Bischof und SPD-Cousine im Familien-Interview

Bätzing zu Corona-Zeit: Aufarbeitung hat bereits begonnen

Veröffentlicht am 08.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Matthias Jöran Berntsen und Volker Hasenauer (KNA) – Lesedauer: 6 MINUTEN

Mainz/Limburg ‐ Corona-Fehler politisch und kirchlich aufarbeiten? Die SPD-Chefin von Rheinland-Pfalz und der Vorsitzende der Bischofskonferenz sprechen im Interview über Irrtümer der Pandemie-Zeit – und über Aufrüstung, Abtreibung und Anfeindungen.

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Entspannt und fröhlich plaudernd kommen Cousin und Cousine zum Interview. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (50), SPD-Partei- und Fraktionschefin in Rheinland-Pfalz, hat gerade über den Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung mitverhandelt. Georg Bätzing (63), Bischof von Limburg, hat als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ebenfalls einen vollen Terminkalender. Erstmals beantworten beide in einem gemeinsamen Interview Fragen zu Gesellschaft, Politik und Kirche.

Frage: Frau Bätzing-Lichtenthäler, Herr Bischof Bätzing, wie oft schaffen Sie es, sich trotz voller Terminkalender im Familienkreis zu sehen?

Bätzing-Lichtenthäler: Einige Male im Jahr. Wir sind eine große Familie, wo es immer mal wieder etwas zu feiern gibt. Ich brauche diese Rückzugsorte und vertraute Menschen, mit denen ich mich austausche.

Frage: Führen Sie im Privaten dann auch politische oder kirchliche Debatten?

Bätzing: Wir begegnen uns ja auch ab und an in dienstlichen Zusammenhängen  das wissen wir gut zu trennen.

Frage: Wie gehen Sie mit politischer und kirchlicher Macht und Verantwortung um, die Sie in Ihren Ämtern tragen?

Bätzing-Lichtenthäler: Ich bin kein Ellenbogen-Machtmensch, aber ich habe Lust, etwas zu gestalten. Macht wird oft als negativ beschrieben. Für mich ist Macht positiv besetzt, weil es die Verantwortung und die Chance ist, für andere etwas zum Guten zu verändern.

Bätzing: Um zu gestalten, braucht es Autorität. Aber gleichzeitig müssen wir alles dafür tun, Machtmissbrauch zu verhindern  durch Kontrolle und Transparenz. Die Zeit einsamer Entscheidungen ist in der katholischen Kirche zum Glück vorbei.

„Die Anfeindungen haben zugenommen. Wenn es persönlich wird, versuche ich das auszublenden. Früher waren es vor allem anonyme Beschimpfungen, heute erhalte ich Drohungen und Hassbotschaften von Profilen mit echten Namen.“

—  Zitat: Sabine Bätzing-Lichtenthäler

Frage: Sie stehen prominent in der Öffentlichkeit. In den aktuell polarisierten Zeiten, wie anstrengend ist das?

Bätzing: Mich besorgt, wie viel Aggression und Social-Media-Hetze Politikerinnen und Politikern entgegenschlägt. Das hat ein Maß erreicht, mit dem man kaum noch umgehen kann. Daher habe ich höchsten Respekt für alle, die sich politisch engagieren und Verantwortung übernehmen.

Bätzing-Lichtenthäler: Die Anfeindungen haben zugenommen. Wenn es persönlich wird, versuche ich das auszublenden. Früher waren es vor allem anonyme Beschimpfungen, heute erhalte ich Drohungen und Hassbotschaften von Profilen mit echten Namen.

Bätzing: Ich lese viele Kommentare und die Kritik, die mich erreichen. Wer ernsthafte Fragen stellt, dem biete ich den Austausch an. Wer pöbelt oder nur seinen Frust abladen will, den ignoriere ich. Das lasse ich nicht an mich ran.

Frage: Der Ukraine-Krieg hat die Debatte über die Wehrpflicht oder die Einführung eines Dienstjahres verschärft. Wie stehen Sie dazu?

Bätzing-Lichtenthäler: Ich sehe keine Chance, die Wehrpflicht schnell wiedereinzuführen. Denn es fehlt dafür an den nötigen Strukturen, das bestätigt uns auch die Bundeswehr im Austausch immer wieder. Doch es ist gut, wenn wir verstärkt zum Dienst bei der Bundeswehr aufrufen. Ich könnte mir eher vorstellen, über ein Demokratiejahr zu diskutieren. Dies könnten Frauen und Männer dann beim Militär oder auch beispielsweise in sozialer Arbeit ableisten. Aber bis dahin sollten wir den Fokus auf die Freiwilligendienste legen und diese stärker und attraktiver ausgestalten.

Frage: Wir sind inmitten einer sich beschleunigenden militärischen Abschreckungspolitik und internationalen Aufrüstung. Wie blickt die katholische Kirche auf eine Militarisierung von Gesellschaft und Waffenlieferungen – etwa an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland?

