Christian Orth ist der "Regisseur der Liturgie" am Fuldaer Dom

Sein Job ist auf den ersten Blick ganz einfach: nicht auffallen. Wenn er das doch tut, ist etwas schiefgelaufen. Damit es nicht so weit kommt, ist vorher viel Arbeit und Vorbereitung nötig. Das ist der Schwerpunkt der Tätigkeit von Christian Orth. Der 35-Jährige ist Zeremoniar am Fuldaer Dom. Er ist dafür verantwortlich, dass die Liturgie an der Kathedrale reibungslos verläuft – und dass sie eine gute Gebetsatmosphäre für die Gottesdienstbesucher erzeugt. Nicht nur bei den Gottesdiensten während der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist ihm das ein besonderes Anliegen.
Bei Orth laufen vor Gottesdiensten im Dom alle Fäden zusammen. "Ich bin so etwas wie der Regisseur der Liturgie", beschreibt er seine Stelle. "Ich bereite die Gottesdienste vor, treffe die Absprachen mit dem Zelebranten und den Dommusikern sowie allen anderen Beteiligten." Daraus erstellt er einen verlässlichen Plan, der alles beinhaltet, was die Akteure wissen müssen. Dazu schreibt er die Fürbitten, klärt die Auswahl der Lesungstexte und wählt weitere Texte für den Gottesdienst aus. "Ich bereite die Liturgie vor und achte darauf, dass der Ablauf eine inhaltliche Qualität hat."
"Man muss selbst in der Liturgie leben"
Seit 2021 ist Orth Zeremoniar am Fuldaer Dom. Er ist Theologe und hat nach dem Studium eine Zusatzausbildung in Liturgie angeschlossen. Für seine Stelle ist theologisches und liturgisches Hintergrundwissen entscheidend. Aber nicht nur das: "Man muss selbst in der Liturgie leben. Man braucht da einen inneren Bezug, sonst wird man ein Funktionär für Folklore." Das dürfe es nicht werden, sagt Orth.
Wenn vor dem Gottesdient nach und nach alle Zelebranten, Konzelebranten und liturgischen Dienste eintrudeln, hat er im Blick, wer da ist, ob die Messdiener Bescheid wissen, wann was zu tun ist und welche Besonderheiten es jeweils gibt. "Ich gehe immer nochmal zum Zelebranten und spreche mit ihm ab: Haben wir an alles gedacht? Ist es zum Beispiel klar, dass es ein Schuldbekenntnis gibt oder gleich das Kyrie gesungen wird?" Manchmal muss fünf Minuten vor dem Beginn der Messe auch noch ein Lied ausgetaucht werden.
Christian Orth steht vor dem Altar in der Fuldaer Michaelskirche. Dort finden während der DBK-Vollversammlung die drei Frühmessen statt.
Mit dem Klingelzeichen geht der Gottesdienst los. Orth zieht in Chorkleidung mit ein und hält sich – selbstverständlich – im Hintergrund auf. Doch er muss auf der Hut sein: "Ich denke immer schon einen Schritt voraus: Was passiert als nächstes? Was muss ich vielleicht gleich machen? Was kann gleich schiefgehen oder eben auch nicht?" Er passt auf, ob jeder weiß, was er oder sie zu tun hat.
Dann geht in der Regel der Gottesdienst einfach seinen Gang – "wir können ja alle Eucharistie feiern", betont er. Wenn ein Messdiener mal nicht weiß, wo er hinlaufen soll, zeigt er ihm den Weg. "Im besten Fall sitze ich einfach nur da und freue mich, dass der Gottesdienst super läuft." Richtig einschreiten muss er erst, wenn etwas schiefläuft. "Dann versuche ich es so hinzukriegen, dass es nicht zu auffällig wird." Orth versucht zum Beispiel etwas schnell verschwinden zu lassen, wenn es herunterfällt. Richtig gravierende Dinge sind bislang aber noch nicht vorgefallen. Das Schlimmste für ihn wäre, wenn ganz kurzfristig der Zelebrant ausfällt. "Ich weiß nicht, was dann passieren würde."
