Görlitzer Bischof im katholisch.de-Interview

Ipolt: Zahl der Priesterweihen ist Spiegelbild der Glaubenssituation

Veröffentlicht am 14.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Görlitz ‐ 2024 wurden in Deutschland nur 29 Männer zu Priestern geweiht – ein neuer Tiefstand. Wie können wieder mehr Menschen für den priesterlichen Dienst begeistert werden? Wie kann Berufung gelingen? Und wie wichtig ist das Gebet? Darüber spricht Görlitz' Bischof Wolfgang Ipolt im katholisch.de-Interview.

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Die Zahl der Priesterweihen in Deutschland ist auf einem historischen Tiefstand. Für den Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt, der früher selbst Priesterausbilder war, ist das ein Spiegel des schwindenden Glaubens. Im Interview von katholisch.de erklärt er, warum Berufungen nicht "gemacht", aber gefördert werden können, wie Gemeinden zu Keimzellen geistlicher Aufbrüche werden – und warum es Mut braucht, sich heute für ein Leben als Priester zu entscheiden.

Frage: Bischof Ipolt, im vergangenen Jahr wurden in Deutschland nur 29 Männer zu Priestern geweiht, das bedeutete einen neuen Tiefstand. Wie blicken Sie auf diese Zahl? 

Ipolt: Das ist angesichts der Zahl der Katholiken in unserem Land eine erschreckend geringe Zahl – wirklich überraschen kann diese Zahl allerdings kaum. Im Gegenteil: Sie ist ein Spiegelbild der Glaubenssituation in unserem Land. Wo sollten Priesterberufungen herkommen, wenn nicht aus lebendigen Zellen des Glaubens? Doch solche Zellen gibt es hierzulande immer weniger. Papst Franziskus hat 2019 in seinem Brief an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland von einer "Erosion" des Glaubens in Deutschland geschrieben – das hat die Situation sehr gut beschrieben. Wir erleben mit Blick auf die Glaubenspraxis einen Abbruch großen Ausmaßes, bestimmte Formen religiösen Lebens sind nicht mehr selbstverständlich. Und in einer solchen Umgebung entstehen eben auch kaum neue Priesterberufungen. Natürlich spielt dabei auch die Demografie unserer Gesellschaft – geringere Kinderzahlen und Überalterung – eine nicht geringe Rolle.

Frage: Der Erfurter Regens Ansgar Paul Pohlmann hat im Frühjahr in einem katholisch.de-Interview gesagt, dass es viel Mut brauche, in der heutigen gesellschaftlichen und kirchlichen Situation Priester zu werden. Teilen Sie seine Sichtweise? 

Ipolt: Ja, das würde ich voll unterstreichen. Wer sich heute auf den Weg zur Priesterweihe begibt, ist oft in kleinen Ausbildungskommunitäten unterwegs, erlebt sich mit seinem Weg als Exot. Hinzu kommen möglicherweise kritische Anfragen von Familie und Freunden, die den Berufungsweg in Frage stellen. All das ist gerade für junge Priesteramtskandidaten nicht leicht und verlangt ihnen Mut ab, zu ihrem Weg zu stehen. 

„Klagen und Jammern über die aktuelle Lage der Kirche und die Herausforderungen des Priesterberufs wirken nicht anziehend.“

—  Zitat: Bischof Wolfgang Ipolt

Frage: Welche Stellschrauben gibt es, um die Zahl der Priesterweihen perspektivisch möglicherweise wieder zu erhöhen? Oder ist der Negativtrend der vergangenen Jahre und Jahrzehnte unumkehrbar? 

Ipolt: Zunächst einmal: Berufungen kann man nicht "machen". Aber man kann Räume schaffen, in denen der Ruf Gottes möglicherweise besser gehört werden kann. Dafür braucht es Orte, an denen insbesondere junge Menschen beten lernen und Zugang zum Wort Gottes finden können – etwa in Bibelkreisen oder geistlichen Gesprächsrunden. All das ist heute nicht mehr selbstverständlich, ich halte es aber für unverzichtbar. Solche Orte können wie eine Initialzündung wirken, wo junge Menschen plötzlich spüren, dass Gott sie ruft. Hier sehe ich auch eine wichtige Aufgabe für unsere Pfarrgemeinden und die Konvente unserer Ordensgemeinschaften. 

