Vor 15 Jahren wurde in Nordirland das Karfreitagsabkommen unterzeichnet

Brüchiger Friede

Veröffentlicht am 10.04.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Nordirland

Belfast ‐ Im quirligen Zentrum der Hauptstadt ist der Nordirland-Konflikt weit weg. Hübsche Cafés und urige Kneipen laden zum Verweilen ein, nicht weit davon entfernt, im Hafen, erinnert das moderne "Titanic Quarter" an den Bau des gleichnamigen Luxusschiffes in Belfast. Doch nur wenige Straßen westlich zeigt sich ein anderes Nordirland.

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Wandgemälde zeugen hier von der Hochphase der Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten. Hohe Wände, sogenannte Friedenslinien, trennen noch immer die Wohnviertel. Nordirland kämpft mit seiner Geschichte. Auch an diesem historischen Tag.

15 Jahre ist es her, dass Katholiken und Protestanten das Karfreitagsabkommen schlossen. Der Vertrag vom 10. April 1998 sollte die blutigen Auseinandersetzungen um den Status des zu Großbritannien gehörenden Landes und die Rechte der Religionsgruppen beenden. Fast 4.000 Menschen waren seit Beginn der 1960er Jahre in dem Bürgerkrieg ums Leben gekommen.

Das Ergebnis der Verhandlungen hatte es in sich: nordirische Selbstverwaltung, eine drastische Verringerung der britischen Truppen, Entwaffnung der paramilitärischen Einheiten und eine Aussicht auf eine Wiedervereinigung mit Irland, wenn es die Mehrheit der Nordiren wünscht: "Als eine historische und bedeutende Wegscheide für die Geschichte und die Entwicklung dieser Insel" hatte der nordirische Politiker und ehemalige Chef der paramilitärischen IRA Gerry Adams das Abkommen zum zehnten Jahrestag 2008 bezeichnet.

29 Tote, nur wenige Wochen später

Wie viel das Abkommen wert war, zeigte sich wenige Wochen nach dessen Unterzeichnung. Zwar votierten über 70 Prozent der Nordiren Ende Mai 1998 in einem Referendum dafür, doch schon im August brach die Gewalt wieder aus. Bei einem Bombenanschlag einer Splittergruppe der IRA in der Stadt Omagh starben 29 Menschen, 250 wurden verletzt.

Noch immer schüren Hardliner die Gewalt in Nordirland. Die jüngste Agressionswelle schwappt seit Dezember 2012 durch das Land, als der Stadtrat von Belfast entschieden hatte, die britische Flagge über dem Rathaus nur noch an bestimmten Tagen zu hissen. Noch am vergangenen Montagabend warfen protestantische Randalierer Benzinbomben und Steine auf eine katholische Kirche in der Stadt.

Teilnehmer einer Veranstaltung für behinderte Kinder und ihre Pflegepersonen im benachbarten Pfarrzentrum mussten in Sicherheit gebracht werden, wie britische Medien unter Berufung auf einen Kirchenmitarbeiter berichteten. Als die Polizei einschritt, wurden die Beamten angegriffen. Eine Einsatzkraft und ein Busfahrer wurden den Angaben zufolge verletzt.

Nach Ansicht des Historikers Andre Krischer ist Nordirland weiterhin "ein Pulverfass". Auch wenn es vermutlich keine Wiederkehr des IRA-Terrors geben werde, könnte die Gewalt im Zuge des Flaggenstreits ausreichen, "um Perspektiven für ein friedliches und wirtschaftlich stabiles Nordirland zur Illusion werden zu lassen", sagt Krischer.

Pro Britannien: Protestantische Nordiren demonstrieren Anfang Januar gegen die Entscheidung des Belfaster Stadtrates, die britische Flagge nur noch an wenigen Tagen im Jahr zu hissen.
Bild: ©picture alliance / empics / Paul Faith

Pro Britannien: Protestantische Nordiren demonstrieren Anfang Januar 2013 gegen die Entscheidung des Belfaster Stadtrates, die britische Flagge nur noch an wenigen Tagen im Jahr zu hissen.

Perspektivmangel und Angst vor Gewalt

Ungeachtet der erheblichen Fortschritte des Friedensprozesses gebe es heute mehr Mauern, die katholische und protestantische Viertel voneinander trennen, als 1998, erklärt Martin Long, Sprecher der irischen katholischen Bischofskonferenz, die für Irland und Nordirland zuständig ist.

"Die Gemeinden, in denen die Gewalt einst am heftigsten war, leiden heute unter den größten sozioökonomischen Problemen, hoher Arbeitslosigkeit, Drogenmissbrauch, einer hohen Selbstmordrate unter Jugendlichen und der immer noch vorhandenen Terrorgefahr", sagt Long weiter. Die Angst vor Gewaltausbrüchen und mangelnde Zukunftsperspektiven gehörten zum täglichen Leben vieler, vor allem junger, Menschen in Nordirland, so die Einschätzung der Bischofskonferenz.

Obgleich auch in Irland der Zuspruch zu den christlichen Kirchen abnimmt, ist der Gegensatz katholisch/evangelisch weiter wichtig. "Die Religion stiftet immer noch Identität", sagt Historiker Krischer. "Die Menschen verstehen sich entweder als Katholik oder als Protestant. Der Konflikt dreht sich aber nicht mehr wie früher um Glaubenswahrheiten." Seiner Ansicht nach hätten die Kirchen kein Interesse, dass der Konflikt wieder aufflammt. "In jedem Fall gießen Amtsträger beider Seiten kein Öl ins Feuer", so Krischer.

In Belfast bieten Taxifahrer spezielle Touren zur Geschichte des Konflikts an. Chauffiert werden die Fahrgäste zum Beispiel durch die katholische Falls Road, einem der Hauptschauplätze des Bürgerkriegs. Oder durch das Shankill-Viertel, wo zahlreiche britische Flaggen wehen.

Ebenso engagieren sich ehemalige Untergrundkämpfer beider Seiten in sozialen oder politischen Projekten zur Aussöhnung. Ohne das Karfreitagsabkommen wäre dies undenkbar. Doch bis die Mauern zwischen den Wohnvierteln und in den Köpfen verschwunden sind, wird noch viel Zeit vergehen. (mit Material von KNA)

Von Christoph Meurer