Kirche Polens zwischen Reformdruck, Medienkonflikt und Bildungsstreit
Die katholische Kirche in Polen befindet sich einer Phase tiefer Auseinandersetzungen. Kaum ein Bereich bleibt von Konflikten verschont, sei es die der Bildung, der Umgang mit Missbrauchsfällen oder die Zukunft kirchlicher Medien. Diese Themen stehen derzeit im Zentrum einer Debatte, die nicht nur die Kirche, sondern das ganze Land betrifft.
Besonders heftig tobt der Konflikt um den Religionsunterricht an Schulen. Seit den frühen 1990er Jahren ist er fest im polnischen Bildungssystem verankert, finanziert vom Staat. Die neue Mitte-Links-Regierung will die Stunden jedoch von zwei auf eine pro Woche kürzen. Eine Entscheidung, die das Verfassungsgericht zwar für verfassungswidrig erklärte, die Bildungsministerin Barbara Nowacka jedoch zurückwies. Denn laut Nowacka habe das Parlament dem Verfassungsgericht im März 2024 die Legitimität abgesprochen. Seitdem würden dessen Entscheidungen als unwirksam betrachtet. Grund hierfür ist, dass die konservative Vorgängerregierung rechtswidrig Richter ernannte. Deshalb bezeichnete Nowacka im Interview des Nachrichtenportals "Onet" das Urteil als "Versuch, das Bildungssystem zu destabilisieren," – "Eine Gruppe, die sich als Gericht ausgibt, untergräbt gemeinsam mit Bischöfen das Handeln der Regierung", so die Politikerin der Bürgerkoalition von Ministerpräsident Donald Tusk.
Streit um Religionsunterricht und neues Schulfach
Für die Bischöfe ist das eine Kampfansage. Sie betonen den "großen Beitrag" des Religionsunterrichts zur Persönlichkeitsbildung und warnen vor einem Verlust geistlicher und moralischer Grundlagen. Bischof Wojciech Osial, Vorsitzender der Bildungskommission der Polnischen Bischofskonferenz, betonte bei einer Pressekonferenz nach der Sitzung des Ständigen Rats der Bischofskonferenz Anfang September, der Religionsunterricht sei ein zentrales Element der Erziehung. Unterstützung erhielt er von seinen Mitbrüdern im Bischofsamt, unter anderem aber vom früheren Präfekten des vatikanischen Gottesdienst-Dikasteriums, Kardinal Robert Sarah. Auf einer Konferenz in Warschau kritisierte dieser die "Aushöhlung des geistlichen Lebens", die Gender-Theorie und rief Eltern dazu auf, dem christlichen Erbe treu zu bleiben. Wörtlich sagte er, heute werde alles getan, "um dem geistlichen Leben in Gott jede Tiefe zu nehmen, unter anderem durch die Einschränkung des Religionsunterrichts für Kinder und Jugendliche". Zugleich stellte er sich gegen Auffassungen, die eine Trennung des biologischen Geschlechts vom kulturellen Geschlecht vertreten. Ein Seitenhieb gegen die Einführung eines neuen Pflichtfachs "Gesundheitserziehung", das ab 2025/26 das bisherige Wahlfach "Erziehung zum Leben in der Familie" ersetzen soll?
Die polnischen Bischöfe betonen den "großen Beitrag" des Religionsunterrichts zur Persönlichkeitsbildung und warnen vor einem Verlust geistlicher und moralischer Grundlagen.
Der neue Lehrplan umfasst laut Berichten Themen wie Empfängnisverhütung, Kinderwunschtechnologien, Geschlechtskrankheiten, HIV/Aids, Schwangerschaftsabbruch sowie Formen sexueller Gewalt. Auch psychosoziale Aspekte stehen auf dem Programm. Die Kirche reagierte mit deutlicher Ablehnung. Zwar erkenne man positive Inhalte an, erklärte die Bildungskommission der Bischofskonferenz, doch viele Punkte stünden "im Widerspruch zur kirchlichen Lehre" – insbesondere in Fragen von Moral und Sexualität. In einem offenen Brief forderte die Kommission Eltern auf, ihre Kinder nicht an dem neuen Fach teilnehmen zu lassen. "Sie haben das Recht, über die Erziehung Ihrer Kinder zu entscheiden", heißt es darin. Die Polnische Bischofskonferenz sagte auf Anfrage von katholisch.de, ihnen lägen keine Informationen darüber vor, wie viele Kinder im Fach eingeschrieben sind. Die Eltern hatten laut Sprecher bis zum 25. September Zeit, ihr Kind von dem Unterricht abzumelden oder daran teilnehmen zu lassen.
