Restriktive Gruppen bekommen Zulauf

Theologe: Wir brauchen eine dynamische Kirche gegen Rechts

Veröffentlicht am 26.08.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 
Theologe: Wir brauchen eine dynamische Kirche gegen Rechts
Bild: © Privat

Innsbruck ‐ Das Christentum als Identifikationsmerkmal taucht wieder häufiger in der politischen Diskussion auf, besonders restriktive Gruppen bekommen Zulauf. Das alles sind auch Krisenphänomene, sagt der Theologe Wolfgang Palaver. Er plädiert für eine dynamische Rolle der Kirchen – und eine neue alte Mystik.

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Zuletzt wurde der emeritierte Innsbrucker Professor für Christliche Gesellschaftslehre Wolfgang Palaver durch den Podcast "Die Peter-Thiel-Story" bekannt, denn er steht im regelmäßigen Kontakt mit dem deutsch-US-amerikanischen Milliardär, der illiberale Denker und Initiativen unterstützt. Doch was bedeuten rechte christliche Gruppen mit politischen Ambitionen für die Welt? Im Interview blickt Palaver auf das Christliche in der Politik, Identifikationsmarker und die Rolle der Kirchen dabei.

Frage: Herr Palaver, in der US-Politik ist oft von einer christlichen Nation die Rede, auch in Europa fiel unter anderem Matteo Salvini damit auf, dass er einen Rosenkranz schwenkte. Gibt es ein Revival des Christlichen in der Politik?

Palaver: Wenn man das Christentum von seiner biblisch-spirituellen Substanz her versteht, dann sehe ich da kein Revival. Es ist immer noch schwierig, diese Botschaft weiterzuvermitteln. Wenn man das Christliche dagegen als identitätsstiftenden Marker versteht, dann schon eher. Es gibt, glaube ich, ein großes Bedürfnis nach engerer Identität und Identifizierung. Das muss dann gar nicht so sehr mit der Substanz der Sache zu tun haben. Wer heute mit religiösen Symbolen herumwedelt oder ganz stark im Sinne des christlichen Abendlandes auftritt, den trifft man sonntags wohl eher nicht im Gottesdienst. Das zeigt schon, wie komplex da die Verbindungen sind.

Frage: Woher kommt denn dann diese Fixierung auf das Christliche?

Palaver: Da gibt es verschiedene Zugänge. Manche wollen angesichts der muslimischen Minderheit und multikulturellen Entwicklungen zeigen, zu welcher Gruppe sie gehören. Die sind irritiert, weil sie auf der Straße eine Frau mit Kopftuch sehen und wollen mit etwas dagegenhalten. Es gibt aber auch Leute – die findet man in den USA zwar mehr, bei uns aber auch – die irgendwo irritiert sind, weil sie sich religiös nicht wirklich beheimatet fühlen oder sich von einer Gesellschaft unter Druck gesetzt fühlen, in der Religion eher randständig ist. Die wollen ihren Glauben dann besonders ganzheitlich leben, etwa mit Homeschooling. Viele dieser Leute haben sehr viele Kinder. Da hat man das Gefühl, dass sie wieder stärker das Gesamtpaket einer stärker biblisch ausgerichteten Religion leben wollen, was in der säkularen Gesellschaft weniger möglich ist. Da habe ich bis zu einem gewissen Punkt auch Sympathie für. Was mich eher irritiert, wenn katholische Gruppen dieser Art dann einen machtpolitischen Anspruch haben. Dieses kohärente, integrale Glaubensverständnis ist an sich eine gute Sache. Dafür missionarisch zu werben, ist auch legitim. Aber warum alle Leute dazu zwingen, auch so zu leben? Ich habe da den Eindruck, dass die mangelnde Überzeugung in das eigene Lebensmodell dadurch kompensiert wird, dass man es anderen aufzwingt.

Frage: Gibt es da Vordenker?

