und theologischen Büchern nach, schreibt er sich Gedanken auf. Aus dieser Notizensammlung entsteht dann eine Predigt. Bevor er sie schreibt, holt er sich eine Rückmeldung von einem befreundeten Priester, die fertige Predigt bekommt ein befreundeter Nicht-Theologe zum Gegenlesen – "damit man es auch versteht", sagt er.

Gläubigenexodus auch auf dem Land

In Wollersheim ist heute Werktagsgottesdienst, gepredigt wird also nicht. Die Gläubigen sitzen verstreut in den Bänken, das schwächt den Gesang. Auch die liturgischen Antworten fallen eher dünn aus. Nach 35 Minuten ist die Feier vorüber. "Natürlich finde ich es besser, wenn viele Leute im Gottesdienst sind", sagt er. "Aber ich weiß ja im Gegensatz zu älteren Kollegen nicht, wie es früher war. Das macht mich gelassener." Immerhin habe er hier noch eine Küsterin, die auch die Lesung Lese. "Das ist keineswegs selbstverständlich. Manchmal muss ich auch Leute dafür fragen oder selbst lesen, wenn ich niemanden finde." Der Gläubigenexodus wird auch auf dem Land spürbar, vor allem in einer prächtigen großen Dorfkirche. "Momentan ist das noch kein Thema, aber natürlich werden wir auch im Seelsorgebereich Gebäude mittelfristig abgeben müssen", sagt Shimizu. "Darauf bereiten wir die Leute nach und nach vor." Zunächst aber wird der Seelsorgebereich noch etwas größer: Weilerswist und Zülpich bilden demnächst eine pastorale Einheit.

An Herausforderungen mangelt es also nicht, weiß Shimizu. "Organisatorisch ist das alles hier eine Herausforderung, aber im positiven Sinne", sagt er. Das Messgewand hat er derweil schon wieder ausgezogen und sitzt wieder im Auto. Jetzt bringt er nach der Abendmesse noch einer bedürftigen Familie Lebensmittel. Der Tag von Takuro Johannes Shimizu ist noch nicht vorbei.

Von Christoph Paul Hartmann