Zwischen Inszenierung und Ritual

Kommunikationswissenschaftler: Leo XIV. startet mit Hoffnungsvorschuss

Veröffentlicht am 24.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Hannover ‐ Papst Leo XIV. ist frisch im Amt – und schon mitten im medialen Rampenlicht. Zwischen viel Symbolik und Inszenierung stellt sich da die Frage, ob und wie das Kirchenoberhaupt nach außen wirken kann. Der Hannoveraner Kommunikationswissenschaftler Peter Szyszka ordnet im katholisch.de-Interview ein.

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Die Wahl eines neuen Papstes ist stets ein globales Ereignis – doch was folgt danach? Im Interview spricht der Hannoveraner Kommunikationswissenschaftler Peter Szyszka über die mediale Inszenierung des Papsttums, Authentizität und die Herausforderungen kirchlicher Kommunikation in einer fragmentierten Welt.

Frage: Herr Szyszka, nach der Wahl des neuen Papstes Leo XIV. hatte man teilweise den Eindruck einer kleinen medialen Welle – nicht nur in Bezug auf den Papst selbst, sondern auch auf die Kirche insgesamt. Und das in einem ungewöhnlich positiven Ton. Teilen Sie diesen Eindruck?

Szyszka: Das muss man differenziert betrachten. Ich vergleiche zunächst einmal die beiden letzten Päpste in Bezug auf ihren Amtsantritt. So unterschiedlich sie auch sein mögen, haben beide etwas gemeinsam: Sie starten mit einem gewissen Vorschuss an Hoffnung. Damit sind bestimmte Erwartungen verbunden – weltweit, aber auch spezifisch in den verschiedenen Regionen der katholischen Kirche.

Frage: Was meinen Sie damit?

Szyszka: Das lässt sich etwa beim Blick auf Deutschland erkennen: Papst Franziskus hat damals große Erwartungen geweckt. Er wurde – wahrscheinlich wider Willen – als Medienstar gefeiert – vor allem, weil er sich in seinem Habitus so deutlich von seinem Vorgänger Benedikt XVI. unterschied, der deutlich für eine konservative Position stand. Benedikt verkörperte eine würdevolle Amtsauffassung – man könnte sagen, fast schon majestätisch. Franziskus hingegen wirkte völlig gegensätzlich: volksnah, bescheiden, unkonventionell. Das hat zunächst eine enorme Aufmerksamkeit erzeugt, aber auch Erwartungen genährt, etwa hinsichtlich einer Reformbedürftigkeit der Kirche. Beim neuen Papst Leo XIV. ist das aus meiner Sicht ein wenig anders. Auch bei ihm gibt es eine erste Welle der Hoffnung. Er tritt aber völlig anders auf als Franziskus: sachlich und nüchtern, gleichzeitig aber mit spürbarer Wärme. Diese Mischung aus Empathie und Klarheit lässt ihn auf mich wie einen kirchlichen Diplomaten wirken.

Frage: Ist das mediale Bild des Papstes – vor dieser riesigen Kulisse in Rom – ein Teil dieses Eindrucks?

Szyszka: Natürlich ist die Inszenierung durch die Kulisse des Vatikans gewissermaßen vorgegeben: der Balkon, der Petersplatz, die ganze Architektur. Franziskus hat das damals sehr geschickt genutzt und hat Gegenbilder geschaffen, ist etwa im Kleinwagen vorgefahren oder spontan Kaffee trinken gegangen. Manche sagen, das sei eine Selbstinszenierung gewesen. Aber ich würde sagen: Es war authentisch. Ich habe mich für ein Buch schon einmal mit der Frage beschäftigt, ob man Authentizität überhaupt inszenieren kann. Meine Antwort: Man kann nur das inszenieren, was auch wirklich da ist, denn Authentizität wird als Sozialkonstrukt zugewiesen. Ein Mensch wirkt in seinem Umfeld – auch einem inszenierten – dann authentisch, wenn er sich dort auch wirklich authentisch anfühlt. Franziskus wirkte authentisch, und auch Papst Leo wirkt bisher so – ohne erkennbare zusätzliche Inszenierung.

Bild: ©Privat

Der Hannoveraner Kommunikationswissenschaftler Peter Szyszka.

Frage: Welche Rolle spielt Authentizität in einem Amt, das für die meisten Menschen nur medial vermittelt wird?

Szyszka: Kommunikation ist immer kulturabhängig. Das zeigt sich etwa bei der Kommunikation von Großkonzernen: "Think global, act local" ist da nicht nur eine Floskel. Menschen in verschiedenen Regionen der Welt empfinden verschiedene Dinge in verschiedenen Situationen als angemessen und authentisch – oder eben nicht. Deswegen funktionieren internationale Kampagnen nur, wenn sie lokal angepasst werden. Das gilt auch für die katholische Kirche. Die Wahrnehmung der Kirche ist weltweit sehr unterschiedlich, aber sie bündelt sich im Papstamt. Die Herausforderung liegt darin, dass dieses Amt global glaubwürdig bleibt – und dabei dennoch auf lokale kulturelle Kontexte eingeht. Authentizität entsteht in den Köpfen der anderen. Wenn jemand plötzlich nicht mehr authentisch wirkt, erzeugt dies Irritation. Deshalb ist es so entscheidend, dass ein Papst so wahrgenommen wird, wie er tatsächlich ist.

Frage: Ist die Papstwahl heute überhaupt noch ein Event, das angesichts so vieler Großevents grenzüberschreitend wirkt?

Szyszka: In der Wissenschaft definieren wir ein Event derart, dass es sich um eine Veranstaltung handelt, die einem Sachverhalt Wichtigkeit beimisst, die er sonst nicht hätte. Das hat eine Papstwahl aber gar nicht nötig. Sie bezieht ihre Relevanz aus sich selbst. Der Einzug der Kardinäle in die Sixtinische Kapelle, der weiße Rauch – das ist ein festes Ritual. Dieses Ritual endet erst mit den ersten persönlichen Worten des neuen Papstes auf dem Balkon. Natürlich ist das alles auch eine Form von Inszenierung. Aber sie speist sich aus Tradition und Symbolik – und das ist völlig ausreichend. Ob zusätzliche Gesten – wie etwa der berühmte Kuss des Bodens durch Johannes Paul II. – als Selbstinszenierung oder als ehrliche Geste gemeint sind, kann man unterschiedlich deuten.

Frage: Also das Setting ist schon so aufgeladen, dass es keine zusätzliche Inszenierung braucht?

Szyszka: Genau. Die Frage ist nicht, ob man mehr inszenieren kann – natürlich kann man das. Die Frage ist, ob man das sollte. Aus Perspektive der PR-Forschung würde ich sagen: ein klares Jein. Das Setting der katholischen Kirche, ihre Rituale, basieren ja auf Selbstinszenierung, erkennbar etwa am Unterschied zur evangelischen Kirche. Dass diese immer wieder aktualisiert und zeitbedingt fortgeschrieben werden, würde ich nicht als zusätzliche Inszenierung bezeichnen. Wenn ich allerdings heute an die Medien- und Netzöffentlichkeit denke, in der Papsttum und Kirche weitervermittelt werden und werden sollen, dann darf sollte man schon über eine abgeleitete mediengerechte Inszenierung nachdenken. Wie diese aussehen könnte: Darüber habe ich mir allerdings noch keine Gedanken bemacht.

Von Christoph Paul Hartmann