Palaver: Ich denke da etwa an Rod Dreher mit seinem Buch "Die Benedikt-Option", in dem er im Anschluss an Alasdair MacIntyres Entgegensetzung eines Nihilismus Nietzscheanischer Prägung und der Möglichkeit, sich mit anderen Gläubigen in Gemeinschaften benediktinischer Prägung zurückzuziehen, die zweite Option wählt.. Zur Begründung zieht er auch einige Theologen und Denker heran, die mich geprägt haben. Doch es gibt einen entscheidenden Unterschied: Versuche ich das Christentum aus Hass oder Abwehr gegen eine säkulare Gesellschaft zu leben – mit der These, dass diese Welt falsch ist und man sie überwinden muss. Oder steht man für eine stärkere Betonung des Christlichen aus einer eigenen Quelle, aus einer Gemeinschaft heraus. Diese Gemeinschaft strahlt nach außen aus, muss aber keinen Machtanspruch haben. Wird man überzeugter Christ aus negativer Ablehnung oder positiver Zuwendung heraus? Dreher und seine Anhänger leben aus einer radikalen Ablehnung der säkularen Welt heraus – daher nehmen sie ihren Machtanspruch. Das widerspricht natürlich dem benediktinischen Prinzip kleiner Gemeinschaften, die sich nicht um den Staat kümmern und keine Machtambitionen haben.

Bild: ©picture alliance/imageBROKER/Stefan Auth

Der heilige Benedikt dient Rod Dreher vermeintlich als Vorbild.

Frage: Eine säkularer und unübersichtlicher werdende Welt gab es auch im 19. Jahrhundert – damals gründeten sich neue Orden, die sich um die Alten- und Krankenpflege kümmerten. Davon ist heute keine Spur zu sehen, lieber agitiert man gegen Schwangerschaftsabbrüche. Was hat sich verändert?

Palaver: In Sachen Sexualmoral sind diese Gruppen alle sehr strikt, sie versuchen etwa auch, ihre Kinder von vorehelichem Sexualverkehr abzuhalten. Noch vor einigen Jahrzehnten wäre so etwas noch deutlich verbreiteter gewesen – ab den 1970er Jahren die Welt liberaler geworden. Die Kirche ist aber schon lange sexualethisch fixiert, auch wenn das völlig an der Realität der Menschen vorbeigeht. Aber Sexualität ist für viele Menschen ein zentraler Punkt in ihrer Identität. Auch hier geht es wieder um die Ablehnung der Welt: Einer sexuell liberalisierten Welt wird eine restriktive Sexualmoral gegenübergestellt.

Frage: Neben dieser strikten Sexualmoral sind vor allem politisch ambitionierte Gruppen oft auch nationalistisch orientiert. Dabei versteht sich die katholische Kirche als Weltkirche. Wie passt das zusammen?

Palaver: Christlicher Nationalismus ist ein Widerspruch in sich. Eigentlich müsste aus einem christlichen Verständnis heraus das Christsein in der Priorität der Identitäten immer vor der Staatsangehörigkeit kommen. Natürlich brauchen Menschen eine politische Beheimatung – und dabei auch kleinere Einheiten wie einen Staat, allein schon für soziale Sicherungssysteme etwa. Denn beim neoliberalen Globalismus sind oft die kleinen Leute die Verlierer. Wir brauchen also die Solidarität eines Landes. Aber dieses Nationale darf nie zum Absoluten oder zu einer geschlossenen Gesellschaft werden.

Frage: Dennoch sind etwa viele christliche rechte Gruppen in den USA gegen Einwanderung, weil man die christliche Kultur schützen müsse. Das vermischt sich dann mit libertären Gedanken wie dem Abbau der Sozialsysteme. Wo nehmen diese Leute die christlichen Begründung her?