Die polnische Bildungsaktivistin Dorota Łoboda kritisierte auf "X" diesen Appell der Bischofskonferenz und betonte, Gesundheitserziehung sei ein unverzichtbares Fach. ”Ich weiß nicht, was man im Kopf haben muss, um Wissen über Gesundheit als Verderbnis und Entmoralisierung zu bezeichnen”, so Łoboda. Auch die Fachärztin für Psychiatrie und Sexualwissenschaft Aleksandra Krasowska warf der Kirche vor, trotz eigener Skandale gegen die Aufklärung von Kindern und Jugendlichen vorzugehen. Dagegen sprach die Europaabgeordnete der rechtsextremen Partei Konfederacja, Ewa Zajączkowska-Hernik, von "linker Indoktrination und Sexualisierung".
Weiterhin Streit
Der Streit zeigt den Grundkonflikt: Die Regierung setzt auf Pluralismus und Aufklärung, während die Kirche, die PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) und die Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit (Konfederacja Wolność i Niepodległość) ihre Vorstellungen von Ehe, Familie und Moral verteidigen. Ein Geistlicher erklärte gegenüber katholisch.de, die Sorge um den Machtverlust sei der eigentliche Hintergrund des Widerstands der polnischen Bischöfe.
Doch der Streit geht weiter. Kurz nach der Halbierung des Religionsunterrichts konnten die Befürworter des Wahlfachs dennoch einen Teilerfolg verbuchen: Das Parlament beschloss kürzlich, einen Gesetzentwurf einer Volksinitiative zur weiteren Beratung zuzulassen. Dieser sieht vor, dass Schülerinnen und Schüler künftig wöchentlich zwei Stunden Religions- oder Ethikunterricht erhalten sollen. Ein Antrag der mitregierenden Linkspartei Lewica, den Entwurf abzulehnen, fand keine Mehrheit. Neben den nationalkonservativen und rechten Oppositionsparteien stimmten auch einige Abgeordnete aus dem Regierungslager für die weitere Behandlung des Vorhabens – darunter die konservative PSL-Fraktion, Parlamentspräsident Szymon Hołownia sowie Teile seiner Bewegung Polska 2050. Die größte Regierungspartei, die liberalkonservative KO von Ministerpräsident Donald Tusk, sprach sich hingegen gegen die Initiative aus und unterstützte den Ablehnungsantrag der Linken.
Missbrauchsaufarbeitung mit Hindernissen
Neben dem Bildungsstreit ringen die Bischöfe um eine überzeugende Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs. Nach langem Zögern arbeitet eine Arbeitsgruppe an der Gründung einer unabhängigen Expertenkommission. Bischof Sławomir Oder, der die Vorbereitungen leitet, präsentierte jüngst Entwürfe für rechtliche Grundlagen. Vorgesehen ist eine Zusammenarbeit mit den Männer- und Frauenorden. Da Beschlüsse der Konferenz nicht bindend sind, bleibt der Beitritt einzelner Bistümer und Ordensgemeinschaften freiwillig. "Die formelle Gründung der Kommission wird daher mit der Unterzeichnung bilateraler Abkommen verbunden sein", erklärte Oder. Die Entwürfe gingen nun an die Rechtskommission; bei positiver Bewertung könne die Kommission in den nächsten Monaten offiziell entstehen.
Doch schon im Vorfeld hagelte es Kritik. Beobachter bemängelten die Anonymität von Oders Arbeitskreis sowie das Fehlen von Konsultationen mit Betroffenen. Der Bischof begründete beides mit Sicherheitsbedenken und verwies darauf, dass bislang nur Verfahrensfragen behandelt würden. Bereits eine frühere Expertengruppe unter Erzbischof Wojciech Polak hatte anonym gearbeitet und war nach kurzer Zeit wieder aufgelöst worden. Die Namen wurden erst bekannt, als den Mitgliedern für ihre Arbeit gedankt wurde. Zum Expertenteam von 2023 gehörten Erzbischof Grzegorz Ryś (heute Kardinal), Bischof Ryszard Kasyna (Bistum Peplin) und Bischof Jan Kopiec (heute emeritierter Bischof von Gliwice).