Bätzing: Waffen schaffen keinen Frieden. Aber ohne Unterstützung der Europäer und Amerikaner wird das Leiden der Ukraine noch dramatischer. Das gilt auch nach drei Jahren Krieg mit einer Zerstörung, die Tag für Tag weitergeht. Waffenlieferungen bleiben für uns in der Kirche ein echtes Ringen. Die Zustimmung in diesem Fall ist eine Ausnahme. Selbstverständlich brauchen wir die Diplomatie für eine Verständigung über Unterschiede und verschiedene Wertvorstellungen. Gespräche und Kooperationen gehören zur christlichen Friedensethik.

„Wer ernsthafte Fragen stellt, dem biete ich den Austausch an. Wer pöbelt oder nur seinen Frust abladen will, den ignoriere ich. Das lasse ich nicht an mich ran.“

—  Zitat: Bischof Bätzing

Frage: Dürfen gute Katholiken in börsennotierte Rüstungskonzerne investieren?

Bätzing: Wie käme ich dazu zu sagen, du darfst das nicht. Ich traue jeder Katholikin und jedem Katholiken zu, dass sie mit ihrem Geld verantwortungsvoll handeln. Und die Bischofskonferenz hat Kriterien für ethische und nachhaltige Anlagen herausgegeben – als Empfehlung.

Frage: Noch vor dem Ukraine-Krieg erschütterte Corona die Gesellschaft. Frau Bätzing-Lichtenthäler, Sie waren damals in Rheinland-Pfalz Gesundheitsministerin, was beschäftigt Sie bis heute?

Bätzing-Lichtenthäler: Meine schlimmste Entscheidung, die mir bis heute weh tut, war damals die Anordnung, die Altenheime zu schließen. Aber es gab zu diesem Zeitpunkt keine Impfung, keine Masken, keine Tests. Es war eine wirkliche Frage von Leben und Tod. Und wir waren deshalb, mit dem Wissen von damals, überzeugt, nur so können wir die hochbetagten Menschen vor Covid und seinen oft tödlichen Folgen schützen. Aber diese Wochen waren schlimm. Menschen haben gesagt: Das ist wohl mein letzter Frühling und ich will doch lieber meine Enkel noch einmal sehen können und dann vielleicht an Corona sterben. Mit dem Wissen von heute würde ich manche politischen Entscheidungen nicht mehr treffen – dabei denke ich aber eher an Punkte wie etwa das Schließen von Schulen und Spielplätzen.

Ich wünsche mir, dass wir auf Bundesebene eine umfassende Aufarbeitung anpacken. Das ist dringend notwendig, um die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Corona hat zu Enttäuschungen und Unverständnis geführt. Das wirkt bis heute nach. Ich habe deswegen in der Vergangenheit ja auch einen Vorstoß zu einem Bürgerrat mit angeschlossener Expertenkommission im Bund gemacht.

Bätzing: Auch wir als Kirche haben nicht alles gut gemacht. Zum Beispiel war es falsch, so viele Gottesdienste abzusagen. Für die Institution Kirche war es das Allerschlimmste, Menschen in Krankheit und in der Sterbebegleitung nicht beistehen zu können. Das lastet bis heute auf mir. Denn das Sterben geschieht nur ein einziges Mal – und da ist dann später einfach nichts mehr nachzuholen. Es ist gut, dass eine Aufarbeitung  gerade im pastoralen Kontext  bereits begonnen hat.

Bild: ©picture alliance / Daniel Kubirski

Bätzing zu Corona: "Für die Institution Kirche war es das Allerschlimmste, Menschen in Krankheit und in der Sterbebegleitung nicht beistehen zu können. Das lastet bis heute auf mir."

Frage: Sie betonen gemeinsam Harmonie und Einigkeit. Doch die Noch-Kanzler-Partei SPD will beispielsweise die rechtlichen Regeln zum Schwangerschaftsabbruch liberalisieren. Wie steht die katholische Kirche dazu?

Bätzing: Ich verzweifle nicht an der SPD. Aber jedes Jahr werden in Deutschland rund 100.000 Schwangerschaften abgebrochen. Das betrübt mich sehr. Die Selbstbestimmung der Frau und der Lebensschutz für das ungeborene Kind sind Verfassungswerte. Wir können daher nicht das eine gegen das andere ausspielen. Heute haben wir mit dem Paragrafen 218 als einen guten Kompromiss eine befriedete Situation – warum daran etwas ändern? Also, ja: Darin sind wir als Kirche nicht einig mit der SPD. Aber wir reden darüber und sind im Gesetzgebungsverfahren durch unsere Stellungnahmen für den Bundestag mit dabei.

Bätzing-Lichtenthäler: Ich finde diesen Punkt generell ganz wichtig: Auch, wenn wir uns nicht einig sind, bleiben wir im Austausch. Dazu gehört auch, immer wieder die Argumente der anderen zu hören und mit der eigenen Haltung abzugleichen. Politik ist die Kunst, Kompromisse zu finden. Demokratie lebt vom Dialog.

Frage: Wie denken Sie als Katholikin über die Rolle der Frau in der Kirche?

Bätzing-Lichtenthäler: In meinem persönlichen Umfeld sehe ich sehr viele aktive Frauen in der Kirchengemeinde – aber neben dem Pfarrer kaum Männer. Ich kann mir Frauen im Priesteramt sehr gut vorstellen und würde mich darüber freuen.

Bätzing: Hier sind wir uns einig.

Von Matthias Jöran Berntsen und Volker Hasenauer (KNA)