Palaver: Wenn man in den Beginn menschlicher Zivilisation schaut, war Religion anfangs immer eine Stammesreligion eines eng geschlossenen Stammes, wo es keine Individualität gab. Die heute bestimmenden Religionen in der Welt haben dagegen einen Universalitätsanspruch. Der französische Philosoph Henri Bergson spricht hier von statischer und dynamischer Religion:  Die statische Religion ist mit einer geschlossenen Gesellschaft identisch, die dynamische mit einer offenen. Die statische Religion ist weiter eine Stammesreligion, die setzt sich im Nationalismus fort. Anthropologisch ist es so, dass Menschen eine Sicherheit der kleinen Gruppe brauchen. Die Individualität kommt dann über Einzelpersonen, die das Muster sprengen – Bergson nennt etwa die jüdischen Propheten als Beispiel. Diese Mystik – verstanden als eine zwischenmenschliche, aktive Mystik mit sozialgerechtem Anspruch – sei die Initialzündung der dynamischen Religion. Aus christlicher Sicht steht Jesus Christus auch in dieser Tradition. Diese Einzelpersonen lösen in anderen Menschen ein Echo aus, sie bewegen und verändern sie. Da verbreitet sich Individualität und eine dynamische Religion. Die statische Religion ist damit aber nicht verschwunden. Angesichts von Krisen gibt es dafür regelmäßig Zulauf, also auch in Zeiten von Pandemie und Wirtschaftskrise. Das hat auch – so zeigen Forschungen – mit der Wirklichkeit des eigenen Todes zu tun. Je eher Menschen daran beispielsweise in Krisensituationen erinnert werden, desto mehr Ängste entwickeln sie und desto restriktivere Politik unterstützen sie. Diesen Widerstreit gibt es immer – da liegt es gerade an führenden Kirchenpersönlichkeiten, die Flamme der dynamischen Religion immer neu zu entfachen. Papst Benedikt XV. hat das im Ersten Weltkrieg und Papst Franziskus in unserer Zeit in grandioser Weise versucht. Papst Leo XIV. wird das wohl fortsetzen – Gott sei Dank. Wir brauchen in dieser Situation eine Kirche, die dynamisch ist und sich für liberale Werte einsetzt.

Bild: ©KNA/Theodor Barth

In vielen Ländern werden die Kirchenbänke leerer.

Frage: Die großen verfassten Kirchen verlieren in vielen Ländern an Einfluss und Mitgliedern. Was sollen sie nun tun?

Palaver: Wir brauchen lebendige Kirchen, ohne sie hat der Glaube keine Chance. Aber sie müssen sich auf die heutige Zeit einstellen, das schreibt auch Thomas Halik. Es gibt bei vielen Leuten in der Kirche eine Sehnsucht nach der Kirche aus einer Zeit, in der alles kirchlich geordnet war. Das führt aber nicht weiter. Die Kirche muss rausgehen an Orte, an denen sie bisher nicht war – zu Menschen, die mit dem alten institutionellen System nichts zu tun haben. Dafür muss sich die Kirche auch spirituell zeigen und Orte bieten, wo sich Menschen für einen mystischen Impuls öffnen können, der sie trägt. Sie müssen lebendig sein, experimentieren und ausprobieren, was es heißt, nach draußen zu gehen. Bislang bleibt die Kirche noch viel zu sehr im eigenen Saft. Es braucht eine Verwurzelung in der jüdisch-christlichen Mystik und aus dieser Kraft heraus ein Herausgehen aus den ausgetretenen Pfaden.

Frage: Dennoch gibt es sie, die weniger Rechte für alle wollen, die gegen eine freie Gesellschaft sind. Was kann man tun?

Palaver: Demokratie sollte nicht auf Relativismus aufbauen, wir brauchen eine Form von Wahrheit. Gleichzeitig brauchen wir das Bewusstsein, dass die je nach Perspektive etwas anders aussehen kann. Dennoch ist Wahrheit kein Gegenstand demokratischer Aushandlung. Aber wir können bis zu einem gewissen Punkt alle immer noch etwas voneinander lernen. Man muss also allen zuhören und mit allen reden. So werden auch einige Probleme sichtbar, die wirklich vorhanden sind. Das heißt aber nicht, dass man mit allen zusammenarbeiten soll. So spricht die AfD wahrscheinlich Dinge an, wo wir alle hinhören müssen. Aber das heißt nicht, dass man sich ihre politische Position zueigen machen oder sie an die Macht bringen soll.

Von Christoph Paul Hartmann