Auf dem Franziskusweg 600 Kilometer von Florenz nach Rom

81-jähriger Pilger: "Ich denke, da wurde von oben geholfen"

Veröffentlicht am 23.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Jasmin Lobert – Lesedauer: 
Günter Thieltges pilgerte auf dem Franziskusweg von Florenz nach Rom.
Bild: © privat

Wittlich ‐ Fünf Wochen, 600 Kilometer, unwegsames Gelände: Günter Thieltges hat sich mit 81 Jahren den Traum erfüllt, nach Rom zu pilgern. Immer dabei: der Ehering seiner Frau, die nach 60 gemeinsamen Ehejahren gestorben ist. Auf dem Weg spricht er mit Gott, diskutiert mit anderen Pilgern und findet Frieden.

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"Pilgern ist für mich eine Sucht – genauer gesagt: eine Sehnsucht", sagt Günter Thieltges. Nur in der Natur, fern von Alltag und Sorgen, finde er die Ruhe, um mit Gott zu sprechen. Gerne auch mal laut. "Zu Hause würde man mich dafür für verrückt halten", sagt der 81-Jährige. "Auf dem Pilgerweg darf ich lachen, singen, weinen und beten – so viel ich will."

Der Rentner aus Dreis bei Wittlich in der Eifel ist im Frühjahr den Franziskusweg gelaufen: In knapp fünf Wochen pilgerte er 600 Kilometer von Florenz nach Rom. "Das war ein schwerer, harter, steiniger Weg", sagt er. Oft fehlte die Beschilderung, manche Abschnitte führten durch unwegsames Gelände oder zerfahrenen Matsch, so Thieltges. "Da bin ich im Morast steckengeblieben und habe zu Gott gesagt: Bitte lass die Pilgerreise bald enden." Doch sobald die Hürden überwunden waren, kehrte sein Mut zurück. "Irgendwie geht es immer weiter", sagt er. "Ich denke, da wurde von oben geholfen."

"Ich weiß nicht wie, aber er hat es immer wieder geschafft"

Geholfen haben ihm aber auch seine Mitpilger. Denn Thieltges spricht weder Englisch noch Italienisch. Wenn es hart auf hart kam, rief er auch mal seine Enkelin in Deutschland an, damit sie für ihn übersetzt. Oder er verständigte sich "mit Händen und Füßen".

Thieltges sei aufgrund der mangelhaften Beschilderung auf den Wegen mehrfach verloren gegangen, erzählt Tabea Ritter. Die 26-jährige Pilgerin aus Köln hat Thieltges unterwegs kennengelernt. "Ich weiß nicht wie, aber er hat es immer wieder geschafft, heile und gesund bei uns anzukommen." Einmal habe er wenige Minuten nach ihrer Ankunft in einem Hotel vor ihrer Tür gestanden. "Er hat wohl einen Italiener davon überzeugen können, ihn zu unserem Hotel zu bringen."

Günter Thieltges ist in 33 Etappen 600 Kilometer von Florenz nach Rom gepilgert.
Bild: ©privat

Günter Thieltges ist in 33 Etappen 600 Kilometer von Florenz nach Rom gepilgert.

Ritter und Thieltges sind sich auf dem Weg öfter begegnet, haben die Handynummern ausgetauscht und sind ab und zu ein Stück des Weges gemeinsam gelaufen. Für Thieltges war das eine von vielen wertvollen Begegnungen. "Diese Einigkeit, Offenheit und Hilfsbereitschaft unter den Pilgern – das kann man sich gar nicht vorstellen. Jeder spricht mit jedem, da werden keine Unterschiede gemacht." Die Gespräche seien oft tiefgründig gewesen: über Sinnsuche, Krankheiten oder Probleme in der Ehe.

Seine Leidenschaft für das Pilgern entdeckte Thieltges durch eine Fernsehdokumentation über den Jakobsweg. "Das werde ich auch mal machen", sagte er damals zu seiner Frau. "Du bist doch verrückt", entgegnete sie. Doch nach einem Schlaganfall im Jahr 2005 faste er den Entschluss: jetzt oder nie. "Als ich mit dem Training anfing, bin ich mit 15 Kilogramm Steinen im Rucksack durch die Eifel gelaufen", sagt er und lacht. Drei Monate brauchte er schließlich bis Santiago de Compostela. Selbst ein Achillessehnenriss auf den letzten 300 Kilometern hielt ihn nicht auf – bis heute erinnert ihn eine leichte Fehlstellung der Zehen an diesen Weg.