Frage: Der Erfurter Subregens Egon Bierschenk hat in dem schon erwähnten Interview gesagt, er glaube, dass es viel mehr junge Menschen gebe, die sich grundsätzlich vorstellen könnten, Priester zu werden, als man es in der Kirche vielleicht manchmal ahne. Teilen Sie diesen Eindruck? 

Ipolt: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es mehr junge Menschen mit einer gewissen Offenheit für den Priesterberuf gibt, als wir mitunter wahrnehmen. Deshalb ist es auch wichtig, dass das gesamte Presbyterium eines Bistums – nicht nur der Bischof und der Regens – eine positive Grundhaltung zur Berufung zeigt. Klagen und Jammern über die aktuelle Lage der Kirche und die Herausforderungen des Priesterberufs wirken nicht anziehend. Auch unsere Laienmitarbeiter tragen diesbezüglich Verantwortung, denn wir suchen ja nicht nur Priester, sondern auch andere Frauen und Männer, die in der Glaubensverkündigung mitarbeiten wollen. 

Frage: Der Subregens hat in dem Interview auch gesagt, dass aus seiner Sicht schon viel erreicht werden könnte, wenn die Kirche es stärker schaffe, jungen Menschen die heutige Vielfalt des Priesterberufs aufzuzeigen. Die Engführung des Priesterbildes in den vergangenen Jahren habe der Attraktivität des Berufes geschadet. Hat er recht? 

Ipolt: Die Bandbreite priesterlichen Dienstes ist heute in der Tat größer als früher. Als ich selbst Priester geworden bin, war klar: Man wird Gemeindepfarrer. Heute gibt es viele andere Wege – in der Gefängnis-, Krankenhaus- oder Schulseelsorge zum Beispiel. Das sollten wir auch kommunizieren. Wer sich heute für den priesterlichen Dienst entscheidet, muss nicht automatisch ein Leben als Ortspfarrer in der Diaspora oder als vor allem mit Verwaltungsaufgaben beschäftigter "Manager" in einer Großpfarrei führen.  

Bild: ©picture alliance/Pressebildagentur ULMER/Markus Ulmer (Symbolbild)

In ganz Deutschland wurden 2024 nur 29 Männer zu katholischen Priestern geweiht.

Frage: Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht das Gebet um Berufungen? 

Ipolt: Sehr wichtig. In unserem Bistum haben wir eigentlich die Regel, dass an jedem ersten Donnerstag eines Monats um Berufungen gebetet werden soll. Das ist der sogenannte "Priesterdonnerstag". In der Bischofsstadt Görlitz ist mir diese Tradition sehr wichtig. Wenn ich an diesem Tag in der Stadt bin, feiere ich die Heilige Messe in der Kathedrale, zu der auch immer alle Priester der Stadt eingeladen sind. Ich hoffe, dass auch in den anderen Pfarreien unseres Bistums dieses Anliegen einmal im Monat ernst genommen wird. Dazu gehört ja auch der vierte Ostersonntag, der Weltgebetstag um geistliche Berufe

Frage: Ein wichtiges Feld ist auch die Berufungspastoral. Was kann sie heute noch leisten? 

Ipolt: Sie muss tiefer ansetzen. Bevor es um die spezielle Berufung zum Priester gehen kann, müssen junge Menschen überhaupt erst einmal erkennen, dass jeder Mensch eine Berufung hat und auch das eigene Leben von Gott gerufen ist. Die meisten Menschen haben heute vergessen, dass Gott uns Menschen anspricht und uns zu etwas bewegen möchte. Die Kirchenkrise, die wir erleben, ist aus meiner Sicht vor allem eine Gotteskrise! Wenn man aber einmal verstanden hat, dass Gott mit jedem Menschen – also auch mit mir selbst – etwas vorhat, dann hat man die Chance, die eigene Berufung zu entdecken. Berufungspastoral heißt für mich, Menschen bei dieser "Entdeckungsreise" zu helfen, Gottes Ruf zu hören und richtig zu deuten.  

