Bischof Jung: Thema Missbrauch ist mit Gutachten nicht erledigt

Das Missbrauchsgutachten ist für den Würzburger Bischof Franz Jung nicht das Ende der Aufarbeitung in seiner Diözese. Das Thema sei damit nicht erledigt, sagte Jung bei der Pressekonferenz der Diözese am Montag, in der er und weitere Verantwortliche im Bistum auf die Vorstellung des Gutachtens reagierten. "Ich sage das ausdrücklich, weil ich immer wieder höre, mit dem Gutachten sollten wir nun endlich einen Schlussstrich ziehen und das leidige Thema auf sich beruhen lassen. Das wird nicht geschehen", so Jung. Das Gutachten ziehe eine "verheerende Bilanz". Er bitte um Entschuldigung "für die Jahre des Schweigens, der Verleugnung und der Untätigkeit".
Die Studie hatte an mehreren Stellen Kritik am Umgang des Vatikans mit Missbrauchsfällen geäußert. Jung teile die Kritik. Meistens erhalte man aus Rom nach einer Meldung von Fällen die Antwort, dass der Bischof nach eigener Einschätzung handeln solle. Er verstehe zwar, dass Rom die Verantwortung des Ortsbischofs hochhalte. Er erwarte aber auch, dass nach einer pflichtgemäßen Meldung auch eine begründete Einschätzung mit konkreten Handlungsempfehlungen aus dem Vatikan erfolge. Unverständnis zeigte Jung angesichts der Tendenz des Vatikans, vor Ort in Erwägung gezogene härtere Maßnahmen gegen Täter abzumilden. "Das sind Dinge, die mich teilweise irritiert haben", so Jung. Das habe er auch bereits häufiger im Vatikan rückgemeldet.
Jung bedauerte, dass die Methodik der angefertigten Missbrauchsstudien für verschiedene Bistümer sehr unterschiedlich sei. "Es wäre im Sinne aller Bistümer gewesen, wenn man deutschlandweit ein einheitliches Vorgehen gewählt hätte für das Aufarbeitungsprojekt", so Jung. Viele Bistümer seien vorgeprescht, ohne auf die in der "Gemeinsamen Erklärung" vereinbarten Standards zu warten, die die Bischöfe mit dem damaligen Unabhängigen Beauftragten für sexuellen Kindesmissbrauch, Johannes-Wilhelm Rörig, 2020 vereinbart hatten. Er könne daher die Kritik des Leiters der MHG-Studie, Harald Dreßing, an der uneinheitlichen Methodik nachvollziehen. Dessen Vorwurf, dass die diözesanen Gutachten so eher zur Vertuschung beitrügen, teilte der Bischof aber nicht. Die unterschiedlichen methodischen Zugänge hätten verschiedene Blicke auf die Thematik ermöglicht. Der juristisch geprägte Würzburger Ansatz zeichne sich durch seine Präzision aus. Der deutliche Anstieg der zuvor ermittelten Betroffenenzahlen spreche für den Ansatz.
Erkenntnisse der Studie für weitere Aufarbeitung genutzt
Die Leiterin der Stabsstelle Prävention und Intervention, Kerstin Schüller, bezeichnete das Gutachten als "zentralen Baustein" sowohl zur Einschätzung des bisherigen Handelns als auch zur Weiterentwicklung des Vorgehens in der Diözese. Sie betonte, dass ihrer Arbeit ein deutlich weiter gefasster Begriff von Übergriffen zugrunde liegt: "Wir haben das Ziel, eine sichere Kirche für alle Menschen zu sein." Die Nulltoleranz-Politik im Bistum greife daher nicht erst bei Straftaten, sondern bei jeder sexualisierten Grenzverletzung, auch dann, wenn diese unterhalb der Grenze der Strafbarkeit liege.

In der vergangenen Woche hat die Vorsitzende der Würzburger Aufarbeitungskommission, Anja Amend-Traut, Bischof Franz Jung die Studie überreicht. Jetzt äußerte er sich dazu.
In einem Fall habe das Gutachten aus einer Strafakte neue Informationen zu einem bekannten Fall ergeben, die gemäß dem Interventionsverfahren behandelt werde. Dazu sei bereits bei der Staatsanwaltschaft Einsicht in die Ermittlungsakte beantragt worden. Alle in der Studie beschriebenen Fälle würden intensiv studiert, um gegebenenfalls weitere noch nicht bekannte Informationen zu gewinnen und ihnen nachgehen zu können.
Umgang mit Handlungsempfehlungen wird bis September beraten
Im Mai werde sich Jung mit dem Betroffenenbeirat und weiteren Betroffenen zu einem Austausch über das Gutachten treffen, außerdem sei ein gemeinsamer Workshop mit der Aufarbeitungskommission geplant, bei dem die Umsetzung der von der Kommission vorgelegten Handlungsempfehlungen besprochen werde. Bis Ende September sollen aus den Maßnahmen konkrete Empfehlungen abgeleitet werden.
Das Würzburger Gutachten ermittelte für die Zeit von 1945 bis 2019 insgesamt 51 Beschuldigte, darunter 43 Geistliche. In der bundesweiten MHG-Studie ist bezogen auf das Bistum Würzburg von 62 beschuldigten Priestern und Diakonen die Rede, außerdem von 157 Betroffenen. Hier ist die Zahl des neuen Gutachtens mit 226 Betroffenen deutlich höher. Die Studienautoren stellten bei allen Bischöfen mit Ausnahme des amtierenden Franz Jung Versäumnisse im Umgang mit Taten und Verdachtsfällen fest. Bei der Pressekonferenz teilte Jung mit, dass Altbischof Friedhelm Hofmann seinen Umgang mit Missbrauchsfällen bedauere. Der von ihm ernannte ehemalige Missbrauchsbeauftragte Heinz Geist kündigte an, auf seinen Sitz im Domkapitel zu verzichten und weiterhin keine öffentlichen Gottesdienste zu feiern. (fxn)