Den Ehering der Frau an einer Kette um den Hals

Nach seiner Rückkehr setzte er sich direkt das nächste Ziel. Er wollte nach Rom pilgern, am liebsten zusammen mit seiner Frau. Doch mehrere Herzoperationen kamen Thieltges in die Quere. Auch seine Frau bekam gesundheitliche Probleme. "Zusammen nach Rom hat leider nicht mehr funktioniert." Nach 60 glücklichen Ehejahren starb seine Frau im vergangenen Jahr. Den Ehering seiner Frau trägt er seitdem an einer Kette um den Hals – auch auf dieser Pilgerreise.

Unterwegs ging er mit Gott ins Zwiegespräch: "Warum hast du mir meine Frau so früh genommen?" Auch mit Ritter und ihrer Freundin sprach er über seinen Verlust. Ritter erzählt, die drei hätten diskutiert, "wie das mit dem Himmel funktioniert und woher man weiß, dass jemand dort angekommen ist".

Thieltges hat auf dem Weg erkannt: "Als es meiner Frau immer schlechter ging, wollte sie nicht leiden und niemandem zur Last fallen, sondern lieber von Gott geholt werden." Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Sie sei „glücklich gestorben", sagt Thieltges heute. Zwar trauere er noch immer um seine Frau, aber die Pilgerreise habe ihm ein Stück geholfen, den Verlust zu verarbeiten und zu akzeptieren.

Links: Günter Thieltges zusammen mit Tabea Ritter (l.) und Ulrike Rühler-Werk (r.); Rechts: Generalaudienz bei Papst Leo XIV. am 28. Mai 2025
Bild: ©privat

Links: Günter Thieltges zusammen mit Tabea Ritter (l.) und Ulrike Rühler-Werk (r.); Rechts: Generalaudienz bei Papst Leo XIV. am 28. Mai 2025

Neben den seelischen Strapazen forderte der Weg ihn auch körperlich. Gegen Ende der Pilgerreise zog er sich eine leichte Zerrung am Oberschenkel zu. Aber Aufgeben war keine Option: "Wenn ich mir ein Ziel setze, dann muss ich das erreichen – auch wenn ich den Rest des Weges kriechen muss", sagt er und lacht. Am 26. Mai kam er in Rom an. Richtig begreifen und feiern konnte er diesen Erfolg erst zwei Tage später bei einer Generalaudienz von Papst Leo XIV.

"Wir haben beim Deutschen Pilgerbüro die letzten Tickets ergattern können", sagt Ritter, die Thieltges auf den Petersplatz begleitet hat. Seine Verletzung sei zu diesem Zeitpunkt so schmerzhaft gewesen, dass die beiden Pilger die U-Bahn nehmen mussten. Humpelnd durch die Sicherheitskontrolle, mehrere Stunden in der prallen Sonne und endlich war der Moment gekommen: Der Papst sprach den Apostolischen Segen und Thieltges konnte sein Glück kaum fassen. "Es ist kaum zu beschreiben, da wird geweint, da wird gelacht, alle liegen sich in den Armen, das ist pure Freude", sagt Thieltges.

"Für mich ist er ein Vorbild"

Mit diesem Höhepunkt im Gepäck ging es für Thieltges am nächsten Tag mit dem Bus nach Hause – die beschwerlichste Etappe der ganzen Reise, wie Thieltges sagt. Ritter jedenfalls ist beeindruckt: "Dass er mit über 80 Jahren und ohne Sprachkenntnisse diese Pilgerreise geschafft hat, ist eine große Leistung. Für mich ist er ein Vorbild."

So lange Touren wie den Franziskusweg will Thieltges künftig nicht mehr gehen. Aber ganz aufhören, kann er auch nicht. Denn ob eine Woche oder nur ein paar Tage – für ihn bedeutet Pilgern immer, zur Ruhe zu kommen, Gott nahe zu sein und Menschen zu begegnen, die ein Stück des Weges mit ihm teilen.

Von Jasmin Lobert