Frage: Blicken wir auf Ihr Bistum: Aus der Pfarrei im sächsischen Wittichenau sind in den vergangenen Jahren gegen den bundesweiten Trend gleich mehrere Priesterberufungen hervorgegangen; wahrscheinlich ist die Pfarrei, was den Priesternachwuchs angeht, sogar die erfolgreichste in ganz Deutschland. Warum gelingt dort, was anderswo nicht gelingt? 

Ipolt: Die Pfarrei in Wittichenau ist sicher ein Sonderfall – auch in unserem Bistum. Berufungen sind dort beinahe etwas "Normales". Zuletzt ist im vergangenen Jahr ein junger Mann aus der Gemeinde, der zuvor in den Jesuitenorden eingetreten war, zum Priester geweiht worden. Dass aus der Pfarrei so viele Berufungen hervorgehen, hat sicher damit zu tun, dass es sich um eine deutsch-sorbische Gemeinde handelt, die bis heute eine sehr lebendige liturgische Praxis pflegt – mit Andachten, Prozessionen und besonderen Gebetsorten, die es anderswo so nicht gibt. Das prägt die Gläubigen dort; ich merke das immer, wenn ich zum Beispiel zu Firmungen dort bin. Hinzu kommt, dass der soziale Zusammenhalt dort sehr groß ist. Das ist mit einer Großpfarrei oder einer eher anonymen Großstadtpfarrei nicht zu vergleichen. 

„Ich bin dankbar für die Priester, die mich als junger Mensch geprägt haben – das waren glaubwürdige Zeugen des priesterlichen Dienstes.“

—  Zitat: Bischof Wolfgang Ipolt

Frage: Auch jenseits von Wittichenau gibt es in Ihrem Bistum mitunter Priesterberufungen. Im Juni konnten Sie gleich zwei neue Priester für Ihre Diözese weihen. Wie sieht es mit Blick auf die kommenden Jahre aus? Gibt es aktuell weitere Priesteramtskandidaten?  

Ipolt: Derzeit sind zwei weitere Kandidaten auf dem Weg. Der eine beginnt im Herbst mit seinem Pastoralkurs, der andere hat das Propädeutikum in Bamberg abgeschlossen und geht jetzt ins Seminar nach Erfurt – der steht also noch ziemlich am Anfang. Für unser kleines Bistum ist das eine gute Entwicklung, angesichts der überschaubaren Zahl an Katholiken in unserer Diözese brauchen wir nicht jedes Jahr eine Priesterweihe. Dringender wären derzeit zwei oder drei neue Gemeindereferenten. Wir haben die entsprechenden Stellen schon länger ausgeschrieben – aber leider hat sich bislang niemand darauf gemeldet. 

Frage: Was würden Sie einem jungen Mann raten, der heute überlegt, Priester zu werden – aber noch unsicher ist? 

Ipolt: Ich würde ihm raten: "Lies regelmäßig das Evangelium – und achte auf Stellen, bei denen du spürst: Das spricht mich an." So war es bei mir auch. Ich habe in der Schulzeit begonnen, im Neuen Testament Bibelverse zu unterstreichen, die mich angesprochen haben. Außerdem würde ich zur regelmäßigen Glaubenspraxis ermutigen: Sonntagsgottesdienst, tägliches Gebet, Kontakt zur Gemeinde und ein vertrauensvolles Gespräch mit einem Priester, der schon länger in diesem Beruf lebt. Das öffnet den Raum für Berufung. 

Frage: Sie selbst sind vor 46 Jahren zum Priester geweiht worden. Was bedeutet Ihnen dieser Dienst heute? 

Ipolt: Ich habe es keinen Tag bereut. Im Gegenteil, ich bin dankbar, dass ich diesen Weg gegangen bin. Und ich bin dankbar für die Priester, die mich als junger Mensch geprägt haben – das waren glaubwürdige Zeugen des priesterlichen Dienstes. Sie haben mir gezeigt: Dieser Dienst kann erfüllend und sinnstiftend sein. Und das ist er für mich bis heute. 

Von Steffen Zimmermann