Kirche und Corona-Pandemie – Auf Tauchstation?

Kontaktlose Weihwasserspender und berührungsfreie Opferstöcke: Was ist in den Kirchen von der Corona-Pandemie geblieben, die allein in Deutschland mehr als 180.000 Tote gefordert hat? Bei Bischofskonferenz, Bistümern oder Landeskirchen hat es kaum eine gezielte öffentliche Aufarbeitung gegeben. Dabei waren Kirchen stark betroffen: Ihre Gotteshäuser und Schulen, Krankenhäuser und Altenheime waren potenzielle Hotspots von Infektionen und zugleich zentrale Ziele staatlicher Coronamaßnahmen.
Zugleich standen Glauben und Werte auf dem Prüfstand: Haben sich die Kirchen für weltweite Gerechtigkeit eingesetzt, etwa bei Impfstoffen? Gab es religiöse Antworten auf massenhaften Tod, Krankheit und Einsamkeit? Wurden Sakramente, Gottesdienste und Seelsorge als hilfreich empfunden? War Impfen eine moralische Pflicht, wie die katholischen Bischöfe erklärten? Die Frage, ob die Kirchen "systemrelevant" waren, wurde schon während der Corona-Phase heiß diskutiert.
Erwartungen an Religion gering
Die Erwartungen an Kirchen und Religion waren offenbar relativ gering. Laut dem im März 2023 veröffentlichten Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung setzten die Bundesbürger vor allem auf Familie (90 Prozent) und Wissenschaft (85 Prozent). Religion hingegen war nur für weniger als ein Drittel der Befragten wichtig. Allerdings führte der Glaube zu sozialem Handeln. So gaben drei Viertel der Befragten an, sich während der Pandemie mehr für andere engagiert zu haben. Religiöse Menschen waren überproportional häufig vertreten.
Die Zahl der Gottesdienstbesucher ging während der Pandemie – auch wegen ausfallender Messfeiern und Vorsichtsmaßnahen – deutlich zurück und ist seitdem nur langsam wieder angestiegen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack glaubt aber nicht, dass die Zahlen von vor der Pandemie wieder erreicht werden. "Die Menschen haben an vielen Stellen erlebt, dass sie viele Dinge, die sie über Jahre hinweg gemacht haben, gar nicht so sehr brauchen."

Ein kontaktloser Weihwasserspender steht auch nach der Corona-Pandemie in manchen Gotteshäusern.
Im Frühjahr 2020 ging Deutschland in den Lockdown. Am 22. März 2020 traten bundesweit Kontaktverbote in Kraft. Alle Bundesländer bis auf NRW verboten öffentliche Gottesdienste; die NRW-Landesregierung setzte auf Absprachen mit den Religionsgemeinschaften, die dann von sich aus auf die Zusammenkünfte verzichten. Ausgerechnet in der Karwoche und an den Ostertagen (5. bis 11. April 2020), also den höchsten christlichen Feiertagen, fielen öffentliche Gottesdienste aus. Viele Gotteshäuser blieben geschlossen.
Wurden strenge Auflagen anfangs klaglos akzeptiert, entwickelte sich schon bald eine Debatte darüber, ob die Kirchen solche Grundrechtseinschränkungen einfach hinnehmen sollten. "Wir werden dafür Sorge tragen, dass kein Leben gefährdet ist", versicherte einerseits der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Wie er drängte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, schon bald auf Öffnungen. Angesichts von ersten Lockerungsmaßnahmen in anderen Bereichen könne er nicht nachvollziehen, dass öffentliche Gottesdienste weiterhin verboten sein sollten.
Es waren Einzelpersonen und der konservativ-katholische "Freundeskreis St. Philipp Neri" in Berlin, die juristisch gegen die Gottesdienstverbote vorgingen und den Kirchenleitungen vorwarfen, sich dem Staat gebeugt zu haben. Anfang April war es dann das Bundesverfassungsgericht, das Gottesdienstverbote als einen schweren Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit bezeichnete. Sie müssten befristet sein und ständig auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft werden. Am 29. April betonte Karlsruhe in einem weiteren Urteil, Gottesdienste dürften nicht pauschal verboten werden, wenn hohe Sicherheitsanforderungen erfüllt würden.
Vorschläge der Bischöfe
Am 17. April präsentierte die Bischofskonferenz dem Bundesinnenministerium Vorschläge für die Wiederzulassung von religiösen Zusammenkünften. Am 24. April wurden Empfehlungen zur Feier der Liturgie in der Corona-Krise veröffentlicht. Am 30. April einigen sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten darauf, dass Gottesdienste unter strengen Auflagen wieder stattfinden könnten.
Das vorsichtig-tastende Vorgehen der Kirchen blieb umstritten. Rückblickend führt Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa im KNA-Interview das Agieren von Bistümern und Gemeinden auch auf die Erfahrungen mit der Missbrauchskrise zurück. Man habe um keinen Preis etwas falsch machen wollen. Was wäre gewesen, wenn die Kirchen sich systematisch über die staatlichen Abstandsregeln hinweggesetzt hätten, fragt sie zurückschauend. Wenn ein Gottesdienst zum Super-Spreader-Ereignis mit Todesfällen geworden wäre? "Das gesellschaftliche Verständnis wäre wohl nicht sehr groß gewesen."
Auch Peter Frey, damals ZDF-Chefredakteur und Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, verwies im Februar 2021 auf eine große Verunsicherung bei katholischen Repräsentanten. Die unzureichende Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und ein Status unter quasi permanentem Verdacht hätten die Handlungsfähigkeit eingeschränkt, schrieb er. Deshalb habe man sich der Politik weithin gebeugt.

