50 Jahre danach: Kardinal Lehmann zum Konzil und seinen Folgen

"Da müsste man manchmal mehr kämpfen"

Veröffentlicht am 23.09.2015 um 13:30 Uhr – Von Gottfried Bohl (KNA)  – Lesedauer: 
Dossier: Zweites Vatikanisches Konzil

Fulda ‐ Vor bald 50 Jahren ging das Zweite Vatikanische Konzil zu Ende. Aus diesem Anlass erinnert Kardinal Karl Lehmann in einem Interview an das Großereignis und dessen Bedeutung bis heute - auch mit Blick auf die Familiensynode.

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Frage: Kardinal Lehmann, vor 50 Jahren ist das Konzil zu Ende gegangen. Wenn Sie Menschen heute erklären wollen, warum es so wichtig war - was sagen sie da?

Lehmann: Zunächst erinnere ich an die Ausgangslage damals: Die Kirche hatte an etlichen Stellen den lebendigen Kontakt mit der Gegenwart ein Stück weit verloren. Und da war es höchste Zeit, aus dieser festen Burg herauszutreten und überzeugend zu zeigen, was man als Kirche der Welt geben kann und umgekehrt. Und das ist angesichts mancher Verhärtungen, die bis in die Konzilsaula gingen, erstaunlich gut gelungen.

Frage: Inwiefern? Was waren die wichtigsten Neuerungen?

Lehmann: Es gab drei große Schritte nach vorne, wo die Kirche über sich hinausging: einmal in der Ökumene, was zu einer Fülle von fruchtbaren Gesprächen und gemeinsamem Handeln geführt hat bis zum heutigen Tag. Dann das Hinausgehen auch zu den anderen Religionen und drittens die Begegnung mit der modernen Kultur. Da gab es große Fortschritte, doch schon zum Ende des Konzils und bis heute gab und gibt es auch immer wieder Diskussionen, ob die Kirche zum Beispiel zu sehr dem Fortschritt oder dem Zeitgeist hinterherläuft.

Frage: Macht sie das?

Lehmann: Grundsätzlich nicht, aber gewiss gibt es überall auch Schwächen, Dummheiten und Pannen.

Bild: ©KNA

Der spätere Bischof und Kardinal Karl Lehmann (m.) arbeitete als Assistent von Karl Rahner (r.) zwischen 1964 und 1967 an den Universitäten von München und Münster. Gemeinsam mit dem bekannten Theologen und Jesuiten erlebte Lehmann auch das Zweite Vatikanische Konzil in Rom aus nächster Nähe mit.

Frage: Was hat sich durch das Konzil denn für die einfachen Kirchenbesucher verändert?

Lehmann: Da fallen zwei Dinge sofort ins Auge: zuerst die Hinwendung zum Volk. Als junger Priester - ich wurde ja während des Konzils geweiht - habe ich noch die Messe gegen die Wand gefeiert, also mit dem Rücken zu den Kirchenbesuchern. Und dann die Feier des Gottesdienstes in der Muttersprache, nicht mehr auf Latein. Das sind schon große Türen, die aufgemacht wurden, aber nicht die einzigen.

Frage: Welche Reformen gab es denn noch?

Lehmann: Ich denke etwa an die größere Selbstständigkeit, die den Ortskirchen eingeräumt wurde. Auch wenn diese leider den Freiraum oft nicht genügend ausschöpfen, der ja auch immer wieder mal beschnitten wird. Da müsste man manchmal mehr kämpfen, denke ich. Aber auch bei der stärkeren Rolle der Laien in der Kirche seit dem Konzil ist noch Luft nach oben. Und das gilt auch für die aus meiner Sicht zu wenig beachtete Ausrichtung auf die Mission, also den Auftrag, die frohe Botschaft zu allen Völkern zu bringen. Dies gilt aber auch für uns selbst.

Frage: Sie haben als junger Priester das Konzil in Rom ganz nah erlebt. Wie war das? Konnten Sie eine Aufbruchsstimmung spüren?

Lehmann: Ich habe damals in Rom meine philosophische Doktorarbeit über Martin Heidegger abgeliefert und verteidigen müssen. Und verglichen mit der Enge zu Beginn meines Studiums war jetzt eine deutlich größere Weite und Freiheit zu spüren. In diesem ganz persönlichen Bereich ist mir das besonders bewusstgeworden. Aber auch in der Kirche insgesamt war ein Aufbruch mit viel frischem Wind zu spüren.

Dossier: II. Vaticanum

Vieles, was heute in der Kirche als selbstverständlich gilt, ist eine Folge von fast revolutionären Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Katholisch.de blickt in einem Dossier auf die wegweisende Bischofsversammlung und ihre wichtigsten Beschlüsse zurück.

Frage: Jetzt sind 50 Jahre vorbei seitdem. Sie sagen, es sei nicht alles umgesetzt und es gebe auch immer mal wieder Streit, ob alles in die richtige Richtung gelaufen ist. Sind 50 Jahre Konzilsende trotzdem ein Grund zum Feiern?

Lehmann: Auf jeden Fall. Aber dabei dürfen wir nicht nur zurückblicken. Zum einen sollten wir die Texte des Konzils neu lesen und entdecken, sie sind oft viel aktueller als manch einer denkt. Und dann sollten wir uns auch davon inspirieren lassen, wie es damals gelungen ist, trotz harter Kämpfe und zum Teil schroffer Gegensätze vor und hinter den Kulissen zu Einigungen zu kommen, mit denen alle gut leben konnten. Selbst bei den umstrittensten Themen. Das hat mich damals fasziniert - und tut es heute noch. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Begebenheit, als ich mit Karl Rahner am Aufzug stand und ein Kardinal auf uns zu kam, der in vielen Dingen völlig andere Ansichten hatte und dann sagte: "Pater Rahner, Sie sind ja gar nicht so schlimm. Man kann ja mit ihnen reden."

Frage: Sagen Sie das jetzt auch mit Blick auf die bevorstehende Bischofssynode in Rom, wo es ja im Vorfeld ebenfalls heftige Debatten und scheinbar unüberwindbare Gegensätze gibt?

Lehmann: Ja, wir haben auch ähnliche Erfahrungen gemacht bei der Gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer (1971-1975) und bei den anderen mitteleuropäischen Synoden dieser Zeit. Dies gilt wohl auch für die verschiedenen Bischofskonferenzen und den soeben abgeschlossenen Dialogprozess. Warum denn so viel Skepsis? Unter der Asche 50 Jahre nach dem Konzil glimmt noch das Feuer.

Von Gottfried Bohl (KNA)