Neben dem Bildungsstreit ringen die Bischöfe um eine überzeugende Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs.
Kritiker sehen in diesen Personalwechseln und Verzögerungen den Beleg für mangelnden Aufklärungswillen, heißt es in einem Bericht des Portals "deon.pl".
Viele Betroffene fühlen sich vertröstet, während Bischöfe seit Jahren Aufklärung versprechen. Zugleich mahnen Befürworter, den neuen Anlauf nicht vorschnell zu verwerfen: Erstmals bestehe Aussicht auf eine rechtlich tragfähige Struktur. Ob die Kommission tatsächlich in den kommenden Monaten startet, bleibt vorerst offen.
Kirchenjournalismus mit Fragezeichen
Auch die kirchlichen Medien geraten zunehmend in den Sog der Auseinandersetzungen. Im Zentrum stand jüngst die katholische Nachrichtenagentur KAI (Katolicka Agencja Informacyjna), die wichtigste Informationsquelle zu kirchlichen Themen in Polen. Ihr Gründer und langjähriger Chefredakteur Marcin Przeciszewski trat nach 32 Jahren im Amt zurück. Er sprach von einer "faktischen Liquidierung" der Agentur und warf den Bischöfen vor, die KAI enger an ihre Pressestelle anbinden zu wollen – zulasten journalistischer Unabhängigkeit.
Die Bischofskonferenz hat diese Vorwürfe zurückgewiesen. Die KAI solle bestehen bleiben, betont ein Sprecher, jedoch im Rahmen einer umfassenden Umstrukturierung aller kirchlichen Medienunternehmen. Angesichts hoher Kosten müsse die Arbeit effizienter werden. Man wolle die Agentur in eine eigene neue "Mediengruppe" eingliedern. Kritiker sahen darin die Gefahr, man wolle der Agentur die journalistische Unabhängigkeit nehmen. Zugleich räumte der Sprecher auch ein, dass sich die Bischöfe an manchen Berichten der KAI störten, die "nicht ganz mit ihrer Botschaft übereinstimmten", etwa bei Berichten zur Missbrauchsaufarbeitung.
Przeciszewskis Rücktritt gilt in der Causa als einschneidend. 2018 war er mit dem Päpstlichen Gregoriusorden geehrt worden, einer der höchsten Auszeichnungen für Laien. Mit seinem Abgang wächst die Sorge, dass unabhängige kirchliche Berichterstattung geschwächt wird. Kritiker warnen vor einem Rückschritt in Zeiten, in denen die Kirche dringend Vertrauen zurückgewinnen müsste. Doch konkrete Entscheidungen gebe es bislang nicht. Auf Anfrage von katholisch.de erläuterte die Polnische Bischofskonferenz, die Reform betreffe drei vom Episkopat gegründete Medieneinrichtungen und sei eine interne Reform. "Die Arbeiten laufen, um eine engere Zusammenarbeit zwischen ihnen sicherzustellen und so ihre Effizienz zu verbessern", so ein Sprecher.
Gesellschaftliche Fronten
Die Konflikte um Schule, Missbrauch und Medien spiegeln eine tieferliegende Vertrauenskrise. Einerseits bleibt die katholische Kirche in Polen stark verwurzelt, prägt Feiertage, Familienleben und das öffentliche Bewusstsein, andererseits bröckelt ihre Autorität, insbesondere unter jüngeren Menschen. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS für die Nachrichtenagentur PAP vertrauen der Kirche aktuell nur noch 35,1 Prozent der Erwachsenen sehr oder einigermaßen. Das sind 4,3 Prozentpunkte weniger als im Oktober 2024 und das bislang schlechteste Umfrageergebnis für die Kirche bei dem Institut. 26,1 Prozent erklärten, sie hätten "überhaupt kein" Vertrauen in die katholische Kirche, 21 Prozent "eher nicht". Das sind zusammen knapp die Hälfte der 1.067 Befragten. Die "Vertrauenserosion" habe sich laut Meinungsforscher Kamil Smogorzewski von IBRiS beschleunigt.
Für die Bischöfe bedeutet das nun einen Balanceakt: Sie wollen Einfluss und Tradition verteidigen, müssen aber zugleich Reformen und Kritik begegnen. Ob ihnen dieser Spagat gelingt, wird darüber entscheiden, wie die Kirche ihre Rolle in einer sich wandelnden Gesellschaft behaupten kann.