"Eine Kirche der geschlossenen Türen gab wenig Hilfe, wenig Begleitung, trotz einzelner Ideen machte sich die Kirche in der Krise nicht auf zu neuer Kreativität", schrieb der ZDF-Journalist Peter Frey.
Insgesamt beschrieb der Journalist eine Kirche, die auf Tauchstation gegangen sei: "Eine Kirche der geschlossenen Türen gab wenig Hilfe, wenig Begleitung, trotz einzelner Ideen machte sich die Kirche in der Krise nicht auf zu neuer Kreativität", analysierte er. Auch seien die Bischöfe kaum mit eigenen Positionen hör- oder und sichtbar gewesen, etwa in Talkshows. Andererseits hätten kirchliche Kitas, Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser und Beratungsstellen der Gesellschaft geholfen, die Krise zu überstehen, betonte Frey. Auch hätten christliche Kernwerte große Teile des politischen Handelns beeinflusst: "Die Botschaft des Respekts vor den Schwachen und Verletzlichen hat sich durchgesetzt. Also: Die Botschaft der Kirche hat sich als systemrelevant herausgestellt, aber sie hat sich von der Kirche quasi weggelöst."
Schärfer formulierte es die ehemalige Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht (CDU). Die evangelische Theologin warf den Kirchen Versagen vor. "Die Kirche hat in dieser Zeit Hunderttausende Menschen allein gelassen. Kranke, Einsame, Alte, Sterbende."
Große Kreativität
Der Trierer Bischof Stephan Ackermann widersprach: Viele Haupt- und Ehrenamtliche hätten sich "mit großer Kreativität" bemüht, in Kontakt mit Gläubigen zu bleiben. So gab es Initiativen wie eine Corona-Seelsorge-Eingreiftruppe im Erzbistum München-Freising, die mit Schutzanzügen zu den Sterbenden ausgerückte. Die ehemalige Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz, Schwester Katharina Kluitmann, betonte Anfang Februar 2025 im Kölner Domradio: "Ich habe unglaublich viel christliches Engagement gesehen bei Menschen, die niemals von sich selbst sagen würden, dass sie Christen sind."
Caritaspräsidentin Welskop-Deffaa sieht es im Rückblick als große gesellschaftliche Leistung, dass auf ältere Menschen stark Rücksicht genommen worden sei. Die andere Frage sei, ob es gelungen sei, die Einschränkungen für die Jungen schnell genug wieder zurückzufahren. Das Thema Einsamkeit - bei jungen und alten Menschen – sei unterschätzt worden.