Chefredakteur des Catholic News Service zum Besuch von Franziskus in den USA

Fremdeln mit dem Papst

Veröffentlicht am 22.09.2015 um 00:01 Uhr – Von Thomas Spang (KNA) – Lesedauer: 
Papstreise USA

Washington ‐ Die USA schauen mit gemischten Gefühlen auf den bevorstehenden Besuch des Papstes.Warum die Vereinigten Staaten sich mit Franziskus so schwer tun und was die katholische Seele Amerikas ausmacht, verrät Tony Spence, Chefredakteur des Catholic News Service (CNS).

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Frage: Papst Franziskus macht bei seiner fünftägigen Reise in die USA 17 Stationen. Welche halten Sie für die wichtigste?

Spence: Der Heilige Stuhl möchte die Teilnahme des Papstes beim Welttreffen der Familien in Philadelphia hervorheben. Aus Sicht des Vatikan ist das das Herzstück und das große Finale des Besuchs. Aus Sicht der US-Amerikaner ist es der Auftritt vor beiden Häusern des Kongresses. Es ist nicht nur die erste Rede eines Papstes auf dem Capitol Hill, sondern eines Religionsführers überhaupt. Dass Franziskus diese Einladung angenommen hat, ist von großer Bedeutung. Nicht zuletzt unterstreicht sie, dass der Katholizismus in den USA endgültig angekommen ist.

Tony Spence ist Chef des Catholic News Service.
Bild: ©KNA

Tony Spence ist Chef des Catholic News Service.

Frage: Welche Botschaft hat der Papst für die Repräsentanten und Senatoren?

Spence: Er wird über jene Anliegen sprechen, die er konsequent immer wieder betont. Er bringt die Botschaft der Barmherzigkeit und wird seine Sorge für die Menschen an den Rändern der Gesellschaft ausdrücken: die Armen, Gefangenen, Obdachlosen und Einwanderer. In Gefolge der Umwelt-Enzyklika "Laudato si" erwarte ich auch klare Worte zur Bewahrung unseres gemeinsamen Zuhauses. Er wird uns freundlich daran erinnern, dass wir in einem reichen Land leben. Wer viel hat, dem kommt auch mehr Verantwortung zu.

Frage: Wird sich Franziskus auch an die außenpolitische Reizthemen wie Kuba und Iran heranwagen?

Spence: Ich bin mir sicher, dass er sich positiv zu den Entwicklungen im Verhältnis zu Kuba äußern wird. Der Vatikan unterstützt auch das Atomabkommen mit dem Iran. Ob er dazu unmittelbar etwas sagt, weiß ich nicht. Aber er dürfte den Kongress ermutigen, in der Frage weiterzumachen. Ein starkes Anliegen ist dem Papst auch die Verfolgung der Christen im Nahen und Mittleren Osten.

Frage: Obwohl Franziskus mit 78 Jahren erstmals überhaupt in die USA reist, ist ihm das vergiftete politische Klima in Washington gewiss bekannt. Wie kann er mit dieser Herausforderung umgehen?

Spence: Viele Leute sind wirklich nervös, was er sagen wird. Während er die Messen auf Spanisch feiert, will er vor dem Kongress Englisch sprechen. Das trägt zur Klarheit bei - denn damit lässt sich anschließend nichts auf die Übersetzung schieben. Wenn er etwa zum Beispiel über die ungleiche Wohlstandsverteilung in unserem Land spricht; oder unsere Ergebenheit gegenüber dem ungebremsten Kapitalismus herausfordert. Republikaner und Demokraten werden versuchen, was auch immer er sagt, für ihre Zwecke auszuschlachten.
Wir stehen vor einem Wahljahr.

Bild: ©dpa/Gabriel Bouys / Pool

Papst Franziskus empfängt am 27. März 2014 US-Präsident Barack Obama im Vatikan.

Frage: Ein knappes Drittel der Abgeordneten im Kongress sind Katholiken, darunter der republikanische Sprecher im Repräsentantenhaus John Boehner und die Minderheitsführerin der Demokraten Nancy Pelosi. Wird Franziskus' Appell für ein neues Miteinander dort auf offene Ohren stoßen?

Spence: In den USA gibt es 75 Millionen Katholiken. Die sind leider genauso polarisiert wie alle anderen US-Amerikaner. Es gibt auch unter ihnen keinen zivilen Diskurs mehr. Wenn der Papst mit seiner gewinnenden Persönlichkeit daran etwas ändern könnte, wäre enorm viel erreicht.

Frage: Mit Spannung erwarten einige hier, was der Papst den Bischöfen predigen wird, wenn er mit ihnen in Washington die Messe feiert.

Spence: Ich hätte auch gerne eine Vorab-Fassung! Die Bischöfe hier in den USA sind ziemlich verunsichert. In den vergangen Jahren standen Reizthemen wie Abtreibung, "Homo-Ehe" und Zugang zu Verhütungsmitteln im Vordergrund. Der Papst sagt nun, wir müssten darüber nicht die ganze Zeit sprechen - es gibt auch andere Dinge wie die Katholische Soziallehre, die Sorge für die Armen und die Umwelt.

Frage: Von außen betrachtet entsteht der Eindruck, die US-Kirchenführer wüssten nicht so richtig, was sie mit Franziskus anfangen sollen.

Spence: Sie wissen es wirklich nicht. Nach 25 Jahren Johannes Paul II. und acht Jahren Benedikt XVI., die in einer bestimmten Weise agierten, bringt Franziskus eine Veränderung. Er spricht über Barmherzigkeit und die Aufgabe, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. Das haben seine Vorgänger zwar auch gelehrt - aber er hat den Ton und den Stil der Seelsorge verändert. Die Bischöfe versuchen nun herauszufinden, was das für ihren pastoralen Stil bedeutet. Einige sind sehr froh darüber und schätzen es sehr; andere sind sich weniger sicher. Am Ende werden aber alle an Bord sein.

Frage: Beim Frühjahrstreffen der US-Bischöfe kritisierten einige offen, die Prioritäten der Bischofskonferenz spiegelten nicht genügend die des Papstes wider. War das nicht sehr ungewöhnlich?

Spence: Ja, das war ein ungewöhnlicher Moment - weil die Bischöfe nach außen immer sehr auf Einigkeit bedacht sind. Ich vermute, die endgültige Liste mit den Schwerpunkten dürfte noch ergänzt werden.

Linktipp: Havanna und das Weiße Haus

Hier finden Sie den kompletten Reiseplan des Papstes.

Frage: Wie verstehen Sie die Ergänzung der US-Delegation zur anstehenden Weltfamiliensynode durch den Papst persönlich, der Chicagos Erzbischof Blase Cupich und den Bischof von Youngstown George Murray nominierte?

Spence: Das ist eine positive Entwicklung, die der Delegation eine stärkere Ausgewogenheit verleiht. Cupich zeigt eine große Nähe zur Botschaft des Papstes.

Frage: Ist es unter dem Strich ein Vorzug, dass Franziskus erstmals in die USA kommt - und die Kirche und das Land womöglich mit einem frischen Blick sieht?

Spence: Das ist ein großes Plus. Als jemand, der aus Lateinamerika kommt, hat er eine ganz andere Sicht auf uns als wir von uns selbst - oder die Europäer von uns. Er bringt Erfahrungen aus einer Region mit, die über Jahrzehnte mit Armut, Diktaturen, Gewalt und Unterdrückung lebte. Das sind ganze andere Erfahrungen als unsere hier in den Vereinigten Staaten. Das hat ihn geprägt. Er wird uns nicht durch eine rosarote Brille sehen.

Von Thomas Spang (KNA)