"Der Moment, in dem alle deutschen Bischöfe auf mich hören"
Herbstvollversammlungen sind für Orth, der selbst aus Fulda kommt, ein besonderer Termin im Jahr. Es bedeutet für ihn viel Vorbereitung und Kontaktaufnahme mit den Beteiligten, auch mit der Bischofskonferenz und den Bischöfen, die als Zelebranten für die Gottesdienste eingeteilt sind. "Wenn der Tag X kommt, ist das schon etwas ganz Spezielles." Er erlebt nun seine vierte Vollversammlung – 2023 musste sie an einem anderen Ort stattfinden. "Da hat schon etwas gefehlt", räumt er ein.
Bei den Gottesdiensten mit den deutschen Bischöfen muss er sich kaum umstellen. "Viele Bischöfe haben hier eine Art zweites Zuhause. Die kennen die Laufwege und wissen, wo sie sitzen sollen, wer wann wohin gehen", so der Domzeremoniar. "Ich sage ihnen das immer noch einmal vor dem Gottesdienst an. Das ist der Moment, in dem alle deutschen Bischöfe auf mich hören", sagt Orth und schmunzelt. "Aber die wissen das in der Regel selbst sehr gut." Auftaktmesse und Vesper sind im Dom, die drei Frühmessen während der Vollversammlung finden mittlerweile in der benachbarten Michaelskirche statt.
In der Sakristei der Fuldaer Michaelskirche liegt alles schon für den nächsten Gottesdienst bereit. Herrichten muss Christian Orth die Sachen nicht, aber darauf achten, dass alles stimmt.
Sonderwünsche hat er von den Bischöfen noch nie erhalten. Im Gottesdienst selbst habe jeder zwar seine Eigenheiten. "Ich weiß aus dem Effeff, wann Bischof Gerber oder Weihbischof Dietz die Mitra aufsetzen, wann sie den Stab nehmen. Das ist gerade bei der Predigt immer wieder eine Frage." Bei den anderen sei das unterschiedlich. Bischof Georg Bätzing etwa habe immer seinen eigenen Zeremoniar dabei. Sonst geschieht während der Gottesdienste viel auf Zuruf. "Dass ein Bischof sagt, er will dieses Messgewand und diesen Wein, ist bisher nicht vorgekommen."
Was jedoch vorkommt: Manchmal hat ein Bischof, der einer Messe vorsteht, noch ein paar Ergänzungen zu Fürbitten oder anderen Texten, die Orth vorbereitet. "Ich machen ihnen einen Vorschlag, sie lesen das mit viel Verstand und bringen dann noch was Eigens ein. Sie machen sich Gedanken – darum geht's." Zelebranten müssten den Gottesdienst mit Leib und Seele feiern können. "Da bin ich dankbar für die Rückmeldung." Komplett über den Haufen geworfen habe Orths Konzept bisher noch keiner.
"Liturgie ist kein Selbstzweck"
Was heißt für Christian Orth, für die Liturgie leben? "Liturgie ist kein Selbstzweck. Bei der Liturgie kommt es darauf an, dass man wirklich mitfeiern kann", unterstreicht er. "Es geht letztlich um den Kern des Glaubens: Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi. Das hat aber mit mir zu tun, und das verwirklicht sich ganz radikal in der Liturgie." Das, was auf dem Altar geschieht, soll mit dem Leben eines jeden einzelnen passieren: Verwandlung. "Da steckt ganz viel Hoffnung drin, aber auch alles Leid. All das deckt die Feier der Eucharistie ab." Die Menschen seien hineingenommen in das große Geheimnis Gottes. Das kulminiere in der Liturgie. Das spürt er selbst jedes Mal wieder bei der Feier des Gottesdienstes, selbst wenn er sich vermeintlich auf das Äußere, auf das Funktionieren konzentrieren muss. "Man kann das nicht 'machen'; deshalb ist mein Anliegen, dass es durch einen Ablauf, eine Stringenz, den Menschen einfacher gemacht wird, damit in Berührung zu kommen."
Für den Domzeremoniar ist es das Beste, wenn alle wissen, was zu tun ist – und er im Gottesdienst selbst nichts mehr machen muss. "Das größte Kompliment, das ich bisher bekommen habe, lautete: 'Man hat dich gar nicht gesehen.'" Genau darum geht es Christian Orth bei seiner Arbeit.