Herrgottskinder – Die Elternkolumne

Komm, wir gehen in die Kirche – zum Klettern

Veröffentlicht am 08.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Melina Schütz – Lesedauer: 

Veldhoven ‐ Wenn Kirchen zu Kletterhallen werden: Ein Familienausflug führt in Melina Schütz' Familie zu einer Debatte über Heiligkeit, Gemeinschaft, Wandel – und zu einer ungewöhnlichen Idee ihres siebenjährigen Sohns.

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Ich bin skeptisch, als mein Mann mir vorschlägt, nach Veldhoven zu fahren und dort bouldern zu gehen. Nicht weil ich das Klettern ohne Seil an etwa drei Meter hohen Wänden nicht mag, sondern weil die Boulderhalle in einer entweihten Kirche ist. Trotzdem fahre ich mit, meine Neugierde siegt. Auf dem Weg dorthin spreche ich mit meiner Familie über die Frage, was aus einer Kirche werden soll, wenn sie ihre Funktion als Gottesdienstort verliert. Mein siebenjähriger Sohn sagt, dass Kirchen für ihn ein Ort der Ruhe seien, und fügt hinzu: "Ein Ort der Ruhe muss ein Ort der Ruhe bleiben."  "Also kann dort ein Museum oder eine Bibliothek entstehen?", frage ich. Das findet er okay. "Und wenn die Bücher dort verkauft werden?", hake ich nach. Das wäre auch kein Problem für ihn. Die Geschichte von Jesus im Tempel haben sie in der Schule noch nicht besprochen.  

Der Eingang zur Kletterhalle befindet sich seitlich neben dem ehemaligen Glockenturm. Zunächst gelangt man in einen kleinen Café-Bereich mit Theke und einigen geschmackvollen Tischen. Stilistisch wurde hier alt und neu gekonnt gemixt. Optisch ist es wirklich gelungen; ich bin beeindruckt und mustere den weitläufigen Raum. Seltsam, wenn die klassische Aufteilung eines Kircheninnenraums fehlt. Die Wände links und rechts sind mit Boulderwänden ausgestattet, darüber ragen hübsche, bunte Kirchenfenster hinaus. In der Mitte steht ein großer Kletterfelsen, der den Blick auf das Herzstück, den ehemaligen Altarraum, verdeckt. 

Im Hintergrund läuft leise Musik. Angenehm, nicht aufdringlich. Ansonsten ist es auffallend ruhig. In Kletterhallen, die ich sonst besuche, ist es viel lauter. Auch die Atmosphäre kommt mir warm vor. Das Licht hüllt alles in ein warmes Gelb. "Hübsch sieht es aus", sage ich zu meiner Familie, die sich bereits warm macht. Wir klettern die ersten Routen und ich spüre, wie meine anfängliche Skepsis der Neugierde weicht. 

Überraschend profan

Als wir schließlich in den hinteren Bereich kommen, entdecke ich einen weiteren Felsen. Genau dort, wo früher der Altar stand. Ich stutze. Was auch immer ich erwartet hatte, ich bin überrascht. Das ist wirklich… profan. "Wie findest du es, dass es hier einen Kletterfelsen statt eines Altars gibt?", frage ich meinen Sohn. Er zuckt die Schultern. 

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Mein Sohn und seine kleinere Schwester bewegen sich völlig natürlich, durch den großen, bunten Raum. Ihnen fehlt nichts und scheint auch nichts zu viel.  

Ist es also eine anerzogene Ehrfurcht, die mich im Griff hat, wenn ich ein Kirchengebäude betrete? Ich war niemals zuvor hier, habe keine emotionale Verbindung und dennoch fühle ich mich nicht frei. Vor allem, als ich die Umkleidekabine betrete, um meine Sportkleidung einzutauschen und mich eine ausgediente Kirchenbank empfängt, fühle ich mich unwohl.  

Ein Ort der Ruhe?

Am Ende unseres Ausflugs frage ich meinen Sohn, ob eine Kletterkirche für ihn ein Ort der Ruhe sei. "Ja, ich konnte hier in Ruhe klettern, ohne dass jemand böse guckt."

Ich grinse und ringe mit meinem eigenen Fazit: Klar ist, nicht aus jeder ausgedienten Kirche kann ein Museum oder eine Bibliothek werden. Kirchen sollen Orte sein, an denen Gemeinde stattfindet, an denen Menschen zusammenkommen und friedlich miteinander Zeit verbringen. Und wenn ich darüber nachdenke, trifft all das auch auf eine Sportstätte zu. Wenn Spirituelles keinen Platz mehr in ausgedienten Kirchräumen hat, warum dann nicht auf diese ungewöhnliche Weise weiterleben lassen? Ich teile diesen Gedanken mit meiner Familie. Mein Sohn findet das gut. Er schlägt vor, der Priester könne ja mitklettern.

Von Melina Schütz