Die Konzilsstadt Nizäa trägt ihre Geschichte mit unaufgeregtem Stolz

Es ist ruhig im kleinen Café im Innenhof des historischen Sultan-Hamams, das jetzt ein Museum für Stadtgeschichte und Folklore ist. Die mittägliche Stille im Ramadan, an dem das Leben fastenbedingt oft erst nach Sonnenuntergang einsetzt, verstärkt den Eindruck: Iznik, das seit der Antike gleich mehreren Zivilisationen als Hauptstadt gedient hat und unter dem Namen Nizäa als Gastgeber zweier ökumenischer Konzilien in die (Kirchen)Geschichte einging, ist heute ein malerisch-verschlafenes Bauernstädtchen. Seine historische Zierde trägt es mit sympathischer Unaufgeregtheit.
Hat man den dichten Verkehr der Metropole Istanbul hinter sich gelassen, führt eine Brücke über das Marmarameer, die den Blick auf Izmit freigibt, die einstige kaiserliche Hauptstadt Nikomedia. Dann wird es ländlich, prägen Olivenhaine und mehr und mehr Traktoren das Bild. Von hier sollen die besten Tafeloliven der Türkei kommen; Olivenöl macht 90 Prozent des Einkommens der örtlichen Bauern aus. Der Titel "Cittaslow" (langsame Stadt) der gleichnamigen italienischen Bewegung steht Iznik gut zu Gesicht. Entschleunigung statt Massentourismus geht hier fast automatisch.
"Die Touristen kommen zum Ende des Ramadans, jetzt ist es sehr ruhig", sagt Cafébetreiberin Vijdan Meric. Es seien vor allem einheimische Touristen, die die idyllische Seelage vor historischer Kulisse genießen. Griechen, Römer, Byzantiner, Seldschuken und Osmanen haben das Gesicht der Stadt immer wieder neu geprägt. Ihre Spuren begleiten die Gäste.
Zeugen der Vergangenheit
Die imposante, mehrfach erweiterte Stadtmauer mit ihren vier Toren und dem immer noch sichtbaren Verlauf der römischen Hauptstraßen Cardo und Decumanus zum Beispiel. An ihrer Kreuzung liegt die byzantinische Hagia-Sophia-Kirche, die zum zweiten Konzil Nizäas (787) ihren großen Auftritt hatte, als die Konzilsväter im Bilderstreit die Verehrung von Ikonen zuließen. Eine Christusdarstellung in Form eines Freskos auf der Innenseite der nördlichen Außenwand scheint Zeuge des frühkirchlichen Ringens um Bilder.
Mit der osmanischen Eroberung begann die zweite Karriere der Hagia Sophia – als Orhan-Moschee, bis sie aufgegeben wurde und zerfiel. Mit der Geburt der modernen Türkei wurde das Gotteshaus zum Museum, Gottesdienste jeglicher Art waren von da ab verboten. Dass an diesem Mittag ein junger Muezzin zwei Meter vom Christusfresko entfernt zum Gebet ruft, verdankt Iznik dem früheren Vize-Ministerpräsident Bülent Arinc aus der AK-Partei des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Unter dem Aufschrei vieler Bürger der oppositionsgeprägten Stadt verwandelte er das Museum 2011 zurück in eine Moschee.

In der Hagia-Sophia-Kirche fand das 7. Ökumenische Konzil statt.
In Iznik scheint man, ganz im Einklang mit dem Charakter der Stadt, eine entspannte Lösung gefunden zu haben: Wird nicht grad im Mittelschiff das islamische Mittagsgebet gebetet, stört sich niemand an der christlichen Reisegruppe, die im ehemaligen Chor der Kirche das Glaubensbekenntnis spricht oder mit ausgebreiteten Händen das Vaterunser betet.
Spaziert man nun auf dem Decumanus in Richtung Osten, kommt man vorbei an niedrigen Häusern und geparkten Traktoren. An ihnen ließe sich die Automobilgeschichte ablesen, wobei manche durchaus aus der Geburtsstunde der motorisierten Landwirtschaft stammen könnten. Nach ein paar hundert Metern stößt man auf die "Grüne Moschee", eines der frühesten Beispiele osmanischer Architektur. Ihren Namen verdankt sie den grünen und türkisfarbenen Kacheln, mit denen das Minarett verziert ist. Wer auf dem Weg durch die Stadt die Augen offen hält, wird Spuren von weiteren Kirchen und historischen Bauten finden. Für all das strebt die Türkei seit 2014 eine Nominierung als Welterbe der UN-Kulturorganisation Unesco an.
Lange kaum beachtet
Die meisten ausländischen Gruppen ließen Iznik bisher trotzdem links liegen, bestätigt Cahit Köşker die Erfahrung von Cafébetreiberin Vijdan Meric. Mit seiner Reiseagentur "Thales-Tours" hat er sich seit 40 Jahren auf den christlich interessierten deutschen Markt spezialisiert. Das ist in diesem Jahr anders. "45 Gruppen kommen im Jahr des Konzilsjubiläums mit uns nach Iznik", so Köşker. 1.700 Jahre ist es her, dass 325 das erste Ökumenische Konzil in Nizäa zusammentrat.
Knapp über 20.000 Einwohner leben laut Stadtverwaltung in Iznik. Christen sind nicht mehr darunter, bedauert der apostolische Vikar von Istanbul, Bischof Massimiliano Palinuro. Die dem Konzilsort am nächsten gelegene christliche Gemeinde ist in Bursa, rund 80 Kilometer in südwestlicher Richtung. Von noch weiter her, aus dem Erzbistum Izmir an der Ägäis, haben die beiden Priester Philippe de Kergorlay und Alessandro Amprino ihre Gläubigen nach Iznik gebracht, zur Diözesanwallfahrt.

Wo früher das Konzil tagte, beten heute Muslime.
"In diesem Jahr fällt das Heilige Jahr mit dem Konzilsjubiläum zusammen, einem Erbe unseres Glaubens", sagt de Kergorlay. Viele der einheimischen Christen seien noch nie hier gewesen, ergänzt Amprino. "Mit der Wallfahrt kehren wir an die Quelle zurück, um den Glauben zu nähren."
Im Sultan-Hamam-Café checkt Vijdan Meric unterdessen besorgt die Nachrichtenlage um den erkrankten Papst Franziskus. Auf ihn nämlich warten sie in der Konzilienstadt. Zum offiziellen Jubiläumsakt, der nach Angaben des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Konstantinopel am 26. Mai in Iznik gefeiert werden soll, wird neben dem Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, Patriarch Bartholomaios I., Papst Franziskus als Ehrengast erwartet.
Ob er sich auf den Papstbesuch freue, wisse er nicht so genau, sagt Ersin Hander leicht verlegen. Hander verkauft in seinem kleinen Laden im Hof des Sultan-Hamams Keramik, bemalt mit verspielten Tiermotiven, mit modernen Interpretationen traditioneller türkischer Motive, vor allem aber Repliken berühmter Iznik-Keramiken, durch die die Stadt am See über Jahrhunderte zu Weltruhm kam. Etwas kann Hander dem potenziellen Besucher aus Rom jedoch abgewinnen: "Wenn Papst Franziskus wirklich kommt, wird das gut für uns, denn dann kommen mehr Touristen und damit Bewegung ins Geschäft."